Sonntag, November 26, 2006

Morning has broken.... (gälisches Volkslied)

Heute will ich nicht alte Bilder beschreiben, sondern meine heitere, gelöste Stimmung. Letzte Woche hatte ich Geburtstag und trauerte nicht der vergangenen Zeit nach, und empfand mich nicht als uralt (was ich eigentlich bin!), sondern freute mich über jede Begegnung, über die sonnigen Novembertage und darüber, dass ich überhaupt noch lebe. Es geht mir gut. Ich habe intensive Träume. Ich lerne täglich Neues, erinnere mich an Altes, stelle neue Fragen ... und versuche nicht mehr die endgültige Antwort zu finden. Das kann sich plötzlich ändern. Aber wozu grübeln? Was ist ,das ist, und was kommen wird das kommt. Und vorläufig ist jeder Tag ein Geschenk!
Das gälische Volkslied, das als Titel über meinem Post steht, wurde heute von jungen Burschen und Mädchen in der Kirche gesungen. Ich bin eigentlich nur hingegangen weil ich einen versprochenen Text holen wollte - und bin beglückt und beschenkt heimgekommen. Seltsam wie meine römisch-katholischen Wurzeln, die ich für vertrocknet und hinderlich hielt, sich wieder in den Boden senken und versuchen Fuss zu fassen. Von Reprobus war die Rede, der zum Chritophorus wurde und den es so gar nicht gab - er wurde von Rom aus dem Heiligenkalender gestrichen - und dem man doch immer wieder begegnen kann, sogar in sich selber. Die alten Heiligen bilden ein worldwide web und lachen über unseren aufgeklärten Skeptizismus ... Hat sich doch ausgerechnet heute der Fundbüro-Antonius wiedereinmal manifestiert und mich durch einen schier unglaublichen Zufall an ein nicht eingelöstes Versprechen erinnert...

Freitag, November 24, 2006

Ein Licht für die Völker und Israels Glanz


Müstair Nordwand, Bereich der Nonnenempore
Unten: siehe die beiden letzten Posts. Oben: Nr 29 Heimreise der 3 Weisen Nr.30 "Lichtmess" = Darstellung des Kindes im Tempel (griechisch:Hypapante = Begegnung mit Simeon) Foto aus dem Schweizerischen Kunstführer für Müstair, Nr 384/385,1986, S.17

Die Bilder der Kindheitsgeschichte Jesu an der Südwand (Nr 21-28) sind alle verloren. Man weiss nicht einmal ob sie mit der Verkündigung an Maria begonnen haben, oder - falls sich Verkündigung und Heimsuchung beidseits der Mittelapsis an der Stirnwand befunden haben - mit der Engelsbotschaft an Joseph. Aber die letzte Szene (Nr.28) muss die Anbetung der Magier aus dem Osten dargestellt haben, denn das erste Bild an der Südwand (Nr.29) zeigt diese auf der Heimreise. Es ist zwar nur als Fragment erhalten, aber man sieht deutlich drei nach links, also in der Gegenrichtung der Erzählung, schreitende Pferde und die mit engen Hosen bekleideten Beine der beiden hinteren Reiter. Gemäss dem Text von Matthäus 2,12 erhielten die Magier oder Sterndeuter im Traum die Weisung nicht zu Herodes zurückzugehen, sondern auf einem anderen Weg in ihr Land heimzukehren. Dort verkündeten sie alsbald, was sie in Betlehem gesehen hatten: den neugeborenen König der Hebräer, ein Licht für die Völker. Sie wurden die ersten Herolde Jesu Christi.(So berichten es ostkirchliche Hymnen zu Epiphanie)



Feld Nr.30: Darstellung des Kindes im Tempel.

Im Text Matth.2, 13 schliesst nun sogleich Josephs Traum und die Flucht nach Aegypten an, sowie der Bericht vom Kindermord zu Betlehem. In Müstair aber ist die Darstellung des Kindes im Tempel dazwischen geschoben, weil die Begegnung mit den beiden frommen alten Israeliten, Simeon und Hanna, so wichtig ist. Denn sie hatten Ohren zu hören und Zungen zu künden,, was sie gesehen hatten. (Lukas 2, 25-38) Auch dieses Bild ist nur in seiner untern Partie erhalten, doch kann man es mit Hilfe von Vergleichen rekonstruieren: Links stehen zwei Frauen, eine in dunklem Gewand und hellem Mantel (Hanna) und eine in rötlichem KLeid, die ein Kleinkind in den Armen trägt, von dem allerdings nur noch das Kleidchen und zwei kleine beschuhte Füsse zu sehen sind. Das Kind wird von Simeon in Empfang genommen, der sich mit verhüllten Händen und gebeugten Knieen eilends von rechts her naht.


Russische Ikone (15.)nach sehr alter Vorlage: Hypapante = Begegnung. Von rechts kommt Symeon, hinter Maria steht die greise Hannah.

Wichtig zum Verständnis für den Sinngehalt der Bilder Nr 29 und 30 ist der Lobgesang Simeons: Jetzt lässt du deinen Sklaven in Frieden ziehen, Herr, gemäss deinem Wort. Meine Augen haben das Rettende gesehen, das du vor allen Stämmen Israels bereitet hast: Licht zeigt sich den Heidenvölkern und Glanz deinem Volk, Israel.

Donnerstag, November 23, 2006

Ephata - öffne dich, höre und sprich!




Nr.46 Jesus heilt einen Taubstummen (Markus 7,31-37) Bild aus Gnädinger/Moosbrugger:Müstair, Zürich 1994, S.71

Stand im vorausgehenden Bild die Gestalt Christi, des messianischen Retters im Zentrum, so ist es hier seine Hand im Mund des Stummen zu dem er sagt: Ephata, tu dich auf! Drastisch wird im Markustext geschildert, wie Jesus die stammelnde Zunge des Bittenden mit Speichel berührt und wie der Gehörlose daraufhin wunderbarerweise sogleich richtig sprechen kann. Und bildete vorhin ein ganzes Stadttor die Hintergrundskulisse, so sind es nun einzelne Versatzstücke, die Gruppen und Einzelfiguren hervorheben und betonen. Mir scheint, dass der Maler für die Blindenheilung eine spätantike Vorlage benützte, während die Szene von der Heilung des Taubstummen für das im Bildprogramm vorgesehene Bildpaar in mittelalterlichem expressivem Stil neu konzipiert wurde. Dass es hier um mehr geht, als um einzelne Heilungswunder, wird ersichtlich wenn man die beiden Szenen im Register darüber betrachtet und nach ihrem hier gemeinten Sinn fragt. Sie gehören zur Kindheitserzählung und lassen sich, obwohl nur fragmentarisch erhalten, mit Hilfe von Vergleichen gut rekonstruieren. Es sind dies Nr. 29: die Heimreise der Weisen aus dem Morgenland und Nr.30: der prophetische Lobgesang des alten Simeon anlässlich der vom mosaischen Gesetz gebotenen Vorstellung des erstgeborenen Kindes im Tempel von Jerusalem. Diese Bilder und weitere sechs Fragmente werde ich in den folgenden Tagen besprechen.