Sonntag, Dezember 10, 2006

Der Kindermord in Betlehem

Müstair Nordwand Nr.33, Foto U.P.S. San Francisco, 2006



Im Gegensatz zu den beiden gut erhaltenen vorausgehenden Feldern, sind vom nächsten Bildpaar nur noch Fragmente erhalten. Nr.33 lässt die grausame Szene der Tötung der Kleinkinder erahnen. Man sieht links zwei auf dem Boden sitzende Frauen, die ihre Kleinen beweinen; die weiss gekleidete im Vordergrund mit ihren Wickelkind im Schoss. Rechts steht breitbeinig ein Kriegsknecht inmitten einer Anhäufung von Kinderleichen. Im Bildfeld Nr.34, das wegen eines karolingischen Fensters etwas schmäler als die andern ist, befindet sich links ein Hofbeamter in langem Gewand vor dem Thron des Herodes und rechts aussen sieht man gerade noch den Rundschild eines Leibwächters. Von König Herodes, der sich offenbar in einer heftigen Befehlsgeste nach links wendet, sind nur noch die Füsse und Unterschenkel auf dem Thron-Podium erhalten. Am 27.-29. Dezember wurde schon früh der Gedenktag für die Unschuldigen Kinder begangen. Er wurde sogar als Fest gefeiert, da man sich diese ersten für Christus gestorbenen Blutzeugen als glücklich in himmlischen Gefilden lebende Paradieskinder dachte. Bei der grossen Kindersterblichkeit war es vielleicht sogar ein Trost für die trauernden Eltern sich vorzustellen, dass ihre Kleinen im Jenseits von fröhlichen Spielgefährten empfangen wurden. Darum gab es wohl zu allen Zeiten viele sehr ausführliche Darstellungen des blutigen Geschehens von Betlehem.



Nr.34 Herodes befiehlt die Tötung der Kinder, Foto U.P.S. San Francisco, 2006

Auch die letzten beiden Bildfelder sind durch den Gewölbeeinbau stark zerstört und schwer lesbar. Hilfreich sind da ähnliche Szenen aus der frühmittelalterlichen Elfenbeinkunst und Buchmalerei. Zur Zeit bin ich allerdings noch nicht im Stand meine ergänzenden Strichzeichnungen zu den Bildfeldern dieser Reihe 29 - 36 einzuscannen. Ich werde das aber gelegentlich nachholen.

Es dürfte nun deutlich geworden sein, dass in diesem zweiten Register der Nordwand eine fortlaufende Erzählung der Kindheitsgeschichte Jesu angestrebt ist, ohne dass deswegen auf das sinndeutende Ordnungsprinzip von je zwei gedanklich zusammengehörenden Szenen verzichtet wird.

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