Sonntag, September 03, 2006

Die Davidsbilder an der Westwand



Wandschema Westwand Müstair (aus:Schweizerische Kunstführer GSK Nr.733/34)

An der Westwand, oberhalb des monumentalen Weltgerichtsbildes, folgen nun weitere drei Davids-Szenen (nicht vier, wie die Nummerierung glauben macht!), von denen die mittlere – wohl einst ein sich über zwei Feldbreiten erstreckendes, überbreites Bild - besonders wichtig war. Sein Mittelteil ist zwar unglücklicherweise wegen eines gotischen Fenstereinbaus gänzlich verloren, der zugehörige Text aber lässt mich annehmen, dass hier einst David im Gespräch mit Nathan zu sehen war, wie er die göttliche Verheissung vom ewigen Thron seines Nachkommen empfängt(2.Sam7,8-16).Dem Zentrum des dreigegliederten Bildes kam im ursprünglich geplanten Gesamtprogramm, das in der Menschwerdung Gottes den Anfang der Erlösung sieht, eine sehr wichtige Aufgabe zu, befand es sich doch genau gegenüber vom Mittelstück des Himmelfahrtsbildes an der Ostwand. - Gut ich weiss: alles Hypothesen... Ich sehe bei meinen möglichen Lesern ein allgemeines Schütteln der Köpfe. Aber lasst mich jetzt erst einmal reden... Ich werde bei der Besprechung des monumentalen Weltgerichtes auf diese vermuteten Zusammenhänge zurückkommen.

Nr.9: David und seine Reiter erringen mit Gottes Beistand den Sieg über die Philister (2 Sam 5, 19-25)
Alte Aufnahmen zeigen ein hervorragend komponiertes, vielschichtiges Schlachtenbild. Einer bläst zum Angriff ins Horn. Die Wölkchen am Himmel symbolisieren die Anwesenheit Jahwes.
Die Szene wird rechts durch ein karolingisches Fenster verkürzt.
An Ort und Stelle ist nichts mehr zu sehen und das abgenommene Bild ist in einem desolaten Zustand. Die Aussage aber ist deutlich: hier wird die von einem idealen König erwartete Tugend der Fortitudo, der Kraft und Stärke dargestellt.

Nr 10 –11: David erhält durch den Propheten Nathan die göttliche Verheissung, dass ein Spross aus seinem Geschlecht einst ewig herrschen wird(2 Sam 1-17).
David hat die Bundeslade in einem neuen Stiftszelt in Jerusalem aufgestellt, hat sich einen Palast gebaut und denkt nun daran einen Tempel zu bauen. Da lässt ihm Gott durch Nathan sagen, dass ihm das verwehrt sei, dass aber Gott selbst einst einen ewigen Tempel errichten wird und dass Davids Nachkomme dort zur ewigen Herrschaft auf dem Thron sitzen wird. –Gemeint ist Jesus Christus, dessen leibliche Aufnahme in den Himmel auf der Stirnwand gegenüber zu sehen ist, und dessen Thron im Weltgerichtsbild senkrecht unter der Szene der Verheissung steht.
Dieser lange Text( bitte nachlesen!) war vermutlich in einem übergrossen Bildfeld so dargestellt, dass links die Neue Stiftshütte für die Lade zu sehen war und rechts aussen Davids Palast, das Zedernhaus(2Sam7,2). Von beiden haben Zemp und Durrer Aufnahmen gemacht; der Palast ist noch heute im Dachstuhl über den Gewölben zu sehen. Der von mir angenommene Mittelteil mit der Verheissung (mit Hand Gottes oben im Zentrum?) ist dem später eingebrochenen Gotischen Fenster zum Opfer gefallen. Die stets tradierten drei karolingischen Fenster oben in der Westwand sind ebenfalls bloss Hypothese. Ich meine, dass allenfalls anstatt eines mittleren Fensters ein Okulus vorhanden vorhanden war, der sich dann aber nicht im obersten Bildregister befunden hätte, sondern im ersten Streifen des Weltgerichtsbildes. Mehr dazu später.
Die hier gemeinten königlichen Tugenden wären dann Pietas und Temperantia.

Nr.12 : Davids Grossmut gegenüber Mephiboset, Sauls Enkel, Jonathans Sohn. (2Sam 9, 1-13)
Zu sehen sind undeutlich die thronende Gestalt Davids rechts im Bild mit einem Begleiter; die gebeugte Figur des Mephiboseth rechts neben dem karolingischen Fenster ist zerstört, doch deutet links ein von oben herabhängender Tuchzipfel an, wo er einst zu sehen war.
Die königliche Tugend ist die Clementia. ( Die Tugend der Gerechtigkeit fand sich, wenn meine szenische Vermutung stimmt, im Bildfeld Nr7 an der Südwand.)

Die vordergründige, nur erzählende Aussage des obersten Bildregisters an der Westwand ist folgende: David macht Jerusalem zu seiner Residenz und zur Gottesstadt , zum Zentrum des Kultes. Denn nach dem Sieg über die Philister wurde die Bundeslade zurückgewonnen, in mehreren Etappen in die Burg hinauf gebracht und feierlich in einem kostbaren Zelt (Tabernaculum) aufgestellt. Zu erwarten wäre nun im weiteren Gang der Erzählung die allgemein bekannte Bathseba-Geschichte, also Davids Verfehlung und Busse, die Geburt des Sohnes Salomo, der den Tempel erbauen wird und schliesslich die Regelung der Thronfolge vor Davids friedlichem Tod. Doch erstaunlicherweise geht es an der Nordwand ganz anders weiter... und jetzt wird es spannend!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für eine sehr interessantes Webblogg! Ich sehe dass Sie ein Oculus über die Christus Iudex an die Westwand behaupten. Währe es möglich diese These näher zu erklären/unterstützen? Es ist sehr interessant! Gibt es z.B. Parallelle für diese Phänomen? Ich habe immer geglaubt, dass diese Feld ein Kreutz enthalten hat (wie Y. Christe: Carmina Sangallensia). Haben Sie bitte ein Kommentar dazu? Keep up the good work!

Marese hat gesagt…

Danke für das Feedback. Ja, über dem Christus Iudex - und somit dem Christus Adventus im Bildstreifen darüber vorausgehend - muss ein Flammenkreuz angenommen werden. Da aber die ganze Mittelpartie des Weltgerichts und des David-Bildes darüber zerstört ist (gotisches Fenster), kann man nur Vermutungen anstellen. Wenn es kein karolingisches Mittelfenster gab, was mir wegen dem zentralen Stück des Davidszyklus zuoberst fast zwingend scheint, war dieses "Zeichen des Menschensohnes" gemalt. Wenn es eines gab, dann also als Okulus mit Kreuzerscheinung aus farbigem Glas. Man hat tatsächlich bunte Glasscherben aus karolingischer Zeit unterhalb der Westwand gefunden! Einen Okulus an dieser Stelle gibt es im viel späteren Weltgericht in Domna Regina bei Neapel, einem späten Echo auf ein verlorenes Gerichtsbild in Rom. Mit freundlichen Grüssen: Marese