Dienstag, September 05, 2006

Die Kontroverse um die Davidsbilder an der Nordwand



Zeichnung Büro Sennhauser,Zurzach

An der Nordwand finden sich mehrere Bilder zu einer langen Sonder-Erzählung über das Schicksal eines der Davidssöhne namens Absalom(2 Sam 13, 1- 2 Sam 19,9), allerdings ohne deren erschreckendes Vorspiel von der Vergewaltigung der Tamar. Hier ist eine kritische Bemerkung zu der in der neueren kunsthistorischen Literatur weitgehend akzeptierten Spätdatierung des Freskenzyklus fällig. Schon dem Entdecker der Bilder, Josef Zemp, ist eine Lücke im Gang der Erzählung zwischen der Westwand und der anschliessenden Nordwand aufgefallen: Im biblischen Text folgt auf die schon erwähnte göttliche Verheissung für Davids Geschlecht zunächst der Bericht über weitere Kriege und über Davids sündige Beziehung zu Bathseba. Dann ist von der Geburt von Salomo, deren Sohn, die Rede, der obwohl der jüngste von Davids Söhnen später den Thron besteigen und den Tempel in Jerusalem erbauen wird. Seltsamerweise gibt es in Müstair davon keine Bilder. Anscheinend ist die ganze oberste Reihe der Nordwand dem aufrührerischen Absalom gewidmet, der zuletzt elendiglich zugrunde geht. Diese, sich über acht Felder erstreckende Ausführlichkeit hat in der Literatur über Müstair viel zu reden gegeben, denn auch in anderen Zusammenhängen waren verräterische Söhne immer wieder mit Absalom verglichen worden. Sollten die Absalombilder tatsächlich durch ein aktuelles Ereignis veranlasst worden sein? Die einen – darunter auch ich selber - glaubten politische Anspielungen im sakralen Raum ausschliessen zu können; die anderen erinnerten an die tragischen Erfahrungen, die Ludwig der Frommen mit seinen Söhnen machte und plädierten für eine Spätdatierung der Müstairer Fresken in die Jahre nach 840! Die Kontroverse besteht noch immer, obwohl das Datum des Baus unterdessen ermittelt ist. Wäre also der offensichtlich auf eine komplette Ausmalung hin angelegte und schon 775 fertig gebaute Raum wirklich 65 Jahre lang „nackt“ geblieben?
In den vergangenen Jahren bin ich von der rein theologischen Interpretation der Davidsbilder abgekommen. Es scheint mir jetzt auf Grund der Szenenwahl klar, dass Karl der Grosse in den obersten Bildregistern mitgemeint ist und dass auch die Absalomsequenz eine Anspielung auf sein Leben und auf seine Klugheit und Besonnenheit enthält. Welches war nun das Ereignis, das den für die Ausschmückung der Müstairer Klosterkirche verantwortlichen Bischof Remedius von Chur so sehr erschütterte, dass er das Bildprogramm änderte während die Arbeiten noch in vollem Gang waren? Es muss sich um eine gegen Karl gerichtete, gefährliche Verschwörung im Sommer 792 handeln als in Regensburg die Reichssynode tagte. Karls ältester Sohn aus einer frühen Friedelehe, Pippin, der Bucklige, geb. 769, war massgeblich daran beteiligt. Das Komplott, das vielleicht sogar die Ermordung des Königs vorgesehen hatte, wurde im letzten Augenblick entdeckt und vereitelt (Was wohl als das Eingreifen Gottes zum Schutz des "Neuen Davids" verstanden wurde). Einige der Verschwörer wurden sogleich hingerichtet, Pippin wurde grausam ausgepeitscht und auf Lebenszeit ins Kloster Prüm verbannt. Bevor er dorthin überführt wurde, wurde er im Kloster St.Gallen gefangengehalten. (Literaturbelege dazu habe ich in einem unveröffentlichten Manuskript aus dem Jahr 1999 zusammengestellt) Man sieht: ein Kunsthistoriker darf eine kriminalistische Ader haben und könnte durchaus auch versuchen, historische Romane in der Nachfolge von Umberto Ecco zu verfassen.

Keine Kommentare: