Montag, Dezember 25, 2006

Müstair und das Geheimnis von Weihnachten



Müstair Mittelapsis: Ankunft des "Wortes" zur Menschwerdung
(Christuskopf vom Restaurator verändert)


Da heute am 25. Dezember - und schon Wochen vorher - vom Kind in der Krippe die Rede war, von Ochs und Esel, von Hirten und Engeln und vom Stern von Betlehem, möchte ich nochmals auf die Darstellung in der Mittelapsis von Müstair zu sprechen kommen, die bisher nicht als Weihnachtsbild erkannt worden ist. Da das Antlitz Jesu nach der Freilegung der Fresken falsch renoviert worden ist, scheint heute ein strenger, bärtiger Allherrscher mit den himmlischen Heerscharen zum Gericht zu kommen. Ursprünglich trat aber eine bartlos jugendliche Gestalt mit Friedensszepter aus der doppelten Mandorla hervor und die begleitenden Engel mit bunt leuchtenden Nimben tragen keine Speere. Gemeint ist der ewige Gottessohn, der Logos, das Wort, das Licht der Welt, wie er im Johannesprolog, dem Evangelium zur Messe am Weihnachtstag verkündet wird. Ich habe mir eine Fotomontage erlaubt und den Kopf des jugendlichen Christus aus dem frühkarolingischen Godescalc-Evangelistar von 783 ins Apsisbild eingesetzt:



Diese Darstellung des jugendlichen, stehenden Logos zwischen Engeln ist in der Zeit zwischen 780 und 840 keineswegs selten und sie kommt in Oberitalien auch noch im 11.Jh. vor, allerdings meist als Illustration zum 90.Psalm unter der Bezeichnung "Psalmenchristus" oder "Christus Victor", weil der Heiland über Drachen und Löwen, Symbole der dunklen Mächte, schreitet. Diese könnten auch in Müstair einst vorhandengewesen sein, denn die unterste Partie des Bildes ist durch ein später eingebrochenes Rundfenster zerstört! Dass aber mit dem stehenden, bartlosen Christus die Ankunft des göttlichen Logos zur Inkarnation gemeint war, beweist meines Erachtens die häufige Verbindung mit Verkündigung und Heimsuchung! So wurde mit den nebeneinander gestellten Bildern von der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi das Weihnachtsgeheimnis anschaulich gemacht. Ich könnte dazu die Buchdeckel des Lorscher Evangeliars aus hochkarolingischer Zeit abbilden, bringe aber lieber das Elfenbeindiptychon von Genoels-Elderen, das etwa gleichzeitig mit den Müstairfresken im Maas-Moselgebiet geschaffen worden ist.
Oben: Ratschluss der Erlösung (Der ewige Logos kommt, von Engeln begleitet, als göttliche Natur Jesu in die Welt)
Unten: Verkündigung an Maria und Begegnung mit Elisabeth (Schwangerschaft als Ankunft der menschlichen Natur Jesu in der Welt)


Schreibtafeln oder Buchdeckel (Brüssel), letztes Drittel des 8.Jh.

Sonntag, Dezember 24, 2006

Die Taufe Jesu im Jordan (Epiphanie der Ostkirche)


Müstair Südwand, Bildfeld Nr. 38: Taufe Jesu

Das Bild ist arg zerstört; gleichwohl sind wichtige Einzelheiten der Szene noch zu erkennen: Jesus steht ganz nackt und unbewegt, mit herabhängenden Armen mitten im Jordan, dessen ausgezackte Ufer sich nach oben perspektivisch verjüngen. So ist angedeutet, dass er sich allen Ansehens und jeden Anspruchs entäussert hat. Er handelt nicht, er spricht nicht, er lässt es geschehen, dass Johannes ihn eintaucht in die Fluten. Vom Täufer, der von links herantritt, ist unten noch ein Fuss zu sehen und oben der nimbierte Kopf und die grosse rechte Hand auf dem Haupt Jesu. Darüber erscheint schräg von links oben der Geist Gottes in Gestalt einer Taube (Symbol der Liebe). Mir fällt auf, dass die Taube nicht im Zentrum lautlos schwebt, sondern knatternd und schwirrend heranbraust! Verkörpert sie doch die Ruach, den Atem Gottes. den Braus, der später an Pfingsten zu hören sein wird. (Tauben fliegen nicht lautlos, ihr Flügelschlag bewirkt ein beträchtliches Geräusch; ich höre es täglich auf dem Balkon.) - Rechts im Bild stand wohl einst eine Gruppe verehrender Engel; sie sind aber nicht mehr zu erkennen. Die zugrundeliegende Bibelstelle ist die gleiche wie beim zugehörigen vorausgehenden Bildfeld. Wesentlich ist der Satz: Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Matthäus3, 13-17 und Parallelen bei Markus und Lukas und bei Johannes1,32-34) In der Ostkirche wird dieses Ereignis als Epiphanie (=plötzliches Aufscheinen der Gottheit) der heiligen Dreifaltigkeit als eigentliches Weihnachtsfest gefeiert: Der Vater spricht, der Geist braust, der Sohn ist leibhaftig zu sehen und zu fassen!
Im Hinblick auf die Verteilung der Themen innerhalb der gesamten Südwand ist anzumerken, dass sich das Bildpaar 37/38 senkrecht unter dem Paar 1/2 und 21/22 befindet: Dass die (zerstörte, aber hier angenommene) Salbung Davids durch Samuel (Nr.2) in Beziehung zur Taufe Jesu gesehen werden kann, leuchtet ein; aber was mag Sauls (freventliche) Opferhandlung in Bildfeld Nr.1 mit der Begegnung zwischen Jesus und Johannes zu tun haben? Und was war in Nr.21 einst zu sehen? Die Botschaft des Engels an Maria? Dann war im nächsten Feld zwingend die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth, der Mutter des Täufers dargestellt. Oder zeigte Nr.1 die Botschaft des Engels an Joseph? Was folgte dann im Feld Nr.22? Vielleicht die Reise des Paars nach Betlehem? Da keine Fragmente erhalten sind, ist auch keine genaue Antwort möglich. Gewiss ist nur, dass das letzte Bildfeld dieses Registers Nr.28, die Anbetung des Kindes durch die Weisen aus dem Morgenland gezeigt haben muss, da das erste Feld auf gleicher Höhe an der Nordwand, Nr.29, deren Heimreise zeigt.

Dienstag, Dezember 19, 2006

Jesus verlangt von Johannes getauft zu werden


Müstair Südwand, Bild Nr.37, Begegnung zwischen Jesus und Johannes dem Täufer beim Jordan-Übergang.
Die ersten beiden Bildfelder des 3. Registers der Südwand, Nr.37 und 38 schildern die Vorgänge um die Taufe Jesu. In Nr.37 kommt Jesus zu Johannes an den Jordan und verlangt von ihm getauft zu werden. Johannes wehrt demütig ab: Ich habe nötig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir? Jeus aber will sich wie alle andern dem Willen Gottes unterwerfen (Matth.3, 11-15/ Joh.1, 24-28/ Luk.3, 15-18). Die Gestalt Jesu ist hervorragend gezeichnet in Proportion und Bewegun; man beachte auch den nach hinten fliegenden, von der Luft gebauschten, Mantelzipfel! Diese Szene ist in zwei Hälften geteilt: im Zentrum steht ganz vorne an der Rampe der Bühne eine kurze Säule über der sich die Hände der handelnden Personen befinden, die sprechende Hand des jungen Jesus und die fragend geöffnete des sich demütig neigenden Johannes. Ist es eine Stele, also ein Gedenkstein, oder ein Rauchopferaltar? Was bedeutet das Schriftzeichen auf dem Kapitell, das die Deckplatte trägt? Ganz gewiss ist nicht die Taufsäule gemeint, die später im Wasser des Jordans von Christen errichtet wurde. Ebenso merkwürdig ist es, dass im Hintergrund nicht das offene Land zu sehen ist, sondernn ein prächtiges Gebäude. Welchen, in frühchristlicher Zeit viel besuchten Ort meint diese Architekturkulisse? Ist Bethel im Westjordanland gemeint, oder Bethanien im Ostjordanland? Ich habe zunächst das Bibellexikon von Herbert Haag konsultiert ohne genaueres zu erfahren, dann aber im Internet einiges über Bethanien in Jordanien gefunden, wo heute Ausgrabungen und die Taufstelle gezeigt werden. Die Säule oder Stele zwischen Jesus und Johannes ist gewiss auch hier ein "Zeuge des Geschehens". Kann mir jemand einen Vorschlag machen? Immerhin ist die Nr.37 das Vorspiel zum Bild der Taufe Jesu, die im Westen am Sonntag nach Epihanie gefeiert wird, in frühchristlicher Zeit und in der orthodoxen Kirche aber mit dem Dreikönigsfest und dem ersten Wunder bei der Hochzeit zu Kana eine Einheit bildet.


Müstair Südwand, Bild Nr.38: Taufe Jesu
Diese, leider nur fragmentarisch erhaltene, wichtige Szene werde ich morgen in einem neuen Post besprechen.

Mittwoch, Dezember 13, 2006

Johannes der Täufer bereitet Jesu öffentliches Auftreten vor


Müstair Nordwand, zweitoberstes Register, Bildfeld Nr 36

Das Feld Nr.36 ist das letzte dieser Reihe. Es leitet zur Ostpartie über, wo in der Hauptapsis die Ankunft des ewigen Gottessohnes zur Menschwerdung dargestellt ist(es ist das Bild zum Weihnachtsgottesdienst und sozusagen das Titelbild des gesamten Freskenprogramms! Siehe den Blog vom 19. Sept.). Wieder ist nur die untere Partie der Szene erhalten. Zu sehen ist die Predigt Johannes, des Täufers, der das Volk der umliegenden Orte zur Busstaufe aufruft (Luk.3, 1- 14). Die linke Hälfte zeigt im Vordergrund - also auf dem Bühnenstreifen!- einen zweistämmigen Baum in dessen Verzweigung ein Werkzeug liegt, und den in ausgreifender Schrittstellung predigenden Herold des kommenden Messias. Rechts steht eine Gruppe von Zuhörern in der die jüdische Oberschicht kennzeichnenden Gewandung mit breitem farbigem Saum. Zwischen beiden Hälften ist im Hintergrund vielleicht das Wasser des Jordans angedeutet. Der Baum mit der Axt fehlt selten in den Darstellungen des Täufers. Meist wird er als Anspielung auf das Drohwort des Johannes interpretiert. Da er aber hier nicht in die Hintergrundkulisse integriert ist, sondern deutlich als Protagonist auf der Bühne erscheint, deute ich ihn als Zeuge des Geschehens und als Kennzeichnung eines Pilgerortes in Palästina, nämlich der Stelle am Jordan, wo sich zwei Strassen bei einer Furt durch den Fluss kreuzenm. Dort soll der Prophet Elias, wie später auch sein Schüler Elischa, die Fluten mit seinem Mantel gespaltet haben (2 Könige 2, 8-15), kurz bevor er auf feurigem Wagen in den Himmel entrückt wurde. Dort soll auch Elischa ein in den Fluten versunkenes eisernes Beil wunderbarer Weise wiederbeschafft haben (2 Könige 6,1-7). Die hier veranschaulichte Bibelstelle ist die Perikope zur Liturgie des 3. Advents-Sonntags, der diese Jahr auf den 17. Dezember fällt.

Dienstag, Dezember 12, 2006

Der zwölfjährige Jesusknabe im Tempel


Müstair Nordwand, zweitoberstes Register, Bildfeld Nr.35

Obwohl das Bild schlecht erhalten ist, kann ich mit Sicherheit sagen, dass hier die Auffindung des Jesusknaben bei den Schriftgelehrten im Tempel dargestellt ist(Lukas 2,39-52). Man sieht die Unterkörper von drei auf einer Bank sitzenden Gestalten. Zwei sind in Gewänder mit farbigem Saum gekleidet, der dritte in rötlichem Gewand und etwas dunklerem Mantel hält eine Schriftrolle in der linken Hand und ist barfuss (oder trägt Sandalen). Dieser muss der Jesusknabe sein, der in der Tempelvorhalle mit den Lehrern diskutiert. Ganz rechts im Bild steht eine Frau in langem Kleid, das nur die beschuhten Fussspitzen frei lässt. Es ist Maria, die auf ihre vorwurfsvollen Worte: Warum hast du uns dies angetan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht, die irritierende Antwort erhält: Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines (himmlischen!) Vaters sein muss? Die wesentliche Aussage der Szene ist hier also nicht die Klugheit und Redegewandtheit des Knaben, sondern das erwachende Bewusstsein um seinen Auftrag. Es heisst zwar, dass er mit seinen Eltern heimkehrte und ihnen untertan war, aber einige Jahre später wird er sich von seiner Familie distanzieren und sagen: wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? so berichten es übereinstimmend die synoptischen Evangelien. Wiedereinmal zeigt es sich, dass fast jedes Bild im Zyklus über sich selber hinausweist und zum weiterlesen und nachdenken auffordert.

Sonntag, Dezember 10, 2006

Der Kindermord in Betlehem

Müstair Nordwand Nr.33, Foto U.P.S. San Francisco, 2006



Im Gegensatz zu den beiden gut erhaltenen vorausgehenden Feldern, sind vom nächsten Bildpaar nur noch Fragmente erhalten. Nr.33 lässt die grausame Szene der Tötung der Kleinkinder erahnen. Man sieht links zwei auf dem Boden sitzende Frauen, die ihre Kleinen beweinen; die weiss gekleidete im Vordergrund mit ihren Wickelkind im Schoss. Rechts steht breitbeinig ein Kriegsknecht inmitten einer Anhäufung von Kinderleichen. Im Bildfeld Nr.34, das wegen eines karolingischen Fensters etwas schmäler als die andern ist, befindet sich links ein Hofbeamter in langem Gewand vor dem Thron des Herodes und rechts aussen sieht man gerade noch den Rundschild eines Leibwächters. Von König Herodes, der sich offenbar in einer heftigen Befehlsgeste nach links wendet, sind nur noch die Füsse und Unterschenkel auf dem Thron-Podium erhalten. Am 27.-29. Dezember wurde schon früh der Gedenktag für die Unschuldigen Kinder begangen. Er wurde sogar als Fest gefeiert, da man sich diese ersten für Christus gestorbenen Blutzeugen als glücklich in himmlischen Gefilden lebende Paradieskinder dachte. Bei der grossen Kindersterblichkeit war es vielleicht sogar ein Trost für die trauernden Eltern sich vorzustellen, dass ihre Kleinen im Jenseits von fröhlichen Spielgefährten empfangen wurden. Darum gab es wohl zu allen Zeiten viele sehr ausführliche Darstellungen des blutigen Geschehens von Betlehem.



Nr.34 Herodes befiehlt die Tötung der Kinder, Foto U.P.S. San Francisco, 2006

Auch die letzten beiden Bildfelder sind durch den Gewölbeeinbau stark zerstört und schwer lesbar. Hilfreich sind da ähnliche Szenen aus der frühmittelalterlichen Elfenbeinkunst und Buchmalerei. Zur Zeit bin ich allerdings noch nicht im Stand meine ergänzenden Strichzeichnungen zu den Bildfeldern dieser Reihe 29 - 36 einzuscannen. Ich werde das aber gelegentlich nachholen.

Es dürfte nun deutlich geworden sein, dass in diesem zweiten Register der Nordwand eine fortlaufende Erzählung der Kindheitsgeschichte Jesu angestrebt ist, ohne dass deswegen auf das sinndeutende Ordnungsprinzip von je zwei gedanklich zusammengehörenden Szenen verzichtet wird.

Samstag, Dezember 09, 2006

Die Flucht nach Aegypten und das Rahel-Grab

Müstair Nordwand Bild Nr.32: Die Flucht nach Aegypten. Foto U.P.S. San Francisco, 2006

Nr.31 und Nr.32 sind durch das karolingische Fenster zwischen beiden Szenen eher verbunden als getrennt. Das Bild der Flucht nach Aegypten hat kein betontes Zentrum, sondern ist in 2 Hälften geteilt: links bilden Maria mit dem Kind auf einem Maultier und ein junger Mann mit einem Sack über der Schulter eine kompakte Gruppe, die von einem Bogen im Hintergrund gerahmt wird. Rechts schreitet Joseph, der das Reittier am Zügel führt, auf einen kleinen Kuppelbau zu, der, im Vordergrund auf der schmalen Bühne stehend, eine wichtige Rolle zu spielen hat, also nicht Beiwerk ist, sondern Protagonist. Es handelt sich um eine offene Aedicula über dem gewachsenen Erdboden, die nicht zur Hintergrundkulisse gehört, die die Stadt Betlehem andeutet, sondern eindeutig einen besonderen Ort bezeichnet. Ich halte dafür, dass es sich um das "Rahelgrab" handelt, das nach alter Ueberlieferung ausserhalb der Stadt als Gedenkstätte verehrt und immer wieder neu aufgebaut wurde. Auf einer Reise durch Jordanien und Syrien habe ich mehrfach solche offene kleine Kuppeln gesehen, die von unserem Reiseführer als "Heiligengrab" bezeichnet wurden. Die heilige Familie wird den Ort nicht betreten, aber er ist ihr Anlass zum Gespräch. Das etwa zweijährige Jesuskind ( der Maler hat den Text genau gelesen!) beugt sich auf dem Schoss der Mutter vor und zeigt mit dem Finger fragend auf das kleine Gebäude am Strassenrand. Joseph gibt mit seiner grossen im Sprechgestus erhobenen Hand die Antwort, die im Evangelientext steht und die den Propheten Jeremias zitiert: Eine Stimme hört man in Rama, viel Weinen und Wehklagen: Rachel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind. Gemäss einem Kommentar in der Jerusalemer Bibel ist dies als ein prophetischer Hinweis auf den betlehemitischen Kindermord zu verstehen. Tatsächlich schildern die beiden nächsten Bildfelder in Müstair ( Nr.33 und 34) in drastischer Darstellung sowohl das Gemetzel als den König Herodes, der den Befehl dazu erteilt. Die hier nachzulesende relativ kurze Perikope, die Anlass zu vier aufeinanderfolgenden Szenen gab, ist Matthäus 2, 13 -18.

Freitag, Dezember 08, 2006

Müstair St. Johann und die düstere Seite der Weihnachtsgeschichte

Foto von U.P.S. San Francisco, 2006
Die freudig gestimmten Bilder der Südwand mit der Geburt des Messias-Kindes, Engelsbotschaft an die Hirten und Anbetung der "heiligen drei Könige" sind nicht erhalten. Wie öfter im frühen Mittelalter finden sich an der Nordwand die düsteren Aspekte der biblischen Erzählungen versammelt. Nr.29 zeigt die drei Weisen, die, von einem Engel gewarnt,
nicht nach Jerusalem zu König Herodes zurückkehren, sondern direkt in ihre ferne Heimat zurückreiten. Nr.31 -34 (Matth.2, 12 - 18) berichten ausführlich vom betlehemitischen Kindermord und die dazwischen eingeschobene "Darstellung des Kindes im Tempel (Nr.30)" enthält in den Worten des alten Simeon, die bei Luk. 2, 34-35 nachzulesen sind einen Hinweis auf das künftige Leiden Marias und ihres Sohnes!
Nr 31 zeigt das Traumgesicht Josephs ( Matth.2, 13) Das heute zum grössten Teil hinter der Orgel verborgene Bildfeld ist durch ein karolingisches Fenster mit hübscher Vogelranke in der Laibung beschnitten. Man sieht den in einem gedrechselten Bett schlafenden Joseph, Kopf und Flügel des links oben erscheinenden Engel und unter dem Fenster die angedeutete Stadt Betlehem; im Titulusstreifen darunter ist vom Begleitvers noch das Wort Egipto zu lesen. In der nächsten Szene, Nr 32 hat sich die Familie schon auf den Weg gemacht um der Warnung des Engels Folge zu leisten. Wir sehen ein ganz besonders gestaltetes Bild der Flucht nach Aegypten, das direkt auf die anschliessende grausame Darstellung des Kindermordes von Betlehem Bezug nimmt.

Sonntag, Dezember 03, 2006

Der Liber Viventium Fabariensis und der Vierpass als Symbol der himmlischen Herrlichkeit

Die Herrlichkeit Gottes - kann man sie andeuten? Das ungeschaffene Licht - was ist das?
Die hebräische Bibel sagt, dass Jahwe, der unsichtbare Gott, in dem von ihm ausgehenden, unzugänglichen Licht wohnt: im Glanz (kabod)! In der griechischen Uebersetzung wird das hebräische Wort "kabod" mit Ruhm, Ehre, Lichtglanz (doxa) wiedergegeben; lateinisch liest man gloria (Ehre, Ruhm, Lichtglanz). Und in der deutschen Annäherung heisst das dann zuweilen: die himmlische Herrlichkeit! Gibt es eine Möglichkeit diesen Nicht-Ort, diesen Glanz, diese Ausstrahlung symbolisch darzustellen? Ich behaupte: ja.
Als ich vor vielen Jahren an einem Buch über den sogenannten "Liber Viventium von Pfäfers" beteiligt war und den künstlerischen Schmuck dieser frühmittelalterlichen Handschrift beschreiben und analysieren sollte, ist mir im wahrsten Sinn des Wortes ein Licht aufgegangen. Das Buch an dem diverse Autoren mitarbeiteten ist nie erschienen. Der Ersatz, der in erstaunlichem Alleingang von einem einzelnen Kunsthistoriker geleistet wurde und der nun das Faksimile des Pfäferser Memorialbuches als Kommentarband begleitet, datiert den Codex zu spät, verneint eine Entstehung in mehreren Phasen und geht auf die ursprüngliche Bedeutung der vier ganzseitigen „Evangelisten-Bilder“ kaum ein. Der Aspekt des Vierpasses als Symbolform wird nicht erwähnt (Anton von Euw: Liber Viventium Fabariensis, Frankeverlag, Bern/Stuttgart 1988).

Dass der Vierpass mehr als eine Schmuckform ist und nicht nur die Einheit der vier Evangelien andeutet, sondern ursprünglich wirklich den Gottesglanz, die himmlische Herrlichkeit symbolisiert, kann ich hier nicht ausführlich begründen. Ich verweise lediglich auf die vierpassförmigen Rhipidien ( Hoheitszeichen, die in der georgisch-orthodoxen Liturgie die Anwesenheit der von Engelwesen begleiteten, unsichtbaren Gottheit darstellen) und sodann auf die zahlreichen Vierpässe, die auch im Abendland etwa seit dem 12.Jh. die Heiligen umschliessen, die nach ihrem Tod in den Himmel eingegangen und somit bei Gott sind.

In Vertretung des reichen Buchschmuckes des im letzten Viertel des 8.Jh als bischöfliches liturgisches Gedenkbuch begonnenen"Liber Viventium" (Buch der lebenden und verstorbenen Freunde und Wohltäter, die in der Messliturgie namentlich erwähnt werden sollen) bilde ich hier die Titelseite zum Markus -Evangelium ab (p.52 des Faksimile-Bandes). Man blickt in einen orientalischen Paradiesgarten: Unter einem hufeisenförmigen flächigen Bogen schwebt ein Vierpass mit einem geflügelten Löwen über einem Pflanzen-und Vogelmotiv. Nun muss man wissen, dass die sogenannten Evangelistensymbole ursprünglich Bildgestalten Christi und seiner im jeweiligen Evangelium hervorgehobenen Eigenschaften waren: seine Menschlichkeit, seine königliche Machtfülle, sein Priestertum und seine göttliche Natur! Trotz der Beischrift Evangelista oder Apostolus ist also im dargestellten Wesen Jesus Christus selber gemeint und der ihn rahmende Vierpass zeigt ihn in seiner Einheit mit dem Vater in der göttlichen Herrlichkeit. Die Vierpassform war im jüdischen Umfeld einst wohl ein Ideogramm, eine abgekürzte und vereinfachte graphische Darstellung des in der Ezechielvision geschilderten vierrädrigen Thronwagens Gottes.

Oben ist die grosse Initiale zum Te-igitur im Messkanon des Remediussakramentars zu sehen. Sie steht dort auf p.368, wo unten auch der Gedenkeintrag für Bischof Remedius zu finden ist. Unten zeige ich - leider in einer schwarz-weiss Fotographie - die Doppelarkade von p.65 im Liber Viventium, die den Memorialteil zu Markus eröffnet (einst eine leere Zierseite ohne Namenseinträge). Man beachte die Ähnlickeit des kunstvollen Flechtwerks (Doppelklick auf das Bild zwecks Vergrösserung) in den beiden Handschriften! Sollten sie wirklich in einem Abstand von ca. 40 Jahren geschaffen worden sein? War da nicht ein und der selbe Künstler am Werk?

Das mit einem Kurz-Evangeliar, mit 4 Titelbildern und mit 4 Eingangstoren aus feinstem Flechtwerk versehene und von zahlreichen Bogenrahmen für Namenslisten begleitete Memorialbuch war ursprünglich rein zeichnerisch gestaltet. Es gehörte, wie ich meine, einst dem Bischof Remedius von Chur, dessen vor 785 zu datierendes Sakramentar einen ähnlichen Schriftcharakter und ähnliche Schmuckelemente aufweist. Erst nach dessen Tod im Jahr 820 gelangte es in den Besitz der Abtei Pfäfers, wo es auseinandergenommen, neu zusammengesetzt, farbig ausgemalt und schliesslich zum klösterlichen Traditionscodex umfunktioniert wurde. Vermutlich wurden damals einige ältere Lagen mit Namenseinträgen entfernt und durch rasch gezeichnete Bögen ersetzt. Die vier zu den Titelbildern passenden feingearbeiteten, einst leeren Doppelarkaden mit kunstvollem Flechtwerk wurden erst im mittleren und späten 9.Jh. mit Namenslisten gefüllt.

Sonntag, November 26, 2006

Morning has broken.... (gälisches Volkslied)

Heute will ich nicht alte Bilder beschreiben, sondern meine heitere, gelöste Stimmung. Letzte Woche hatte ich Geburtstag und trauerte nicht der vergangenen Zeit nach, und empfand mich nicht als uralt (was ich eigentlich bin!), sondern freute mich über jede Begegnung, über die sonnigen Novembertage und darüber, dass ich überhaupt noch lebe. Es geht mir gut. Ich habe intensive Träume. Ich lerne täglich Neues, erinnere mich an Altes, stelle neue Fragen ... und versuche nicht mehr die endgültige Antwort zu finden. Das kann sich plötzlich ändern. Aber wozu grübeln? Was ist ,das ist, und was kommen wird das kommt. Und vorläufig ist jeder Tag ein Geschenk!
Das gälische Volkslied, das als Titel über meinem Post steht, wurde heute von jungen Burschen und Mädchen in der Kirche gesungen. Ich bin eigentlich nur hingegangen weil ich einen versprochenen Text holen wollte - und bin beglückt und beschenkt heimgekommen. Seltsam wie meine römisch-katholischen Wurzeln, die ich für vertrocknet und hinderlich hielt, sich wieder in den Boden senken und versuchen Fuss zu fassen. Von Reprobus war die Rede, der zum Chritophorus wurde und den es so gar nicht gab - er wurde von Rom aus dem Heiligenkalender gestrichen - und dem man doch immer wieder begegnen kann, sogar in sich selber. Die alten Heiligen bilden ein worldwide web und lachen über unseren aufgeklärten Skeptizismus ... Hat sich doch ausgerechnet heute der Fundbüro-Antonius wiedereinmal manifestiert und mich durch einen schier unglaublichen Zufall an ein nicht eingelöstes Versprechen erinnert...

Freitag, November 24, 2006

Ein Licht für die Völker und Israels Glanz


Müstair Nordwand, Bereich der Nonnenempore
Unten: siehe die beiden letzten Posts. Oben: Nr 29 Heimreise der 3 Weisen Nr.30 "Lichtmess" = Darstellung des Kindes im Tempel (griechisch:Hypapante = Begegnung mit Simeon) Foto aus dem Schweizerischen Kunstführer für Müstair, Nr 384/385,1986, S.17

Die Bilder der Kindheitsgeschichte Jesu an der Südwand (Nr 21-28) sind alle verloren. Man weiss nicht einmal ob sie mit der Verkündigung an Maria begonnen haben, oder - falls sich Verkündigung und Heimsuchung beidseits der Mittelapsis an der Stirnwand befunden haben - mit der Engelsbotschaft an Joseph. Aber die letzte Szene (Nr.28) muss die Anbetung der Magier aus dem Osten dargestellt haben, denn das erste Bild an der Südwand (Nr.29) zeigt diese auf der Heimreise. Es ist zwar nur als Fragment erhalten, aber man sieht deutlich drei nach links, also in der Gegenrichtung der Erzählung, schreitende Pferde und die mit engen Hosen bekleideten Beine der beiden hinteren Reiter. Gemäss dem Text von Matthäus 2,12 erhielten die Magier oder Sterndeuter im Traum die Weisung nicht zu Herodes zurückzugehen, sondern auf einem anderen Weg in ihr Land heimzukehren. Dort verkündeten sie alsbald, was sie in Betlehem gesehen hatten: den neugeborenen König der Hebräer, ein Licht für die Völker. Sie wurden die ersten Herolde Jesu Christi.(So berichten es ostkirchliche Hymnen zu Epiphanie)



Feld Nr.30: Darstellung des Kindes im Tempel.

Im Text Matth.2, 13 schliesst nun sogleich Josephs Traum und die Flucht nach Aegypten an, sowie der Bericht vom Kindermord zu Betlehem. In Müstair aber ist die Darstellung des Kindes im Tempel dazwischen geschoben, weil die Begegnung mit den beiden frommen alten Israeliten, Simeon und Hanna, so wichtig ist. Denn sie hatten Ohren zu hören und Zungen zu künden,, was sie gesehen hatten. (Lukas 2, 25-38) Auch dieses Bild ist nur in seiner untern Partie erhalten, doch kann man es mit Hilfe von Vergleichen rekonstruieren: Links stehen zwei Frauen, eine in dunklem Gewand und hellem Mantel (Hanna) und eine in rötlichem KLeid, die ein Kleinkind in den Armen trägt, von dem allerdings nur noch das Kleidchen und zwei kleine beschuhte Füsse zu sehen sind. Das Kind wird von Simeon in Empfang genommen, der sich mit verhüllten Händen und gebeugten Knieen eilends von rechts her naht.


Russische Ikone (15.)nach sehr alter Vorlage: Hypapante = Begegnung. Von rechts kommt Symeon, hinter Maria steht die greise Hannah.

Wichtig zum Verständnis für den Sinngehalt der Bilder Nr 29 und 30 ist der Lobgesang Simeons: Jetzt lässt du deinen Sklaven in Frieden ziehen, Herr, gemäss deinem Wort. Meine Augen haben das Rettende gesehen, das du vor allen Stämmen Israels bereitet hast: Licht zeigt sich den Heidenvölkern und Glanz deinem Volk, Israel.

Donnerstag, November 23, 2006

Ephata - öffne dich, höre und sprich!




Nr.46 Jesus heilt einen Taubstummen (Markus 7,31-37) Bild aus Gnädinger/Moosbrugger:Müstair, Zürich 1994, S.71

Stand im vorausgehenden Bild die Gestalt Christi, des messianischen Retters im Zentrum, so ist es hier seine Hand im Mund des Stummen zu dem er sagt: Ephata, tu dich auf! Drastisch wird im Markustext geschildert, wie Jesus die stammelnde Zunge des Bittenden mit Speichel berührt und wie der Gehörlose daraufhin wunderbarerweise sogleich richtig sprechen kann. Und bildete vorhin ein ganzes Stadttor die Hintergrundskulisse, so sind es nun einzelne Versatzstücke, die Gruppen und Einzelfiguren hervorheben und betonen. Mir scheint, dass der Maler für die Blindenheilung eine spätantike Vorlage benützte, während die Szene von der Heilung des Taubstummen für das im Bildprogramm vorgesehene Bildpaar in mittelalterlichem expressivem Stil neu konzipiert wurde. Dass es hier um mehr geht, als um einzelne Heilungswunder, wird ersichtlich wenn man die beiden Szenen im Register darüber betrachtet und nach ihrem hier gemeinten Sinn fragt. Sie gehören zur Kindheitserzählung und lassen sich, obwohl nur fragmentarisch erhalten, mit Hilfe von Vergleichen gut rekonstruieren. Es sind dies Nr. 29: die Heimreise der Weisen aus dem Morgenland und Nr.30: der prophetische Lobgesang des alten Simeon anlässlich der vom mosaischen Gesetz gebotenen Vorstellung des erstgeborenen Kindes im Tempel von Jerusalem. Diese Bilder und weitere sechs Fragmente werde ich in den folgenden Tagen besprechen.

Sonntag, Oktober 29, 2006

Begegnung am Stadttor von Jericho

Die Erinnerung an einen Tag in Jericho anlässlich einer Jordanienreise veranlasst mich, nach einem längeren Unterbruch die Tagebucheintragungen zu meinen Müstairer Studien heute wieder auf zu nehmen. Denn heute, am 29. Oktober, wurde im Gottesdienst gemäss der liturgischen Ordnung die Perikope von einem blinden Bettler in Jericho gelesen, der den Nazarener, der eben die Stadt in Richtung Jerusalem verlassen wollte, durch lautes Schreien auf sich aufmerksam machte (Markus 10, 46-52)


Bild Nr 45 an der Nordwand: Jesus und die Blinden von Jericho. Abbildung aus Gnädinger/Moosbrugger, Zürich 1994, S.70

Als erstes fällt auf, dass hier zwei gestikulierende blinde Bettler am Stadttor sitzen! Es ist also nicht die eben erwähnte Markusperikope dargestellt, sondern eine Parallelstelle bei Matthäus (Mat.20,29-34). Was hat wohl den Schöpfer des Bildprogramms veranlasst, diese Version der Erzählung zu wählen? Vergleichen wir die beiden Textstellen, so wird ersichtlich, dass bei Markus ein Individuum im Zentrum steht, das seine ganze Hoffnung auf Jesus setzt, bei Matthäus aber geht es eher allgemein um den messianischen Auftrag des Davidssprosses das Licht der Welt zu sein und den Menschen die Augen zu öffnen. Darum ist im Bild von Müstair nicht der Moment der Blindenheilung dargestellt, sondern Jesus erscheint, machtvoll ausschreitend, von der lichten Öffnung des Stadttors gerahmt, zwischen dem staunenden Volk und den beiden Blinden, die "Erbarme dich unser,Sohn Davids" schreien (das Bildfeld ist links aussen durch einen gotischen Wandpfeiler beschnitten). Und dass mit Jesus die messianische Zeit angebrochen ist, wo "Stumme reden, Verkrüppelte gesund werden, Lahme gehen und Blinde sehen" (Matth.15, 29-31)zeigt sogleich das nächste Bild Nr.46, wo mit der Heilung des Taubstummen wieder das obligate Bildpaar nebeneinander gestellt ist.
Vom Gedankenreim oder Parallelismus, einer rhetorischen Form, die sich oft im hebräischen Sprachstil und dort vor allem in den Psalmen findet, war schon beim Versuch den Davidszyklus zu rekonstruieren die Rede. Das Wissen darum hilft auch beim Benennen der nur fragmentarisch erhaltenen neutestamentlichen Szenen im Bilderzyklus von Müstair, von denen in den nächsten Wochen die Rede sein wird. Zunächst habe ich aber, ausserhalb der mit Nr.29 einsetzenden Reihe links oben an der Nordwand, mit einem vorzüglich erhaltenen Bilderpaar begonnen, das sich im Bereich der Klausur auf der Nonnenempore befindet und darum den Besuchern der Klosterkirche nicht zugänglich ist: Nr. 45 und 46 an der Nordwand: Jesus öffnet den Blinden die Augen und dem Tauben die Ohren und den Mund.

Samstag, September 30, 2006

Mehr zur Bischofsweihe



Müstair Südapsis, Bild links vom Fenster: Vigilius (385-400) wird zum Bischof geweiht






Bischofsweihe 1986 in Bern


Die Christkatholische Kirche greift in vielem auf die Frühe Kirche zurück, so auch beim Ritus der Bischofsweihe. Das Evangelienbuch symbolisiert Christus, da er der eigentliche Konsekrator ist. Es wird dem gewählten neuen Bischof vom Hauptkonsekrator offen aufs Haupt gelegt. Dazu wird Psalm 23 gesungen (Des Herrn ist die Erde und was sie erfüllt. .= Macht hoch die Tür...)Dann salbt der Hauptkonsekrator das Haupt des zu Weihenden. Nachher halten zwei Geistliche während der ganzen Zeremonie das Buch offen über seinen Kopf. Alle anwesenden Gestlichen legen nacheinander die Hand auf sein Haupt. Dazu spricht der Konsekrator das Weihegebet.
Nachtrag zum karolingischen Bild: Es scheint also, dass das Hauptcharakteristikum dieser Weihezeremonie das offene Evangelienbuch über dem Kopf des zu Konsekrierenden ist!

Donnerstag, September 28, 2006

Müstair, St.Johann: Die Anordnung der Bilder an den Seitenwänden


Nordwand, ganz (Postkarte, Foto Hans Steiner, St.Moritz)

Vom Davidszyklus im obersten Register habe ich schon gesprochen. Bevor ich nun einige Szenen des Christuszyklus beschreibe, sind ein paar Worte über das Dekorationssystem der Müstairer Saalkirche fällig. Natürlich muss man sich beim Betrachten dieser Aufnahme die gotischen Einbauten wegdenken um die Bilder in ihrer einstigen Anordnung zu sehen und zu merken, wie überschaubar der Raum einst war.
Auffallend ist die in eine üppige Rahmung gefasste Rastereinteilung der beiden Längswände, die über einem hohen gemalten, von einem perspektivischen Mäander bekrönten „Marmorsockel“ für fünf Reihen von rechteckigen Bildfeldern Platz bot. Sie lässt zunächst keine „Leseordnung“ erkennen, sondern erweckt mit ihren gerahmten, zentriert komponierten Bildern den Eindruck einer vergleichenden Lehrtafel in einem Buch. Man darf wohl annehmen, dass diese Wandeinteilung üblicherweise zur schlichten arkadenlosen Bauform gehörte und dass sie, wenn auch nicht so aufwändig, von Anfang an miteingeplant war. Denn der von Gerüsten aus einfach zu bewerkstelligende Schnurschlag im frischen Verputz an den Bruchsteinmauern ermöglichte eine einfache klare Unterteilung der grossen Flächen (wagrecht, diagonal und als Zirkelschlag für Rundglorien und Nimben an zentraler Stelle). So war also wohl die Gliederung aller vier Wände schon durch den Bau vorgegeben: als Rastermuster für die Längswände, in welchem Fenster und Türen an beliebiger Stelle einfach ausgeschnitten werden konnten, als triptychonartiger Bühnenprospekt mit wagrecht verlaufendem oberstem Bilderfries an der Stirnwand und gedanklich zusammengehörenden Einzelprogrammen in den drei Apsisrundungen und schliesslich als ein einziges monumentales einheitliches Bildfeld an der Westwand. Die Rastereinteilung bewirkt gegenüber einer friesartig erzählenden Darstellung einerseits eine Vereinzelung der Bilder und damit eine vertiefte Art der Betrachtung und ermöglicht andererseits vielfache gedankliche Beziehungen wagrecht, senkrecht und quer durch den Raum. Einfache Leisten oder schlichte Ornamentstreifen hätten zur Trennung der Szenen allerdings genügt. Nun fällt aber die antikisch inspirierte und konsequent durchgeführte gemeinsame Rahmung aller Bilder auf, die an eine vorgetäuschte Täferung denken lässt.
Die Wahl des durchgehend verwendeten spätantiken Blattstab-Ornaments durch die Redaktoren des Bildprogrammes wurde wohl durch eine offenbar von Anfang an zur Verfügung stehende kostbare Handschrift veranlasst, die als Vorlage für den Davidszyklus des obersten Registers dienen sollte und die sich auch auf den Stil aller andern Bildfelder auswirkte, die sonst eher narrativer, mittelalterlicher und unruhiger, jedenfalls weniger durchkomponiert ausgefallen wären. Aus diesem fürstlichen mit ganzseitigen Illustrationen auf einander gegenüberliegenden Seiten ausgestatteten, spätantiken Bilderbuch stammt übrigens auch die weiter unten zu besprechende Anregung zur nur gedanklich nachvollziehbaren Zusammenstellung zweier Szenen zu Bildpaaren.
Ob auch die weitere formale Ausgestaltung des Rastersystems als ein festes „emailleverziertes“ Rahmengerüst hier ihren Ursprung hat, oder ob die Idee einer scheinbar selbständigen vor die Mauern gestellten Wandverkleidung aus der gehobenen Sphäre der fürstlich langobardischen Kunst (Palastkapellen?) stammt, oder aus dem Bereich des fränkisch-merowingischen Metallhandwerks (Altarantependien oder Reliquienkästen) bleibe dahingestellt.
Jedenfalls wird es trotz der heutigen ganz anderen Raumwirkung bei genauem Hinschauen und mit Hilfe alter Fotos und Aquarellkopien klar, dass jede der vier Wände des Saales über eine eigene Rahmung verfügt, welche die dort angebrachten als Reliefkästchen aufgefassten Szenen paliotto-artig zu einer Bilderwand zusammenfasst. Diese bietet nicht nur eine fortlaufende Erzählung, sondern ist auch eine Tabelle, die mit Hilfe der eusebianischen Kanontafeln (Wikipedia gibt Auskunft)ein freies Gedankenspiel zwischen den Parallelstellen der Evangelien zulässt.

Montag, September 25, 2006

Die irdische Liturgie im Bildprogramm der Südapsis

Erstes Register der erzählenden Bilder: Vigilius wird im Jahr 385 zum Bischof von Trient geweiht (Eigene Aufnahme) und: Messfeier des Neugeweihten (Eigene Aufnahme). Da der Sinn des Bildes in der Südapsiskalotte nun als "die himmlische Liturgie" verstanden ist, können auch die beiden noch erhaltenen Szenen beidseits des Fensters im Apsisrund gedeutet werden. Beide geben eine liturgische Handlung aus der Frühzeit (4./6. Jh) der christlichen Kirche wieder. Links vom Fenster ist eine Bischofsweihe dargestellt (siehe oben) und rechts vom Fenster die Messfeier des Neugeweihten (siehe unten). (Vigilius bei der Gabenbereitung während dem Sanctusgesang?).
Bischofsweihe: Links das akklamierende Volk, das ihn gewählt hat, im Zentrum der Priester Vigilius, dem zwei andere Kleriker die Hand auf die Schulter legen und der ebenfalls mit einem Nimbus ausgezeichnete Bischof, (nach Paulus Diaconus ein Apostelschüler), der das offene Evangelium bereit hält um es dem zu Weihenden auf den Kopf zu legen. Der Altar rechts, über dem sich ein Ciborium mit einer herabhängenden Krone erhebt, zeigt wohl die Bedeutung Trients als Hauptort einer italienischen Grenzfestung und als Bischofssitz an.
Messfeier des Neugeweihten zwischen Praefation und Hochgebet: Links bringen einige Kleriker den Kelch mit dem Wein. Am Sigmatisch sitzt der mit Dalmatik und Stola bekleidete jugendliche Bischof, der das Tuch mit dem vom Volk dargebrachten Brot auf den Knieen ausgebreitet hat. Brotstücke und Sieb für den Wein liegen auf dem Tisch. Mehr als die Hälfte des Bildfeldes ist wegen einem späten Fenstereinbruch verloren. Hier muss man sich wohl die Sänger vorstellen, die den himmlischen Lobgesang, das Sanctus, singen, in den das ganze Volk einstimmt und der zugleich auch oben im Himmel erklingt. Denn es gab die feste Ueberzeugung, dass im Augenblick des Sanctusgesangs der Himmel sich auftut und Engel und Mächte und Gewalten und alle Heiligen im Himmel sich im Gotteslob mit der irdischen Gemeinde zu einem gewaltigen Chor vereinigen.
Vigilius wurde im Alter von 20 Jahren Bischof von Trient. Er gilt als der Apostel des östlichen Alpenlandes zu dem der Vinschgau (und also auch das Kloster Müstair am Rombach, einem Nebenfluss der Etsch, gehört). Er barg die Asche seiner von der noch heidnischen Bevölkerung getöteten Diakone, die er zur Mission ins Non- Tal gesandt hatte, und berichtete seinen Vorgesetzten von deren Märtyrertod. Sie werden noch heute im Etschtal als die anaunischen Märtyrer verehrt. Um 400 soll Vigilius selber im Val Rendena das Martyrium durch Steinigung erlitten haben, nachdem er zuvor den Himmel offen und Christus in seiner Herrlichkeit gesehen hatte. Die älteste rätisch-alemannische Handschrift, die seine Vita enthält, liegt im Kloster St.Gallen. Ich nehme an, dass die Südapsis von Müstair mit Vigilius von Trient die Regionalkirche der Regio Tridentina darstellt (nach dem Konzept des Paulus Diakonus in seiner 784 verfassten "Bischofgeschichte von Metz"; siehe meinen Post zum Himmelfahrtsbild) und so auch die Aufgabe jeder Ortskirche: die Feier der Eucharistie und das Spenden der Sakramente zu gewährleisten. Zur Zeit der Neubemalung der Ostpartie der Müstairerkirche lag der Bischof von Chur im Streit mit dem Bischof von Trient. Wahrscheinlich wurde damals Vigilius eliminiert und in den neuen Bildern durch den in Chur besonders verehrten heiligen Stephanus ersetzt. Darum zeigen das zweite und das dritte Register im Apsisrund seit dem späten 12. Jh. die Aussendung des Diakons Stephanus durch den hl. Petrus zum Dienst an den Armen , die Gefangennahme und Verurteilung durch den jüdischen Hohepriester, die Steinigung und das Begräbnis.

Sonntag, September 24, 2006

Das Bildprogramm der Südapsis

Das alte Schwarzweissbild (Foto H. Steiner, St.Moritz) ist die einzige Foto, die das Medaillonkreuz unverzerrt als lateinisches Kreuz (Leidenskreuz) wiedergibt. Im Farbbild daneben sieht es fast wie ein gleichschenkliges griechisches Kreuz aus (Licht, Heil, Herrschaft Gottes). Der Künstler, der die Darstellungen in den drei Halbkuppeln entworfen hat, konnte seine Formgebung jedenfalls so berechnen, dass der Betrachter vom Kirchenraum aus das jeweilige Bild in der gewünschten Form sah. Über die Deutung dieses "Denkbildes" wurde viel gerätselt und meist blieb es zuletzt bei der neutralen Bezeichnung: Gemmenkreuz, Triumphkreuz oder Siegreiches Kreuz (gemeint ist Christi Sieg über den Tod). Kunsthistorische Terminologie und hochtheologische Erläuterungen stiften hier eher Verwirrung und auch ein beschreibendes Gedicht eines Zeitgenossen - wiederum kommt der Langobarde Paulus Diakonus ins Spiel - helfen dem modernen Laien nicht weiter. Und wenn ich jetzt die wahrscheinlich zutreffende Bezeichnung: "Die himmlische Liturgie" unter das Bild setze, so sagt das den einen gar nichts und die anderen werden ausrufen: Dieser Terminus ist doch für eine ganz andere Darstellung in der ostkirchlichen Kunst reserviert! Bleibt also wieder einmal nur das genaue Hinsehen und dann die Rückbesinnung auf die mittelalterliche Frömmigkeit.
Südapsiskalotte (Foto Bea Ess, Luzern): Vor den rosigen Wölkchen eines Morgenhimmels schwebt ein mit Edelsteinen, Perlen und Bildnismedaillons geschmücktes Kreuz am Himmel. Ein heller, kreisrunder Lichtschein geht von ihm aus. Das grosse Medaillon im Zentrum zeigt eine Christusbüste, das oberste einen Engel, in den drei anderen könnte man Petrus und Paulus und eine dunkel gekleidete Frau(Maria? Magdalena?)oder einen Mönch mit Kapuze(St.Benedikt?)erkennen. Unter den Kreuzarmen sind die vier, in Kreisrahmen gefassten, apokalyptischen Lebewesen dem sieghaft leuchtenden Kreuz verehrend zugewandt; sie tragen die Bücher der Weisheit auf dem Rücken zwischen ihren Flügeln.
Unterhalb der rätselhaften Erscheinung ist in elegant verschachtelter Zierschrift der grosse Lobgesang aus der geheimen Offenbarung zu lesen: Sanctus Sanctus Sanctus Dominus Deus qui est qui erat qui venturus est/ Heilig heilig heilig ist Gott der Herr, der ist, der war und der sein wird(Offenb.4,8).
Die eher karge Darstellung meint also das ewige Gotteslob im Himmel und die Verehrung des "Lammes", also Jesu Christi des Erlösers (Offenb.1- 5). (Denn nach Ambrosius Autpertus ist das Kreuz der Thron des Lammes) Nun haben wohl selbst die gebildeten unter den Müstairer Mönchen diese komplexe Aussage kaum ohne weiteres verstanden. Anders ist es mit dem kostbaren Kreuz allein. Etwa vom 6.Jh. an bis ins hohe Mittelalter wussten auch die einfachen Menschen, dass das heilbringende Kreuz eine Bildgestalt des getöteten, auferweckten und verherrlichten Christus ist, und dass angeheftete Rosen oder Bildnisse die seligen Verstorbenen meinen, die mit ihm für immer verbunden sind. Ich darf somit unter das Bild der Südapsiskalotte wirklich die Bezeichnung: "Die Liturgie im Himmel" setzen oder "die Gemeinschaft der Heiligen" oder einfach: der offene Himmel.

Samstag, September 23, 2006

Müstair und Johannes der Täufer


(Zeichnung E.Bruni im Schw.Kunstführer 733/34 2003)

Die Szenen 89-101 im Apsisrund der Mittelapsis handeln von Johannes dem Täufer. Obwohl nur fragmentarisch erhalten, sind im obersten Register die Ankündigung der Geburt an Zacharias (89-90) und Elisabeth im Wochenbett (91) eindeutig zu erkennen, während die Namensgebung (92) rechts aussen zerstört ist. (Lukas 1, 5-25 und 57-80). Im nächsten Register geht es weiter mit einem Fragment aus der apokryphen Überlieferung: entweder Ermordung des Zacharias oder Flucht der Elisabeth mit dem Kind, dann folgt sogleich die Gefangennahme des Täufers und im 3.Register dann, überdeckt von der romanischen Malerei des gleichen Themas, Enthauptung und Begräbnis(Mk.6,14-29) Es fehlt also im obersten Register die wichtige Szene der Begegnung zwischen den schwangeren Frauen Maria und Elisabeth (Lk 1, 26- 56), die in den beiden Messen zur Geburt des Täufers im Remedius-Sakramentar ausdrücklich erwähnt sind. Da Mariae Verkündigung und Visitatio stets als Sinnreim zusammen dargestellt wurden, könnten diese zwei Bilder im Jesuszyklus an der Südwand dargestellt gewesen sein.
Mir scheint eine andere Anordnung plausibler, nämlich in den beiden Zwickeln beidseits der Apsisöffnung an der Stirnwand, neben dem Kalottenbild mit der Ankunft des Logos. Denn diese beiden erzählenden Szenen wurden im Abendland stets als Hinweis auf die Menschwerdung verstanden und dargestellt. Sie finden sich in Kirchen deshalb öfters an der östlichen Stirnwand und hier in Müstair befänden sie sich zudem auf der Höhe des zweitobersten Bildregisters der beiden Seitenwände.
Weiter zu den nächsten Szenen im 2.Register. Nach der Einkerkerung des Johannes sieht man diesen nun im Kerker ( 95-96) wie er zwei seiner Gefährten zu Jesus schickt mit der Frage ob er der Messias sei (Matth.11, 2-6) und von deren Rückkehr mit einer Antwort aus dem Propheten Jesaias. Nach bewährter Manier dienen die zwei Bilder einzig dem Verweis auf diese Schriftstelle!


Spät-Romanische Übermalung der karolingischen Bilder im untersten Register:
Enthauptung des Johannes und Gastmahl des Herodes (Foto Bea Ess, Luzern)

Die dramatischen Geschehnisse im untersten Register sind unter der prachtvollen romanischen Malerei des späten 12.Jh. verborgen (Matth.14, 3-5). Obwohl nur noch kleine Flecken von den karolingischen Bildern darunter zu sehen sind, möchte ich hier eine Ueberlegung zur Anordnung dieser älteren Szenen zur Diskussion stellen. Nach meiner Meinung konnte hier keinesfalls Herodes im Zentrum sitzen, weil es nämlich eine Bedeutungsachse gibt, die vom Christusmedaillon zu oberst im Himmelfahrtsbild ausgeht (Er ist das Bild des Vaters), über den Christus Angelus zum grossen Fenster darunter -„ Christus,das Licht der Welt“ – führt und schliesslich unter dem Fenster, direkt über dem Altar, zum Symbol des Erlösers kommt. Das hätte das heilbringende Kreuz mit dem Lamm Gottes im Zentrum sein können. Darum muss die Hinrichtung des Johannes und das Herodesmahl links zu denken sein und das Grabgeleit und Begräbnis rechts. Nun gibt es jedoch ein altes Konventssiegel im Klosterarchiv, das eine andere Vermutung aufkommen lässt. Es stellt Johannes den Täufer im Fellmantel dar und vor ihm auf einem Hügel das Gotteslamm und zu beider Füssen ein knieender Mönch, der Abt des Männerklosters. Die umlaufende Umschrift spricht zwar von einer Aebtissin, aber das kann eine Zufügung sein. Jedenfalls zeigen alle späteren Klostersiegel ebenfalls Johannes den Täufer, aber nun so gestaltet wie er in der romanischen Malerei des 12. Jahrhunderts dargestellt worden ist.
Damit zählen wir also acht Täuferszenen in der Mittelapsis, und eventuell zwei oben an der Stirnwand und weitere kommen dazu, wenn die Seitenwände des Saals besprochen werden. Innerhalb des Jesuszyklus finden sich nämlich weitere Johannesdarstellungen, die alle im Bereich des durch drei Stufen erhöhten Sanktuariums angebracht sind: An der Südwand Nr37 und 38: Des Johannes Begegnung mit Jesus vor der Taufe und Taufe, und an der Nordwand Nr36: Busspredigt und vermutlich Hinweis auf den Erlöser und 67: Jesu Abstieg in die Unterwelt, wo Johannes dabei ist, weil er den dort weilenden Vätern, die baldige Befreiung angekündigt hat.
.Es gab somit mindestens 14 gemalte Szenen, die vom Klosterpatron erzählten und dann auch noch ein Marmorrelief, das aber nicht unter meine Kompetenz fällt.

Freitag, September 22, 2006

Das Remedius-Sakramentar


Der Codex Sangall.348 gehörte einst dem Churer Bischof Remedius und ist vielleicht sogar von ihm selber geschrieben und verziert worden. Es handelt sich um ein gelasianisch-fränkisches Sakramentar, das nach 759 in Italien zusammengestellt und gegen Ende des 8.Jh. in Frankreich mehrmals abgeschrieben und nach Bedarf etwas geändert wurde. Ein Sakramentar enthält die Gebete und Gesänge, die nicht zum feststehenden Teil der Messfeier gehören, sondern zu wechselnden Fest- und Gedenktagen. Diese sogenannten Proprien sind nach Monaten und Tagen im Kirchenjahr geordnet und beginnen mit der Vigil von Weihnachten. Besonders interessant sind die Formulare für spezielle Heiligenfeste, da man so herausfinden kann für welche Gegend ein Buch geschrieben worden ist. Ich nehme daher an, dass das Remediussakramentar nicht in und für Chur geschrieben worden ist, sondern etwa um 780 in der Hofschule Karls des Grossen für eine bischöfliche Kirche in der Nähe von Metz, da es ein Formular für den Heiligen Gorgonius, den Patron von Gorze enthält. Remedius hat das noch unvollendete Buch wohl mitgebracht, als er 785(?) nach Rätien kam, hat es hier fertigstellen lassen und - als er nach 790 hier Bischof wurde - auch selber benutzt. Es enthält zum Teil altertümliche Gebete, die seit dem 6.Jh in Rom nicht mehr in Gebrauch waren. So etwa diejenigen zum gestern erwähnten Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus oder zu den beiden Festtagen Johannes des Täufers. Die Schrift ist, abgesehen von einem beneventanischen Merkmal, derjenigen der frühen Hofschulhandschriften aus dem Umkreis Weissenburg und Metz sehr ähnlich. Die zum Teil südenglisch beeinflussten, eleganten Zierbuchstaben erinnern an solche aus den Klöstern von Fleury (St.Benoit sur Loire) und Flavigny. Dieses Buch war wohl Vorbild und Anreiz für die Skriptorien von Pfäfers und Chur, weshalb in der Literatur die ganze Gruppe unter der Bezeichnung "rätische Schrift" zusammengenommen wird. Da ich nicht Palaeograph und auch nicht Liturgiehistoriker bin, stelle ich meine Beobachtungen zum Remedius-Sakramentar hier als Hypothesen zur Diskussion und warte gespannt auf etwaige Reaktionen.

Donnerstag, September 21, 2006

Klosterkirche Müstair: Das Bildprogramm der Nordapsis




Nordapsiskalotte: Szene im Himmel: Christus, der König der Welt, betraut die Apostel Petrus und Paulus nach ihrem Tod in Rom mit der Leitung seiner Kirche. (Foto, Bea Ess,Luzern)

Apsiswölbung, Nr.103: Der im Sternenkreis thronende, kaiserlich gekleidete Christus blickt uns streng an während er den beiden sich ehrfürchtig nahenden Apostelfürsten die Schlüsselgewalt zu seinem Reich und, in Form eines Buches, den Lehrauftrag übergibt. Die Aussage ist klar: Beide sind gleichwertig. Nicht eine einzelne Person, sondern die stadtrömische apostolische Kirche als Institution ist mit der Bewahrung der Sache Jesu betraut worden. Sie soll in Einmütigkeit über den innerkirchlichen Frieden wachen und Irrlehren bekämpfen. Tatsächlich war der Kirche Roms in den ersten Jahrhunderten auch im Osten eine Vorrangstellung eingeräumt worden, weil sie im Besitz der Gräber von Petrus und Paulus war, die zuerst einzeln verehrt wurden und dann, nach einem Barbareneinfall vorübergehend zusammengelegt wurden.Das Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus, das am 29. Juni begangen wird, wurde im Jahr 354 zum ersten Mal gefeiert. Das Datum entspricht nicht wie sonst üblich dem Todestag, sondern der eben erwähnten Reliquienübertragung in die Katakombe an der Via Appia bei der heutigen Kirche San Sebastiano. Vielleicht gab es dort ein Fresko oder ein Mosaik, das den Maler in Müstair inspiriert hat? Jedenfalls enthält das von Paulus Diaconus für Karl den Grossen zusammengestellte Evangelistar dazu eine Predigt aus dem 4.Jh., die genau zum Thema passt. Zudem ist in den liturgischen Texten zu diesem Fest im Churer Remedius-Sakramentar stets von beiden Aposteln die Rede, während das offizielle römische Formular seit dem 6.Jh.(und bis heute)den Paulus nur in einem einzigen Gebet erwähnt!
Und so berichten die Bildfelder im Apsisrund unterhalb der repräsentativen Hauptszene von teils mündlich überlieferten, teils auf der Apostelgeschichte beruhenden Geschehnissen.
Nr.104: Ankunft des Paulus vor den Toren Roms, wo er und Petrus einander brüderlich umarmen. Nr.105: Paulus schlichtet in Rom den Streit zwischen Heidenchristen und römischen Juden. Nr.106-108: Vor Kaiser Nero findet ein Streitgespräch mit Simon, dem Zauberer, einem christlichen Häretiker, statt. Petrus und Paulus argumentieren gemeinsam, und auf ihr Gebet hin wird Simon, der eine Himmelfahrt vortäuschen wollte, von seinen dienstbaren Dämonen verlassen und stürzt tödlich ab. Nr.109-111: Darüber erzürnt, befiehlt Kaiser Nero, den Petrus zu kreuzigen und den Paulus zu enthaupten und die römischen Christen bestatten die beiden zusammen in einem Grab. Diese Szenen sind in Müstair zum Teil in der karolingischen Fassung und zum Teil in der romanischen des 12. Jh. zu sehen.
Man beachte auch das prachtvolle Ornament im Fensterbogen unter der Kalotte, das eine wohl römisch-spätantike Vorlage hervorragend wiedergibt.

Dienstag, September 19, 2006

Klosterkirche Müstair: Das Bildprogramm der Mittelapsis



Mittelapsis: 1.Ankunft des Herrn in der Welt(Christus Angelus kommt zur Inkarnation)(Foto Bea Ess, Luzern)

Betritt man heute die Klosterkirche durch die südliche Eingangstür, geht bis zum Mittelgang und wendet sich dann nach rechts so fällt der Blick zuerst auf das Bild in der Halbkuppel der Mittelapsis, wo eine sehr grosse, aufrechtstehende oder schreitende Christusgestalt mit wehenden Mantelenden in einer doppelten ovalen Gloriole auf einen zuzukommen scheint.
Damit ist die Hauptaussage der gesamten Ausmalung schon gefunden: Gott selber, oder sein „Wort“, der ewige Logos, kommt zur Inkarnation in die irdische Welt. Denn die Kirche ist dem Salvator Mundi geweiht, dem Heiland, dessen Erlösungswerk schon mit der Menschwerdung begonnen hat. (Dies ist die Überzeugung des gelehrten Ambrosius Autpertus, auf den wohl das ganze Bildprogramm letztlich zurück geht.)
Wenn man näher kommt, so sieht man, dass der Erlöser von einer grossen Engelsschar mit mit farbigen Nimben begleitet wird und dass hinter seiner Mandorla die vier Wesen hervorkommen, die man meist als Evangelistensymbole bezeichnet, die aber hier nicht die Embleme von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sind, sondern sich - gemäss ihrem ursprünglichen Sinn - auf Jesus selber beziehen. Sie weisen auf seine vier Wesensmerkmale: Mensch, Messiaskönig, Hoher Priester, und Gott. Christus hat die rechte Hand locker um das lange königliche Szepter gelegt und in der linken trägt er ein aufgeschlagenes Buch. Sein von langem Haar umflossenes bärtiges Gesicht wirkt ernst und streng, aber eine gleich nach der Freilegung der Fresken aufgenommene Foto beweist, dass hier ursprünglich ein jugendlich bartloses Antlitz zu sehen war. (So pflegte man in der Ostkirche den zeitlosen Logos darzustellen und so ist er auch in der frühesten karolingischen Hofschulhandschrift, im Godescalc-Evangelistar, im Paradiesgarten thronend gemalt.) Die Textstellen die diesem Bild zugrunde liegen finden sich in der Liturgie der Weihnachtsmessen: Jesaias 9, 1- 6 und Johannes 1, 1- 18. Die Worte aus Jesaias kennen wir aus Händels Messias: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Man gibt ihm die Namen Bote des grossen Rates, starker Gott, Ewigvater, Friedensfürst. Und auch der Johannesprolog ist allbekannt: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott... und liest man weiter so ist von Johannes dem Täufer die Rede, vom Vorläufer(Herold)und Wegbereiter des Messias/Christus. Damit sind wir auch schon bei den Bildern unterhalb der Apsiskalotte, wo Ankündigung und Geburt Johannes des Täufers gemalt sind, seine wunderbare Rettung beim bethlehemitischen Kindermord (kleines Fragment), seine spätere Gefangennahme und sein Tod anlässlich des Gastmahls des Herodes. Diese letzte Darstellung ist heute von der schönen romanischen Malerei überdeckt, die das Thema der karolingischen Bilder der untersten Reihe der Mittelapsis wieder aufgenommen und neu gestaltet hat.
Kurzgefasst heisst also die Bezeichnung der Mittelapsiskalotte, Nr.88: Die erste Ankunft des Herrn (zur Menschwerdung).
Die zweite Ankunft (zum Endgericht,Parusie genannt) findet sich gegenüber an der Westwand im obersten Bildstreifen des Weltgerichtsbildes.
Die Bezeichnung der Bildfolge im Apsisrund, der Exedra, Nr 89-101, heisst: Verkündigung, Geburt, Zeugnis und Tod Johannes,des Täufers.
Johannes Baptista war einer der Schutzpatrone des Langobardenreiches und ist nun der Schutzpatron des königlich-karolingischen Klosters. Er hat zwei Gedenktage im Kirchenjahr: Geburt, am 24. Juni und Enthauptung, am 29. August.

Hier muss ich noch eine Erläuterung beifügen. Die Spätantike und das frühe Mittelalter lieben die Gedankenverbindungen zwischen zusammengehörigen Darstellungen, aber auch die Doppeldeutigkeit der Bilder. Steht das Himmelfahrtsbild oben an der Stirnwand über den drei Apsisprogrammen als Hinweis auf den Anfang der Institution Kirche, so ist in der Mittelapsis von der zu erwartenden, sich über den Erdkreis ausbreitenden Weltkirche (Ökumene) die Rede. Man kann sich aber auch an die Zusage Jesu vor seiner Himmelfahrt erinnern: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt! Dann ist der ewig jugendliche Christus des Apsisbildes auch als der Emmanuel zu verstehen, der Gott- mit- uns, dessen schützende und stärkende Gegenwart in der jeweiligen Jetztzeit der Ecclesia zu spüren ist.
Dies alles klingt wie eine Predigt, was es auch tatsächlich ist, aber nicht von mir ausgedacht, sondern im Programmentwurf gewollt und als Aussage in den Bildern wirksam.

Montag, September 18, 2006

Naturns, St.Prokulus oder St.Luzius?

Bevor ich mich den Apsisprogrammen der karolingischen Klosterkirche von Müstair zuwende, will ich noch einen kleinen Triumph auskosten. Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich an einem Archäologen- und Kunsthistorikertreffen im Südtirol teilgenommen. Damals äusserte ich mich inoffiziell auch zu den "irischen" Fresken in der kleinen Friedhofskirche von Naturns. Ich hatte mich intensiv mit diesen ungemein expressiven und schwungvoll gezeichneten Bildern beschäftigt und fand, dass sie mich an frühmittelalterliche Wandbilder und Buchmalereien in Spanien erinnern und dass sie im 10. oder 11. Jahrhundert geschaffen sein könnten. Mit dieser Einschätzung war ich nicht ganz allein. Aber dass hier die Luzius-Legende dargestellt sein könnte, wollte mir niemand glauben. Der heilige Luzius ist der Bistumspatron von Chur, und seine Vita ist etwa um 800 in rätischer Minuskelschrift aufgeschrieben worden. Der Verfasser dieser als Predigt gestalteten Geschichte war vielleicht Remedius, der damalige Bischof von Chur, der meines Erachtens auch für den Freskenschmuck von St.Benedikt in Mals und von St.Johann in Müstair verantwortlich war. Die Wandmalereien von Naturns zeigen, wie ich glaube, Passagen aus diesem Text. Stilistisch haben sie natürlich nichts mit der Karolingerzeit zu tun, obwohl sie bisher zeitlich in die Nähe von Müstair platziert wurden. Und nun kommt mein Triumph: neueste Untersuchungen haben ergeben, dass der Bau, der einen älteren Saal ersetzt, ins 10./11. Jh. datiert werden muss. Damit entfällt die Frühdatierung der Fresken! Den Luzius wird mir allerdings niemand abnehmen, sind doch Hotels und Sportzentrum und Andenkenläden in Naturns ein für alle Mal nach St.Prokulus benannt...

Sonntag, September 17, 2006

Von Ausländern und von der Dankbarkeit

Heute, am 17. September, war für die Sonntagsmesse eine Stelle aus dem Lukas-Evangelium vorgeschrieben: Lk 17, 11- 19. Jesus heilt 10 Aussätzige. Nur einer kam zurück um zu danken. Dieser war einer aus Samaria.
Das gibt mir Gelegenheit auf eines, der bisher ungedeuteten Bilder aus dem Jesus-Zyklus in der karolingischen Kirche von Müstair zu verweisen. Es ist die nur zur Hälfte erhaltene Szene Nr.43 an der Nordwand: Jesus steht nach rechts gewandt und blickt sprechend zur Jüngergruppe zurück. Die nächste Szene, Nr 44, zeigt Jesus mit dem Hauptmann von Kapharnaum, resp.dem königlichen Beamten, der um eine Fern-Heilung bittet nach Lk 7,1-10 oder Mt 8,5-13 oder Jo 4, 43-54. Weil je zwei Szenen innerlich zusammengehören, schliesse ich darum für das Bild Nr 43 auf die Heilung der 10 Aussätzigen. Die Bilder sind nämlich wie Psalmverse zusammengestellt, wo oft das hebräische Prinzip des Gedankenreims (Parallelismus membrorum) verwendet wird, das heisst, in einem Zweizeiler wird Ähnliches wiederholt, oder manchmal auch Gegensätzliches daneben gestellt. Beide Bilder, respektive die zugehörigen Texte, handeln davon, dass Irrgläubige oder Heiden kraft ihres Glaubens eher gerettet werden als die eigentlich Berufenen.
Zu Fresken als Hyperlinks siehe auch den Eintrag "Bilder statt Bücher".

Samstag, September 16, 2006

Warum dieser scheinbar "ungünstige" Platz für das Himmelfahrtsbild?


(Zeichnung: hintere Umschlagklappe im Schweizerischen Kunstführer 733/34, 2003)

Warum wurde das Himmelfahrtsbild an einer so ungünstig scheinenden Stelle und erst noch im Querformat platziert?
Die Antwort ist einfach: weil sie vom Gesamtprogramm aus gedacht hier ihren Platz finden musste. Die Darstellung ist zugleich Erzählung und dogmatische Metapher. Der Bericht von der Himmelfahrt Jesu enthält ja die Zusage von der Geistsendung(Apg 1,8), weist also auf das Pfingstereignis hin und deutet so den Anfang der Institution Kirche an. Und von der Kirche in Rom, in der Ostalpenregion, und endlich auf der ganzen Erde, handeln die Bilder in den drei Apsiden.
Die Stirnwand und die drei Apsisdekorationen ergaben zusammen einst ein Triptychon (ein dreiteiliges Altarbild) als der frühmittelalterliche Raum noch mit einem Blick zu erfassen war. Man muss sich nämlich heute die später zugefügten gotischen Einbauten wegdenken: die runden Stützen, die Wandpfeiler zwischen den Apsisöffnungen und die Gewölbe. Dann wirkt die Stirnwand oben wie eine zusammenfassende Klammer und das Himmelfahrtsbild erstreckt sich als einleitende Aussage über alle drei Apsisprogramme darunter. Denn: bevor Jesus den Blicken der Jünger entschwand um zurückzukehren in die dreifaltige Gottheit, sandte er sie in die Welt hinaus; und so ging denn Petrus nach Rom, um würdige Männer als Bischöfe in die Städte Italiens und Galliens zu senden.- So etwa lautet der Anfang der "Bischofsgeschichte von Metz", die Paulus Diaconus 784 am Hof Karls des Grossen nach dem Vorbild des päpstlichen Liber Pontificalis verfasste. Dieser Text, sowie weitere Schriften des langobardischen Gelehrten und Dichters halfen mir, die Darstellungen im Zusammenhang zu sehen und zu deuten. Im minutiös geplanten Bildprogramm des Dreiapsiden-Saals von Müstair sind ja alle Szenen innerlich verbunden und wagrecht, senkrecht und quer durch den Raum gedanklich aufeinander bezogen.
Das Himmelfahrtsbild an der östlichen Stirnwand erfüllt dabei eine besondere Aufgabe, gehört es doch sowohl zum grossen Jesusleben an den Seitenwänden, als auch zum Davidszyklus im obersten Register, und ganz besonders eng zu den Bildern in den Apsiden im eigentlichen Altarbezirk.

Mittwoch, September 13, 2006

Das Bild von der Himmelfahrt Christi



Triumphbogen mit Christi Himmelfahrt über den Apsiden (Büro Sennhauser,Zurzach)




Ostwand über den Apsiden

Nr85/86/87 (zentriert): Christi Himmelfahrt (Mt 26,16-20 und Apg 1, 4-11)


Das Himmelfahrtsbild ist heute vom Kirchenraum aus nicht mehr zu sehen, denn es befindet sich wie die Davidsbilder über den gotischen Gewölben im Dachstock (oder – wenigstens seine oberste Farbschicht - im Landesmuseum in Zürich). Diese grossartig gestaltete Komposition mit bewegten, sich überschneidenden Figurengruppen und einem in den Ornamentrahmen hinaufragenden Mittelteil ist 12,5 m lang; sie erstreckt sich oben an der Ostwand quer über alle drei Apsisöffnungen. Weil sie sich auf gleicher Höhe befindet wie die Davidsbilder im obersten Bildregister an den andern drei Wänden, ist sie gewissermassen auch Teil des Davidszyklus! Denn die Aufnahme Jesu in den Himmel ist die Erfüllung der Verheissung, die David durch den Propheten Nathan verkündet worden ist (siehe das oberste Bildregister an der Westwand). Jesus Christus, Gottessohn und Davidsspross ist in den Himmel zurückgekehrt und hat seine auf den Stammvater David zurückgehende Leiblichkeit dorthin mitgenommen. So begründet die frühe Kirche ihre Hoffnung auf die leibliche Auferstehung der Toten.(Wäre das ursprüngliche, theologisch konzipierte Bildprogramm nicht durch eine erweiterte Absalomgeschichte ersetzt worden, so hätte das letzte Bild der Nordwand Davids friedliches Sterben gezeigt, von dem Petrus in seiner Pfingstpredigt spricht(Apg 2,29-36) und hätte so folgerichtig zum Himmelfahrtsbild übergeleitet.)

Der Hauptmeister der Malerwerkstatt hat es verstanden eine zweizonige Vorlage ins Querformat zu übersetzen, indem er die obere Zone in die Mitte der unteren einfügte und das verkleinerte Zentrum in die Rahmenbordüre hinaufragen liess.Das syrische Rabula-Evangeliar aus dem 6.Jh. mag eine Vorstellung von einer entsprechenden Wandmalerei vermitteln. Da das Fresko in Müstair sich über die ganze Breite der Ostwand erstreckt, muss die obige Umrisszeichnung als Anhaltspunkt für die folgende Beschreibung genügen: Links und rechts vom Bildzentrum sind je sechs stehende und knieende, von der Erscheinung des auferstandenen Christus überwältigte, Apostel zu sehen und mitten unter ihnen je ein grosser Engel. Bei der Gruppe links im Bild steht, leicht seitlich zur Mitte hingewendet, die Gottesmutter Maria. Die mittlere Szene zeigt auf purpurnem Hintergrund ein von vier schwebenden Engeln emporgetragenes Brustbild Christi in einem Rundmedaillon. Die geflügelten Personifikationen von Sonne und Mond verehren den verherrlichten Heiland. Sie trennen die beiden Menschengruppen in der irdischen Landschaft von der himmlischen Zone in der Mitte.

Dienstag, September 12, 2006

Bilder anstatt Bücher?

Für wen wurden eigentlich die vielen Bilder in den Klosterkirchen geschaffen?
Gewiss nicht für diejenigen die nicht lesen können, wie immer wieder behauptet wird! Auch nicht für diejenigen, die sich sonst während der Predigt langweilen würden. Und überhaupt nicht für das einfache Volk, sondern für die Bewohner oder Bewohnerinnen des jeweiligen Klosters. In Müstair z.B. war die Kirche sogar ursprünglich fast nur dem Konvent vorbehalten, denn sie war einzig von den Klostergebäuden her zugänglich und hatte kein Westportal. Benediktiner-Mönche konnten gewöhnlich lateinisch und z.T. sogar griechisch lesen und schreiben und verfügten über eine gewisses Mass von theologischer Bildung. Mit den liturgischen Texten und den biblischen Büchern waren sie vertraut und auch mit deren gängiger Auslegung durch die Kirchenväter. Zumindest kannten sie sich in den Psalmen, die sie täglich singend beteten, sehr genau aus, steht doch in der Regel des hl.Benedikt, dass die Klostergemeinschaft wöchentlich den ganzen Psalter zu rezitieren habe. Was Wunder wenn sie viele Stellen auswendig kannten! Dort kommt David sehr oft vor, und gelegentlich auch Saul oder Absalom. Dort finden sich auch die Querverbindungen zwischen AT und NT, weil seit der christlichen Frühzeit das Evangelium als Erfüllung der alten Prophezeihungen verstanden wurde und David, der Psalmendichter, als der Prophet schlechthin galt.

Es gab natürlich auch andere Kirchenbauten, für die spezielle Bildprogramme entworfen wurden. Zum Beispiel Palastkapellen. Oder Bischofskirchen in den Städten. Da galten wieder andere Voraussetzungen für den Schmuck. In Friedhofskirchen oder in Gotteshäusern in ländlichen Gebieten waren dann die Bilder, so es welche gab, eher erzählender Art, etwa als fortlaufende Friese mit allgemein bekannten biblischen Szenen ohne gelehrte Querverbindungen gestaltet. In Müstair aber ermöglichte die Anordnung von Einzelbildern in einem gleichmässigen Rastersystem gedankliche Querverbindungen zwischen verschiedenen Bild-Inhalten und zugehörigen Textstellen. Das war für die Mönche einfacher als für uns heutige saekularisierte Christen. Wir müssen die Bibel und das römische Messbuch zur Hand haben und über ein Minimum von theologischem Wissen verfügen um solche Bilder zu verstehen. Unterziehen wir uns dieser Mühe, so lassen sich fragmentarische Szenen deuten und verlorene eventuell sinngemäss ergänzen. Es ist jedenfalls faszinierend den diversen Darstellungen nachzuspüren und langsam den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen

Montag, September 11, 2006

Nochmals: Absaloms Ende




Dieses Bild liefert mir den Schlüssel zu einer möglichen Antwort auf die Frage nach dem oder den Autoren des Bildprogrammes von Müstair! Ikonographisch ist es hochinteressant: Üblicherweise hängt nämlich Absalom an seinem langen Haar im Geäst des Baumes (der Gottes-Eiche!). Dass sein Hals, respektive seine Kehle in einer Astgabel steckt, deutet eine schicksalshafte Hinrichtung durch den Baum an. (Henken nicht durch einen Strick, sondern mittels einer gegabelten Stange).
Der Baum handelt gewissermassen im Auftrag Gottes. In christlicher Interpretation steht Absalom meist für Judas, der vom Satan besetzt ist, und der sich nach dem Verrat erhängt. Absalom kann aber auch für Luzifer, den hochmütigen, sich gegen Gott empörenden Engelfürst stehen. Dann symbolisiert der Baum das Holz des Heils, das Kreuz Christi, das Tod und Teufel besiegt. In diesem Sinn ist des Absalom Ende bei Augustinus geschildert, und auch in einer griechischen Predigt des 4.Jh., die im 5.Jh. ins Latein übersetzt wurde. Diese Übersetzung findet sich im Sommerteil des Homiliars des Paulus Diakonus, das dieser im Auftrag Karls des Grossen zusammengestellt hat. Und auf diese Predigt (von Johannes Chrysostomus) geht ein als Titulus (Bildunterschrift) verstandener Vers zurück, der zusammen mit weiteren Versen bisher dem Bischof Ambrosius von Mailand (4.Jh) zugeschrieben wurde. Diese sogenannten Tituli passen aber eher zur frühmittelalterlichen Ikonographie und könnten von einem gelehrten Mönch aus Südfrankreich, namens Ambrosius Autpertus stammen, der im 8.Jh. in einem beneventanischen Kloster in Italien lebte und 784 starb. – Schwierige Zusammenhänge, nicht wahr? Der geneigte Leser darf das auch sofort wieder vergessen. Aber aufgepasst! Liest man den folgenden Zweizeiler zum Tod des Absalom, so meint man tatsächlich, dass hier die Szene vom Bildfeld Nr.19 an der Nordwand der Kirche von Müstair beschrieben ist: Pendet Abessalon adstrictus in arbore guttur, ne caelum parricida ferus macularet humumque ( Absalon hängt mit festgeschnürter Kehle im Baum, damit der herzlose Vatermörder weder Himmel noch Erde befleckt).Ich halte diese Zeilen nicht für eine Bildbeischrift, sondern glaube dass sie zu einem in Versform aufgeschriebenen Entwurf des Ambrosius Autpertus für das Bildprogramm einer Kirche gehören; ob dieser für einen Bau in Italien gedacht war oder für Müstair, bleibe dahingestellt.
Nun zurück zur schon besprochenen Doppeldeutigkeit des Müstairer Davidszyklus. Theologisch wurde Absalom mit Judas gleichgesetzt. Die Szene hätte also im ursprünglichen Plan (David als leiblicher Stammvater Jesu Christi) innerhalb des Davidslebens Platz gehabt, das in ausgewählten Episoden bis zur Krönung Salomos und dem Sterben Davids gezeigt werden sollte. Nach der von mir postulierten, durch die Regensburger Verschwörung veranlassten Programmänderung, darf man beim potenziellen Vatermörder Absalom auch an den unglücklichen Pippin denken, der den Tod verdient hätte, aber vom milden König zur Klosterhaft begnadigt wurde. Darum also die im Bathseba-Bild nur angedeutete neue Thronfolgeregelung und dann die ausführliche Schilderung der Geschehnisse in sieben Bildern.

20. Davids Trauer beim Erhalt der Nachricht von Absaloms Ende (2.Sam 18, 24-32). Das Bild besteht aus zwei Hälften. Links eine Gruppe von Männern, die den Unglücksboten zum König geleiten, und rechts der in Trauerhaltung im Torbau thronende David mit seinem Schwerthalter. Genau im Bildzentrum ist die im Sprechgestus erhobene Hand des Boten zu sehen, hervorgehoben durch den Pfeiler der Torhalle. Links und Rechts im Hintergrund eine ummauerte Stadt, wo der Späher auf dem Turm ebenfalls seine sprechende Hand ins Zentrum hält.
Bei diesem Bildfeld ist übrigens sehr schön das üppige Rahmenwerk zu sehen mit dem bandumwundenen Blattstab, der aus einem metallenen Ecktrichter hervorkommt und mit einer der Rundmasken, die das Ganze Bildgerüst wie Nieten zusammenzuhalten scheinen.

Samstag, September 09, 2006

Davids Sorge um den Sohn und Absaloms Ende

Der letzte Satz im Text zum vorigen Bild heisst: So wurde die Verschwörung stark, und immer zahlreicher wurde das Volk um Absalom. – Dann folgt ein langer Abschnitt, der Davids Flucht aus Jerusalem schildert, seine Klage beim Aufstieg zum Oelberg, allerlei Unbill, die er zu ertragen hat, mancherlei Intrigen und Umtriebe. Aber dazu gibt es kein Bild, obwohl weiter unten an der Nordwand Jesu Passion geschildert ist, die mit der Gethsemane-Szene am Ölberg beginnt. Das ist merkwürdig und ich muss vorausgreifend darauf hinweisen, dass sonst im ganzen Bildprogramm die Szenen nicht nur paarweise zusammengehören, sondern meist auch in der Vertikale zueinander in Beziehung zu setzen sind. Die Davidsbilder setzen erst dort wieder ein, wo Absalom mit dem israelitischen Heer den Jordan überschritten hat, David aber in Machanajim bleibt und seine eigenen Truppen mustert.

17. David mustert sein Heer und befielt den Anführern dem Absalom kein Leid anzutun (2 Sam, 18, 1- 5). Im Zentrum des Bildes sitzt David, von vielen Speerträgern umgeben, im Torbau von Machanajim, teilt sein Kriegsvolk in drei Gruppen und lässt es mit den drei Heerführern (darunter Joab) an sich vorbeiziehen. Dabei befiehlt er ihnen, den jungen Mann Absalom im Falle eines Kampfes zu schonen. Joab(?), der einen Speer trägt, geht oder reitet nach rechts. Das letzte Drittel der Szene ist zerstört,doch findet die Szene ihre Fortsetzung im nächsten Bildfeld mit der Parade der Reiter.

18. Ruhiger Vorbeizug von Davids Reitern. Die Schilde hängen ihnen am Rücken, die Speere tragen sie locker an die Schulter gelehnt: offensichtlich noch nicht der Aufbruch in die Schlacht. Diese wird hier nicht bildlich dargestellt, sondern es folgt sogleich die Szene nach den Kämpfen, wo Absalom ein unrühmliches Ende findet.

19. Absaloms Ende im Baum (2 Sam 18, 9- 14). Als Absalom zufällig Davids Reitern begegnet, kommt er an einer dicht gewachsenen, grossen Eiche vorbei, verfängt sich mit dem Kopf in den Zweigen, wird aus dem Sattel gehoben und sein Reittier läuft weiter. Der untere und der linke Teil des Bildes sind verloren, und damit auch das davonlaufende Maultier. Im Zentrum des Bildes steht die Eiche und In ihrem Geäst steckt Absaloms Kopf in einer Astgabel fest. Er hängt zappelnd in der Luft, sein Gesicht ist angstverzerrt. Mit beiden Händen zieht er sein Schwert aus der Scheide. In seiner Brust stecken zwei Speere. Rechts sprengen mehrere Reiter heran. Einer, es ist Joab, hat die Hand erhoben um den dritten Speer gegen Absalom zu schleudern.


Bild Nr.19. Absaloms Ende im Baum (Foto Landesmuseum, Zürich)

Donnerstag, September 07, 2006

Neue Interpretation der Davids- Bilder an der Nordwand


Bild Nr 14 im Dachstuhl über dem gotischen Gewölbe: David und Absalom.(Foto von Bea Ess, Luzern, 2002)


Zemp hat seinerzeit im noch zu besprechenden Bild Nr.19 an der Nordwand die Szene von Absaloms Ende im Baum erkannt; darum hat er danach die anderen 7 Bilder im Sinn der Absalom-Erzählung interpretiert. Diese Benennungen sind bis jetzt unbestritten geblieben. Nachdem, was ich heute weiss, wage ich jedoch einige Änderungen.

Im ersten Feld an der Nordwand (Bild Nr 13) glaubte Zemp die Episode zu erkennen, die der Begegnung David-Absalom vorausgeht. Das schien zwar plausibel, doch konnte ich nur mit Vorbehalt zustimmen. Denn von jeher haben mich die Beziehungen der Bildfelder untereinander interessiert, vor allem die Zusammenhänge zwischen Darstellungen aus der Davidsgeschichte und den neutestamentlichen Szenen die sich in den Bildfeldern unterhalb von diesen befinden. Da stellte ich mir die Frage: was hat die lange Rede der Frau von Tekoa (2 Sam 14, 1- 21) mit der Oelbergszene aus der Passion Jesu zu tun, die sich 3 Register weiter unten vertikal unter dem Bild Nr.13 findet? - Aber damit greife ich vor.
Bleiben wir im obersten Register, so ist zuerst einmal genaues Hinsehen gefragt; alsdann ist der Text zu suchen, auf den das Bild offenbar verweisen will. Das habe ich getan, und dann in zwei frühmittelalterlichen spanischen Handschriften als Parallele mehrere ikonographisch übereinstimmende Zeichnungen gefunden, die zur Thronfolgegeschichte der Davidsdynastie gehören. Darum muss ich die erste Szene oben an der Nordwand, die bislang "David und das Weib von Tekoa" hiess, umbenennen in:
13. Bathseba bittet um den Davidsthron für den jungen Salomon (1 Könige 1, 11-31).
Im Zentrum des Bildes thront König David; rechts aussen ist etwas tiefer der Kopf einer Frau mit turbanartig geschlungenem Kopftuch zu sehen. Hinter ihr stehen, noch unter der Tür, zwei Männer, die den Vorgang beobachten; einer davon ist der Prophet Nathan. Die Frau ist die Königin Bathseba, die sich tief vor dem Gemahl verbeugt. Auf Nathans Rat hin hat sie das Thronfolgerecht für ihren Sohn Salomon (2 Sam 12, 24 ) erbeten und hat es auch erlangt. Zemp hat seinerzeit die Szene als Fürbitte einer klugen Frau aus Tekoa gedeutet, für den vom Hof verbannten Absalom. Dazu ist keine Paralleldarstellung bekannt, für die Bitte der Bathseba hingegen schon. (Es gibt auch eine sehr merkwürdige allegorische Deutung der gesamten Bathsebageschichte. Diese sieht in der Frau des Hetiters Uria die göttliche Gnade, die Christus dem Alten Bund weggenommen hat und die jetzt über Christus der Kirche zukommen wird!) Soweit das Davids-Vorspiel. Nun zur zweiten Ebene, die sich auf Karl den Grossen beziehen könnte: Im Bathseba-Bild ist vielleicht auch ein Hinweis auf die Geschehnisse in den Jahren 780/81 versteckt, als Karls Gemahlin Hildegard (seine dritte Frau, nach Himiltrud und der Langobardischen Prinzessin!) den Namenswechsel ihres Sohnes Karlmann durchsetzte, der anlässlich einer erneuten Taufe durch den Papst den Namen Pippin erhielt und zum König von Italien gesalbt wurde. Dadurch wurde Karls illegitimer ältester Sohn,der schon 769 nach dem Grossvater Pippin getauft worden war, faktisch entrechtet und aus der Erbfolge ausgeschlossen. Hier kann der Grund für eine erste Verschwörung von 786 und für den späteren Putschversuch in Regensburg vermutet werden.


14. Absaloms Wiederaufnahme am Hof (2Sam 14,33). Siehe die Abbildung oben! Wieder ist im Zentrum König David zu sehen, im prächtigen Thronsaal und von Leibwächtern begleitet. Er umfasst das Handgelenk eines schönen jungen Mannes mit üppigem Haar, um ihn freundlich zu sich heran zu ziehen. Es ist Absalom, der rebellische Sohn. Er wird dem König von einem höfisch gekleideten Mann, von Davids Feldherr Joab, präsentiert. Eine seltsame Szenenwahl! Denn die kurze zugehörige Textstelle enthält kein Wortzitat, sondern schildert nur das Wiedersehen zwischen Vater und Sohn, nach dessen Rückkehr aus der Verbannung. - Auch hier kommt vielleicht die zweite Ebene, die zeitgenössische, ins Spiel: Das Bild mag daran erinnern, dass Karls des Grossen ältester Sohn (auch er übrigens wie Absalom "schön von Angesicht") zwar aus Gründen der Staatsraison von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, nicht aber aus der Liebe des Vaters, und dass "Pippin, der Bucklige", weiterhin in der königlichen Familie am karolingischen Hof lebte, wo er von Fastrada, der nächsten Frau nach der Hildegard, viel Spott und Grausamkeit erdulden musste.

15. Absalom, der Hochmütige und Stolze, der nach der Königswürde strebt, verführt die Männer Israels (2 Sam 15, 1-6). Links von der Mitte steht Absalom neben dem Tor, wo der König Recht zu sprechen pflegt, und gewinnt einige vornehm gekleidete Israeliten mit falschen Aussagen und Versprechungen für sich. Ein vom Torbalken herabhängender Tuchzipfel weist auf Absaloms sprechend erhobene Hand, also auf seine Worte hin. Rechts im Bild ist Jerusalem, die Davidsstadt, vorn an der Bühnenrampe als "Hauptdarstellerin" im Drama zu sehen! Das Bildfeld ist wegen des karolingischen Fensters weniger breit als die andern.

16.Vier Jahre später lässt sich Absalom in Hebron in Judaea mit Hörnerklang zum König ausrufen (2 Sam 15, 10-12). Er thront, mit dem königlichen Stirnreif geschmückt, im Zentrum des Bildes; rechts aussen steht eine Gruppe von Speerträgern, das zum Kampf gegen David bereite Heer des Absalom. David muss aus Jerusalem fliehen. Auch er ist bereit zum Kampf, aber er wird von seinen Heerführern verlangen, dass sie mit dem Sohn schonend umgehen.

Dienstag, September 05, 2006

Die Kontroverse um die Davidsbilder an der Nordwand



Zeichnung Büro Sennhauser,Zurzach

An der Nordwand finden sich mehrere Bilder zu einer langen Sonder-Erzählung über das Schicksal eines der Davidssöhne namens Absalom(2 Sam 13, 1- 2 Sam 19,9), allerdings ohne deren erschreckendes Vorspiel von der Vergewaltigung der Tamar. Hier ist eine kritische Bemerkung zu der in der neueren kunsthistorischen Literatur weitgehend akzeptierten Spätdatierung des Freskenzyklus fällig. Schon dem Entdecker der Bilder, Josef Zemp, ist eine Lücke im Gang der Erzählung zwischen der Westwand und der anschliessenden Nordwand aufgefallen: Im biblischen Text folgt auf die schon erwähnte göttliche Verheissung für Davids Geschlecht zunächst der Bericht über weitere Kriege und über Davids sündige Beziehung zu Bathseba. Dann ist von der Geburt von Salomo, deren Sohn, die Rede, der obwohl der jüngste von Davids Söhnen später den Thron besteigen und den Tempel in Jerusalem erbauen wird. Seltsamerweise gibt es in Müstair davon keine Bilder. Anscheinend ist die ganze oberste Reihe der Nordwand dem aufrührerischen Absalom gewidmet, der zuletzt elendiglich zugrunde geht. Diese, sich über acht Felder erstreckende Ausführlichkeit hat in der Literatur über Müstair viel zu reden gegeben, denn auch in anderen Zusammenhängen waren verräterische Söhne immer wieder mit Absalom verglichen worden. Sollten die Absalombilder tatsächlich durch ein aktuelles Ereignis veranlasst worden sein? Die einen – darunter auch ich selber - glaubten politische Anspielungen im sakralen Raum ausschliessen zu können; die anderen erinnerten an die tragischen Erfahrungen, die Ludwig der Frommen mit seinen Söhnen machte und plädierten für eine Spätdatierung der Müstairer Fresken in die Jahre nach 840! Die Kontroverse besteht noch immer, obwohl das Datum des Baus unterdessen ermittelt ist. Wäre also der offensichtlich auf eine komplette Ausmalung hin angelegte und schon 775 fertig gebaute Raum wirklich 65 Jahre lang „nackt“ geblieben?
In den vergangenen Jahren bin ich von der rein theologischen Interpretation der Davidsbilder abgekommen. Es scheint mir jetzt auf Grund der Szenenwahl klar, dass Karl der Grosse in den obersten Bildregistern mitgemeint ist und dass auch die Absalomsequenz eine Anspielung auf sein Leben und auf seine Klugheit und Besonnenheit enthält. Welches war nun das Ereignis, das den für die Ausschmückung der Müstairer Klosterkirche verantwortlichen Bischof Remedius von Chur so sehr erschütterte, dass er das Bildprogramm änderte während die Arbeiten noch in vollem Gang waren? Es muss sich um eine gegen Karl gerichtete, gefährliche Verschwörung im Sommer 792 handeln als in Regensburg die Reichssynode tagte. Karls ältester Sohn aus einer frühen Friedelehe, Pippin, der Bucklige, geb. 769, war massgeblich daran beteiligt. Das Komplott, das vielleicht sogar die Ermordung des Königs vorgesehen hatte, wurde im letzten Augenblick entdeckt und vereitelt (Was wohl als das Eingreifen Gottes zum Schutz des "Neuen Davids" verstanden wurde). Einige der Verschwörer wurden sogleich hingerichtet, Pippin wurde grausam ausgepeitscht und auf Lebenszeit ins Kloster Prüm verbannt. Bevor er dorthin überführt wurde, wurde er im Kloster St.Gallen gefangengehalten. (Literaturbelege dazu habe ich in einem unveröffentlichten Manuskript aus dem Jahr 1999 zusammengestellt) Man sieht: ein Kunsthistoriker darf eine kriminalistische Ader haben und könnte durchaus auch versuchen, historische Romane in der Nachfolge von Umberto Ecco zu verfassen.

Sonntag, September 03, 2006

Die Davidsbilder an der Westwand



Wandschema Westwand Müstair (aus:Schweizerische Kunstführer GSK Nr.733/34)

An der Westwand, oberhalb des monumentalen Weltgerichtsbildes, folgen nun weitere drei Davids-Szenen (nicht vier, wie die Nummerierung glauben macht!), von denen die mittlere – wohl einst ein sich über zwei Feldbreiten erstreckendes, überbreites Bild - besonders wichtig war. Sein Mittelteil ist zwar unglücklicherweise wegen eines gotischen Fenstereinbaus gänzlich verloren, der zugehörige Text aber lässt mich annehmen, dass hier einst David im Gespräch mit Nathan zu sehen war, wie er die göttliche Verheissung vom ewigen Thron seines Nachkommen empfängt(2.Sam7,8-16).Dem Zentrum des dreigegliederten Bildes kam im ursprünglich geplanten Gesamtprogramm, das in der Menschwerdung Gottes den Anfang der Erlösung sieht, eine sehr wichtige Aufgabe zu, befand es sich doch genau gegenüber vom Mittelstück des Himmelfahrtsbildes an der Ostwand. - Gut ich weiss: alles Hypothesen... Ich sehe bei meinen möglichen Lesern ein allgemeines Schütteln der Köpfe. Aber lasst mich jetzt erst einmal reden... Ich werde bei der Besprechung des monumentalen Weltgerichtes auf diese vermuteten Zusammenhänge zurückkommen.

Nr.9: David und seine Reiter erringen mit Gottes Beistand den Sieg über die Philister (2 Sam 5, 19-25)
Alte Aufnahmen zeigen ein hervorragend komponiertes, vielschichtiges Schlachtenbild. Einer bläst zum Angriff ins Horn. Die Wölkchen am Himmel symbolisieren die Anwesenheit Jahwes.
Die Szene wird rechts durch ein karolingisches Fenster verkürzt.
An Ort und Stelle ist nichts mehr zu sehen und das abgenommene Bild ist in einem desolaten Zustand. Die Aussage aber ist deutlich: hier wird die von einem idealen König erwartete Tugend der Fortitudo, der Kraft und Stärke dargestellt.

Nr 10 –11: David erhält durch den Propheten Nathan die göttliche Verheissung, dass ein Spross aus seinem Geschlecht einst ewig herrschen wird(2 Sam 1-17).
David hat die Bundeslade in einem neuen Stiftszelt in Jerusalem aufgestellt, hat sich einen Palast gebaut und denkt nun daran einen Tempel zu bauen. Da lässt ihm Gott durch Nathan sagen, dass ihm das verwehrt sei, dass aber Gott selbst einst einen ewigen Tempel errichten wird und dass Davids Nachkomme dort zur ewigen Herrschaft auf dem Thron sitzen wird. –Gemeint ist Jesus Christus, dessen leibliche Aufnahme in den Himmel auf der Stirnwand gegenüber zu sehen ist, und dessen Thron im Weltgerichtsbild senkrecht unter der Szene der Verheissung steht.
Dieser lange Text( bitte nachlesen!) war vermutlich in einem übergrossen Bildfeld so dargestellt, dass links die Neue Stiftshütte für die Lade zu sehen war und rechts aussen Davids Palast, das Zedernhaus(2Sam7,2). Von beiden haben Zemp und Durrer Aufnahmen gemacht; der Palast ist noch heute im Dachstuhl über den Gewölben zu sehen. Der von mir angenommene Mittelteil mit der Verheissung (mit Hand Gottes oben im Zentrum?) ist dem später eingebrochenen Gotischen Fenster zum Opfer gefallen. Die stets tradierten drei karolingischen Fenster oben in der Westwand sind ebenfalls bloss Hypothese. Ich meine, dass allenfalls anstatt eines mittleren Fensters ein Okulus vorhanden vorhanden war, der sich dann aber nicht im obersten Bildregister befunden hätte, sondern im ersten Streifen des Weltgerichtsbildes. Mehr dazu später.
Die hier gemeinten königlichen Tugenden wären dann Pietas und Temperantia.

Nr.12 : Davids Grossmut gegenüber Mephiboset, Sauls Enkel, Jonathans Sohn. (2Sam 9, 1-13)
Zu sehen sind undeutlich die thronende Gestalt Davids rechts im Bild mit einem Begleiter; die gebeugte Figur des Mephiboseth rechts neben dem karolingischen Fenster ist zerstört, doch deutet links ein von oben herabhängender Tuchzipfel an, wo er einst zu sehen war.
Die königliche Tugend ist die Clementia. ( Die Tugend der Gerechtigkeit fand sich, wenn meine szenische Vermutung stimmt, im Bildfeld Nr7 an der Südwand.)

Die vordergründige, nur erzählende Aussage des obersten Bildregisters an der Westwand ist folgende: David macht Jerusalem zu seiner Residenz und zur Gottesstadt , zum Zentrum des Kultes. Denn nach dem Sieg über die Philister wurde die Bundeslade zurückgewonnen, in mehreren Etappen in die Burg hinauf gebracht und feierlich in einem kostbaren Zelt (Tabernaculum) aufgestellt. Zu erwarten wäre nun im weiteren Gang der Erzählung die allgemein bekannte Bathseba-Geschichte, also Davids Verfehlung und Busse, die Geburt des Sohnes Salomo, der den Tempel erbauen wird und schliesslich die Regelung der Thronfolge vor Davids friedlichem Tod. Doch erstaunlicherweise geht es an der Nordwand ganz anders weiter... und jetzt wird es spannend!