Sonntag, September 24, 2006

Das Bildprogramm der Südapsis

Das alte Schwarzweissbild (Foto H. Steiner, St.Moritz) ist die einzige Foto, die das Medaillonkreuz unverzerrt als lateinisches Kreuz (Leidenskreuz) wiedergibt. Im Farbbild daneben sieht es fast wie ein gleichschenkliges griechisches Kreuz aus (Licht, Heil, Herrschaft Gottes). Der Künstler, der die Darstellungen in den drei Halbkuppeln entworfen hat, konnte seine Formgebung jedenfalls so berechnen, dass der Betrachter vom Kirchenraum aus das jeweilige Bild in der gewünschten Form sah. Über die Deutung dieses "Denkbildes" wurde viel gerätselt und meist blieb es zuletzt bei der neutralen Bezeichnung: Gemmenkreuz, Triumphkreuz oder Siegreiches Kreuz (gemeint ist Christi Sieg über den Tod). Kunsthistorische Terminologie und hochtheologische Erläuterungen stiften hier eher Verwirrung und auch ein beschreibendes Gedicht eines Zeitgenossen - wiederum kommt der Langobarde Paulus Diakonus ins Spiel - helfen dem modernen Laien nicht weiter. Und wenn ich jetzt die wahrscheinlich zutreffende Bezeichnung: "Die himmlische Liturgie" unter das Bild setze, so sagt das den einen gar nichts und die anderen werden ausrufen: Dieser Terminus ist doch für eine ganz andere Darstellung in der ostkirchlichen Kunst reserviert! Bleibt also wieder einmal nur das genaue Hinsehen und dann die Rückbesinnung auf die mittelalterliche Frömmigkeit.
Südapsiskalotte (Foto Bea Ess, Luzern): Vor den rosigen Wölkchen eines Morgenhimmels schwebt ein mit Edelsteinen, Perlen und Bildnismedaillons geschmücktes Kreuz am Himmel. Ein heller, kreisrunder Lichtschein geht von ihm aus. Das grosse Medaillon im Zentrum zeigt eine Christusbüste, das oberste einen Engel, in den drei anderen könnte man Petrus und Paulus und eine dunkel gekleidete Frau(Maria? Magdalena?)oder einen Mönch mit Kapuze(St.Benedikt?)erkennen. Unter den Kreuzarmen sind die vier, in Kreisrahmen gefassten, apokalyptischen Lebewesen dem sieghaft leuchtenden Kreuz verehrend zugewandt; sie tragen die Bücher der Weisheit auf dem Rücken zwischen ihren Flügeln.
Unterhalb der rätselhaften Erscheinung ist in elegant verschachtelter Zierschrift der grosse Lobgesang aus der geheimen Offenbarung zu lesen: Sanctus Sanctus Sanctus Dominus Deus qui est qui erat qui venturus est/ Heilig heilig heilig ist Gott der Herr, der ist, der war und der sein wird(Offenb.4,8).
Die eher karge Darstellung meint also das ewige Gotteslob im Himmel und die Verehrung des "Lammes", also Jesu Christi des Erlösers (Offenb.1- 5). (Denn nach Ambrosius Autpertus ist das Kreuz der Thron des Lammes) Nun haben wohl selbst die gebildeten unter den Müstairer Mönchen diese komplexe Aussage kaum ohne weiteres verstanden. Anders ist es mit dem kostbaren Kreuz allein. Etwa vom 6.Jh. an bis ins hohe Mittelalter wussten auch die einfachen Menschen, dass das heilbringende Kreuz eine Bildgestalt des getöteten, auferweckten und verherrlichten Christus ist, und dass angeheftete Rosen oder Bildnisse die seligen Verstorbenen meinen, die mit ihm für immer verbunden sind. Ich darf somit unter das Bild der Südapsiskalotte wirklich die Bezeichnung: "Die Liturgie im Himmel" setzen oder "die Gemeinschaft der Heiligen" oder einfach: der offene Himmel.

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