Donnerstag, September 21, 2006

Klosterkirche Müstair: Das Bildprogramm der Nordapsis




Nordapsiskalotte: Szene im Himmel: Christus, der König der Welt, betraut die Apostel Petrus und Paulus nach ihrem Tod in Rom mit der Leitung seiner Kirche. (Foto, Bea Ess,Luzern)

Apsiswölbung, Nr.103: Der im Sternenkreis thronende, kaiserlich gekleidete Christus blickt uns streng an während er den beiden sich ehrfürchtig nahenden Apostelfürsten die Schlüsselgewalt zu seinem Reich und, in Form eines Buches, den Lehrauftrag übergibt. Die Aussage ist klar: Beide sind gleichwertig. Nicht eine einzelne Person, sondern die stadtrömische apostolische Kirche als Institution ist mit der Bewahrung der Sache Jesu betraut worden. Sie soll in Einmütigkeit über den innerkirchlichen Frieden wachen und Irrlehren bekämpfen. Tatsächlich war der Kirche Roms in den ersten Jahrhunderten auch im Osten eine Vorrangstellung eingeräumt worden, weil sie im Besitz der Gräber von Petrus und Paulus war, die zuerst einzeln verehrt wurden und dann, nach einem Barbareneinfall vorübergehend zusammengelegt wurden.Das Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus, das am 29. Juni begangen wird, wurde im Jahr 354 zum ersten Mal gefeiert. Das Datum entspricht nicht wie sonst üblich dem Todestag, sondern der eben erwähnten Reliquienübertragung in die Katakombe an der Via Appia bei der heutigen Kirche San Sebastiano. Vielleicht gab es dort ein Fresko oder ein Mosaik, das den Maler in Müstair inspiriert hat? Jedenfalls enthält das von Paulus Diaconus für Karl den Grossen zusammengestellte Evangelistar dazu eine Predigt aus dem 4.Jh., die genau zum Thema passt. Zudem ist in den liturgischen Texten zu diesem Fest im Churer Remedius-Sakramentar stets von beiden Aposteln die Rede, während das offizielle römische Formular seit dem 6.Jh.(und bis heute)den Paulus nur in einem einzigen Gebet erwähnt!
Und so berichten die Bildfelder im Apsisrund unterhalb der repräsentativen Hauptszene von teils mündlich überlieferten, teils auf der Apostelgeschichte beruhenden Geschehnissen.
Nr.104: Ankunft des Paulus vor den Toren Roms, wo er und Petrus einander brüderlich umarmen. Nr.105: Paulus schlichtet in Rom den Streit zwischen Heidenchristen und römischen Juden. Nr.106-108: Vor Kaiser Nero findet ein Streitgespräch mit Simon, dem Zauberer, einem christlichen Häretiker, statt. Petrus und Paulus argumentieren gemeinsam, und auf ihr Gebet hin wird Simon, der eine Himmelfahrt vortäuschen wollte, von seinen dienstbaren Dämonen verlassen und stürzt tödlich ab. Nr.109-111: Darüber erzürnt, befiehlt Kaiser Nero, den Petrus zu kreuzigen und den Paulus zu enthaupten und die römischen Christen bestatten die beiden zusammen in einem Grab. Diese Szenen sind in Müstair zum Teil in der karolingischen Fassung und zum Teil in der romanischen des 12. Jh. zu sehen.
Man beachte auch das prachtvolle Ornament im Fensterbogen unter der Kalotte, das eine wohl römisch-spätantike Vorlage hervorragend wiedergibt.

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