Dienstag, August 29, 2006

Das erste Bildfeld des Davids-Zyklus



Rasterartige Wandeinteilung der karolingischen Saalkirche von Muestair;
grau eingezeichnet die gotischen Einbauten (Büro Sennhauser, Zurzach)


Bild Nr 1 oben links an der Südwand (heute im Dachstock)Samuel überrascht König Saul beim Brandopfer (1 Sam. 13, 8-14) Foto Bea Ess, Luzern


Das erste Bildfeld des gesamten Zyklus ist seltsamerweise auch das zuletzt entdeckte!
Bis vor fünf Jahren galt es als verloren. Nachdem Zemp und Durrer im Dachstuhl der damals noch vollständig übertünchten Kirche einen vorromanischen Davidszyklus aufgefunden und im Schein von Stalllaternen in Aquarellen und Photographien festgehalten hatten, beschlossen sie, ihn zu retten. Die einst beim Gewölbe-Einbau in ihren unteren Partien zerstörten, sonst aber erstaunlich gut erhaltenen Bilder wurden also zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem eher primitiven Verfahren vom Malgrund abgelöst und dabei schwer beschädigt. Sie wurden in das neu erbaute Landesmuseum in Zürich gebracht und dort magaziniert. Ausgestellt wurde bis heute nur die monumentale Himmelfahrt Christi, die sich oben quer über die ganze Ostwand erstreckte. Was heute in Zürich aufbewahrt wird, sind allerdings klägliche und kaum mehr erkennbare Reste. Da aber bei echter Freskomalerei die Farbe tief in den Malgrund eindringt, sind einige Partien noch heute im schwer zugänglichen Dachstock zu sehen! Und die sind von so erstaunlicher Qualität, dass sich der Weg über eine Leiter, der Einstieg durch ein hochgelegenes karolingisches Fenster, und eine „Bergtour“ über den Gewölbekuppen durchaus lohnt.
Als ich im Februar 2001 erfuhr, dass in einer dunklen Ecke über den gotischen Gewölben der Kirche wunderbarer Weise ein neues, bisher unbekanntes Bildfeld entdeckt worden sei, erwartete ich ungläubig die mit der Digitalkamera gemachten Aufnahmen. Da das Bildfeld sich an der Ostecke der Südwand befindet, musste es sich um die verloren geglaubte erste Szene des karolingischen Davidszyklus handeln! Zunächst war es eine Enttäuschung. Die kärglichen Farbspuren liessen kaum eine Bildbenennung zu. Man sieht ja bekanntlich nur, was man weiss, und erwartet daher eine Darstellung des jugendlichen Hirten David: Bären bezwingend, Harfe spielend, oder am liebsten sogleich "die Salbung des zukünftigen Königs durch den Propheten Samuel". Keine Deutung schien zu überzeugen. Links aussen ein, einem Stadttor ähnliches, Gebäude und davor, hoch oben in den Architrav ragend eine Schädelkalotte, weiter unten ein nach links wehender Mantel, darunter ein Wagenrad, vielleicht ein gebogener Pferdehals. Rechts neben der zerstörten Bildmitte eine hohe, von vorn gesehene Gestalt, die das Gesicht einer rechts aussen stehenden Figurengruppe zukehrt. jedoch kein Bär, kein Löwe, kein Strauch, kein knabenhafter David...Da fiel mir eine Abbildung von einer Bildseite in einem berühmten spätantiken Handschriftfragment in die Hände: Die sogenannte Quedlinburger Itala, Anfangs des 5.Jh. in Rom als lateinische Übersetzung aus dem griechischen Alten Testament, der Septuaginta, geschaffen und jetzt im Besitz der Preussischen Staatsbibliothek (ins obere kleine Bild klicken) zeigt vier Szenen zu 1 Sam. 15, 10-23: König Sauls Zerwürfnis mit dem Propheten Samuel. Im ersten Bild (1 Sam 15, 10-17) findet sich die gleiche Anordnung der Elemente wie im Fresko von Müstair! Der Mann in der Mitte ist Saul beim stelenartigen Rauchopferaltar (zwei Holzscheite unten deuten das Brandopfer an, von dem im Text die Rede ist), rechts aussen zwei Knappen, und links vor einem Gebäude ein Pferdegespann mit zweirädrigem Wagen. Der auf dem Wagen stehende Prophet im weissen Mantel, der die Rechte sprechend gegen Saul erhebt, ist im Foto heute kaum mehr zu erkennen. Doch was hat diese Szene mit David zu tun? Von ihm ist auch im zugehörigen Text keine Rede (Quedlinburger Itala: Degering/Böckler 1932, oder Inabelle Levin 1985) Dort bringt Saul zwar - anders als in der modernen deutschen Jerusalemer oder Stuttgarter Bibel- tatsächlich ein Brandopfer dar, aber nicht dies erregt Samuels Zorn, sondern der Umstand, dass Saul, entgegen dem göttlichen, von Samuel verkündeten Gebot, nicht alle Amalekiter samt ihrem König und ihren Herden gebannt, das heisst getötet hat! Also zurück zur Vulgata des Hieronymus, der seit der Karolingerzeit als gültig erachteten lateinischen Bibel: Und siehe da, in einer in der Septuaginta fehlenden, offenbar in frühchristlicher Zeit eingefügten Textstelle (1Sam. 13, 8-14) ist von einem früheren Opfer Sauls zu Gilgal die Rede und davon, dass Gott ihm nun seinen Segen entziehen wird und an seiner Stelle "einen Mann nach Gottes Herzen" (gemeint ist David) begünstigen wird. Da in späterem Verständnis nur die Priester eine wichtige Opferhandlung ausführen dürfen, begeht Saul ein Sakrileg. Er wird von Samuel angedonnert:„ Töricht hast du gehandelt. Hättest du den Befehl Jahwes, deines Gottes, befolgt, so hätte er dein Königtum über Israel für immer bestätigt. Nun aber wird dein Königtum keinen Bestand haben. Jahwe hat sich einen Mann nach seinem Herzen gesucht, den hat er zum Fürsten über sein Volk bestellt." Wir merken: was Samuel hier zum fortan glücklosen König Saul sagt, hat sehr wohl etwas mit seinem Untergang und mit Davids, Stammvater des künftigen Messias, Aufstieg zu tun! Diese Textstelle wurde im christlichen Schrifttum und später im Ritual der Königssalbung ausserordentlich wichtig. Die Benennung der Szene im karolingischen Zyklus von Müstair muss also wohl folgendermassen lauten:
Nr 1) Sauls freventliches Opfer in Gilgal und seine daraus folgende Verwerfung durch Gott (1 Sam 13, 8-14)
Im nächsten, leider ganz verlorenen Bildfeld wird Samuel David, den jüngsten Sohn Isais (Jesse)in Betlehem zum gotterwählten zukünftigen König salben (1 Sam 16, 1-13). Er wird den bösen Feind Goliath besiegen, wird sich in Sauls Diensten bewähren und nach dessen tragischem Tod das Königtum im jüdisch-israelischen Doppelreich durch seinen Sohn Salomon zur Blüte führen.
Nr 2) ist zwar verloren, doch ist in der übernächsten Reihe unterhalb von 1 und 2 ein Bildpaar erhalten, das auf den Davidszyklus Bezug nimmt: Nr.37: Jesus, von Johannes dem Täufer als Messias begrüsst und Nr.38: Jesus von Johannes im Jordan getauft.
Und so merken wir uns die für die Benennung der Szenen wichtige Tatsache, dass in Müstair je zwei Bilder innerlich zusammengehören (was im hebräischen Schrifttum, etwa in der formalen Gestaltung der Psalmen als Gedankenreim bezeichnet wird) und dass die Bilder in Müstair die Bibeltexte nicht einfach illustrieren, sondern auf die heilige Schrift mit Hilfe der leider zumeist verlorenen Bildunterschriften (Tituli) erst hinweisen, also den Betrachter zum Nachlesen und Nachdenken auffordern! Erst der gelesene oder rezitierte Text zum Bild erklärt die Auswahl der Szenen und ihre bedeutsame Zusammenstellung!

Freitag, August 25, 2006

Die Müstair-Fresken: Neue Voraussetzungen


Früher habe ich die zum Teil sehr fragmentarisch erhaltenen Bildfelder und grossen Kompositionen einfach beschrieben, und dann versucht sie zu benennen. Meine Frage lautet stets zuerst: was sehe ich? und dann erst: was glaube ich zu sehen auf Grund meines Wissens? Und schliesslich: wie steht das Bild im Kontext der ganzen Ausmalung? Stilfragen blieben vorsichtigerweise fast ausgeschlossen, da sehr wenig Vergleichbares bekannt war. Heute aber interessieren mich diese kostbaren Fragmente auch im Hinblick auf die historischen Hintergründe, die zu ihrer Entstehung geführt haben. Nun wird es spannend, aber auch gefährlich. Ich könnte mich in die Nesseln setzen. Ich könnte andern Autoren zu nahe treten. Ich könnte als unwissenschaftlich vorgehende Phantastin abqualifiziert werden: Schreib doch lieber einen historischen Roman! Ich kenne aber heute Fakten, die eine genauere Datierung der Ausmalung der Klosterkirche von Müstair zulassen. Ich bin jederzeit bereit meine kunsthistorischen Beobachtungen und kulturhistorischen Thesen zu belegen und zu verteidigen (aber natürlich nicht im Rahmen eines lockeren Geplauders). Hier will ich nun kurz die neuen Voraussetzungen nennen, die mich veranlassen für die Entstehungszeit der Fresken von Müstair die Jahre zwischen 785 und 795 anzunehmen. Sie wären dann etwas jünger als das Godescalc-Evangelistar(783), die früheste für Karl den Grossen geschaffene Prachthandschrift, und wenig älter als die (nur in alten Dokumenten überlieferten) Malereien im Dom von Aachen. Mit beiden sind sie jedoch sicher verwandt.
Diese neuen Voraussetzungen sind folgende:
-Die Klosterkirche kann dendrochronologisch in die Jahre nach 775 datiert werden (Holzbalken im Dachstuhl).
-Die Innenausstattung der St.Benediktskapelle im nahen Mals im Vinschgau darf jetzt etwa 785 datiert werden, da sie - nach meiner Meinung - in dieser Eigenkirche einer Adelssippe als Gedächtnisstätte für Rhodpert, den 784 bei Bozen getöteten fränkischen Befehlshaber von Trient, hergerichtet wurde. Der dort an der Altarwand dargestellte Mann mit dem Schwert ist also nicht der weltliche Stifter, sondern der hier geehrte Tote. Hinter seinem Kopf befindet sich nicht das Rechteckfeld, das üblicherweise darauf hinweist, das hier ein Lebender portätiert ist (kein "Nimbus"), sondern eine durchgehende bodenlange Wandplatte.

-Die bisher unbefriedigend gedeuteten letzten beiden Bildfelder an der Nordwand (alle Darstellungen müssen von links nach rechts gelesen werden) zeigen Gregor den Grossen, noch als Mönch und päpstlichen Gesandten in Konstantinopel, zuerst im Streitgespräch mit dem Patriarchen Eutichius über die "Auferstehung des Fleisches", und dann bei der ersten Niederschrift seiner Moralia in Job. (Darüber berichtet Paulus Diaconus in seiner etwa 770 verfassten Vita Gregors des Grossen und auch in seiner Historia Langobardorum.)
Das ganze Bildprogramm ist auf die Schriften und Predigten Gregors ausgerichtet, die vom Wirken des Heiligen Geistes, vom Leben nach dem Tod und von der zu erwartenden leiblichen Auferstehung handeln.
-Der geistliche Stifter, der das Kirchenmodell darbringt, ist Remedius, der spätere Bischof von Chur (erst etwa ab 790), der damals vermutlich vom karolingischen Hof mit der Aufsicht über die Arbeiten im Kloster Müstair betraut wurde. Hier handelt er wohl als ein Verwandter des verstorbenen Rhotpert.
Soweit meine Zusätze zu der - im übrigen hervorragenden - Monographie über St.Benedikt in Mals von Elisabeth Rüber (1991 ff), die auch darauf hinweist, dass die maltechnische Analyse Mals und Müstair der selben Werkstatt zuweist !

Donnerstag, August 24, 2006

Warum ich blogge?

Nun, einmal weil ich mit den offiziellen Seiten zu "St.Johann, Müstair" nicht immer einverstanden bin: Wenn der Text veraltet ist zwickts mich halt ihn nach meinem eigenen Wissensstand zu korrigieren... Und dann sind da meine stets wiederkehrenden Albträume: Ich kann das Klassenzimmer nicht finden. Ich habe die Lateinaufgaben nicht gemacht. Ich habe wochenlang die Mathematikstunden geschwänzt. Wie soll ich da die Matur-Prüfung bestehen? Ich werde entweder gar nicht zugelassen oder ich falle durch! -
Ja, die nie vollständig gedruckte Dissertation hat mich ein Leben lang belastet. Zumal sie seinerzeit von Professor Linus Birchler hochgelobt worden ist. War Geldmangel schuld? Oder einfach die Umstände? Glückliche Umstände... "Andere Umstände"... Missliche Umstände...? Jedenfalls habe ich die Albträume satt. Und ich brenne darauf, alles was ich in den vergangenen 45 Jahren erabeitet habe an den Mann und an die Frau zu bringen. Da viele fast fertige Texte bereit liegen, sollte das gelegentlich machbar sein - sofern sich mein Perfektionismus nicht wieder quer stellt. Die lockere Form des BLOGS könnte da hilfreich sein. Also los "Grandma Moses" bevor dir das Schicksal den Stift aus der Hand nimmt!
Marese, 24. August 2006