Mittwoch, Januar 31, 2007

Jesus und die Ehebrecherin

Müstair Nordwand Nr.52: Jesus und die Ehebrecherin (Joh. 7,53-8,11)

Als Jesus frühmorgens im Vorhof des Tempels lehrt, bringt man eine beim Ehebruch ertappte Frau herbei, stellt sie in die Mitte und fragt Jesus wie er es mit dem Gesetz des Mose halte, das in diesem Fall den Tod durch Steinigung vorschreibt. Jesus aber sagt nichts, sondern bückt sich und schreibt mit dem Finger in den Sand. Als die Ankläger insistieren, sagt Jesus bloss: wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Da wenden sich die Ältesten und die Schriftgelehrten zum Gehen und Jesus, der Sündlose, den man später als Weltenrichter darstellen wird, sagt: auch ich verurteile dich nicht!
Diese Szene, die mit der vorgestern hier besprochenen Nr51 ein Bildpaar bildet, ist ähnlich gestaltet wie die Kindersegnung. Auch sie lässt ein spätantik inspiriertes Vorbild erkennen, sowohl in der Hintergrundarchitektur, als in den elegant gezeichneten Figuren. Wieder steht eine Gruppe frontal im Zentrum: der dunnkel gekleidete bedrohliche Ankläger, der mit grosser Geste auf die Zeugen weist, und vor ihm die machtlos ausgelieferte, händeringende Frau mit offen herabhängendem Haar! Der weiss gewandete (einer römischen Wandmalerei entnommene?) Schriftgelehrte wendet sich betroffen ab und ganz rechts schicken sich zwei Pharisäer an, den Schauplatz beschämt zu verlassen. Es gibt eine einzige, von links nach rechts durchgehende Bewegung: von den staunenden Jüngern über den gebückt sitzenden Jesus zu den Anklägern und Zeugen. Einzig die verängstigte Frau in der Mitte scheint einen Schritt auf Jesus zu zu wagen, dreht aber gleichzeitig den Kopf von ihm weg. In ihr drückt sich Tortur, Bitte und Hilflosigkeit aus. Ist sie - als scheinbar schuldig gewordene - das Gegenbeispiel zu den schuldlosen Kindern im vorausgehenden Bild? Oder ist sie wie diese machtlos, hilflos, klein?

Sonntag, Januar 28, 2007

Denn ihrer ist das Himmelreich.


Müstair Nordwand Nr.51: Jesus segnet die Kinder (Markus 10, 2-16)

Es gibt zu diesem Bericht mehrere Parallelstellen, doch da die Szene im Bildfeld Nr.51 sich eindeutig im Innern eines Hauses abspielt, muss der Text von Markus 10, 2-12 zu Grunde liegen. Dort wird Jesus eines Tages in Judäa von Pharisäern gefragt, ob es einem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen. Weil Jesus das verneint, kommen die Jünger abends im Haus auf die Sache zurück und Jesus stellt sich abermals gegen die Scheidung, da sie einem Ehebruch gleichkomme. - Im Vers Markus 10, 13 heisst es dann weiter: als man nun Kinder hereinbrachte, damit der Meister sie anrühre, wollten die Jünger sie, weil es schon Abend war, wegschicken. Da wird Jesus wütend und sagt: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn solchen gehört das Reich Gottes! Dann schliesst er sie in die Arme und segnet sie. Im Bild von Müstair sitzt Jesus nach rechts gewendet auf einer kissenbelegten Truhe in einem Raum, der in der Art spätantik-römischer Malerei perspektivisch gestaltet ist, so dass man eine Zimmerecke samt der Kassettendecke und den Fenster- und Türleibungen von unten sieht. Links hinter ihm ist noch der Kopf eines Apostels erhalten; der Rest der Gruppe ist zerstört. Genau im Zentrum des Bildes quillt eine Kinderschar zur Tür herein, von der heute nur noch die vordersten vier Kleinen zu sehen sind, die vor dem Heiland am Boden kauern. Rechts aussen stehen dicht gedrängt ihre Väter oder Brüder, die sie zum Wunderheiler Jesus bringen wollten (der Restaurator hat ihnen, die die jüdische Männertracht mit dem weissen Halstuch tragen, in der Meinung es müssten die Mütter sein, die Bärte wegretouchiert und Frauengesichter gemalt). Man beachte die gekonnt gezeichneten Hände und Füsse und die harmonischen Körperbewegungen, sowie die Untersicht in die Gewandsäume! Von beiden Seiten wird so der Blick im Bild auf die Kinder gelenkt, um deutlich zu machen, dass sie es sind, die im Zentrum des hier nachzulesenden Evangelientextes stehen! (Wir wissen ja unterdessen, dass jedes Bild sozusagen einen Hyperlink zu den Perikopen bietet!) Rechts oben hinter den Männern ist in einer Wandnische eine kleine laufende Figur zu sehen, die eine Schale (Oellampe?)vor sich her trägt. So wird angedeutet, dass es Abend ist. (Man könnte die Nische aber auch für ein Hausheiligtum, ein Lararium, halten und die tanzende Statuette für einen "Lar familiaris" einen antiken Schutzgott der Kinder.) Was ist nun aber die wesentliche Aussage dieser Szene? Weshalb werden die Kinder den Jüngern als Vorbild genannt? Kommen sie wegen ihrer Unschuld ins Himmelreich? Oder wegen ihrer Kleinheit und Machtlosigkeit? Oder weil sie Werdende, Wandlungsfähige, sich Weiterentwickelnde, Lernfähige sind? Ich plädiere für die Machtlosigkeit. Aber das ist vielleicht zu modern gedacht und die Zusammenstellung mit der nächsten Szene zum beabsichtigten Bildpaar, legt es nahe, dass der frühmittelalterliche Entwerfer des Bildprogramms die Schuldunfähigkeit der Kinder, der schuldiggewordenen Ehebrecherin gegenüberstellen wollte.

Montag, Januar 22, 2007

Die Heilung der Frau mit dem Blutfluss

Mein Rundgang durch die Klosterkirche von Müstair führt mich heute wieder zur Nordwand, wo ich die beiden gut erhaltenen Szenen von der Blindenheilung (Nr.45) und der Heilung des Taubstummen (Nr.46)im Oktober und im November schon besprochen habe. Wer dorthin zurückscrollt kann das, was ich in meinem letzten Beitrag zur formalen Gestaltung der Bilder und zur Verwendung von Figuren- und Kulissenschablonen dargelegt habe nochmals nachprüfen. Nr.45 ist weitgehend dem an römisch-antiker Malerei geschulten Hauptmeister zu verdanken, während Nr.46 von einem schwungvoll expressiv zeichnenden, die Hintergrundkulissen gezielt und irrational einsetzenden, (wohl oberitalienischen?) Maler zusammengestellt ist. Da von den beiden nächsten Szenen nur spärliche Fragmente erhalten sind. nenne ich von ihnen nur die Themen: Nr.47: Speisung der 5000(?), und Nr.48: Jesu Verklärung auf dem Berg Tabor. Und nun komme ich zum heutigen Titel: Nr 49: Die Heilung der Frau mit dem Blutfluss (Markus 5,21-43 und Lukas 8,40-48).



Eigentlich ist die Episode von der an weiblichen Blutungen leidenden Frau, die nur durch die heimliche Berührung von Jesu Gewand geheilt wird, in den Evangelien in eine grössere Erzählung von einer spektakulären Totenerweckung eingebettet, aber die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus interessierte den Entwerfer des Bildprogramms offensichtlich weniger als das als unrein geltende scheue Weib, das sich das Gedränge auf der Strasse zunutzen machte. Leider ist geraden der linke untere Teil des Bildes mit der am Boden knieenden Frau zerstört. Jesus ist in eiligem Lauf schon über die
Mitte der Bühne hinausgelangt und blickt, sich umwendend, zurück, "da er gespürt hat, dass von ihm eine Kraft ausgegangen ist". Rechts aussen wartet ungeduldig der vornehm gekleidete Jairus und nahe bei Jesus steht der deutlich als Petrus gekennzeichnete Protagonist der nächstfolgenden Szene! Denn genau darum geht es im Bildpaar Nr.49 und Nr.50: zu zeigen was der vertrauende Glaube vermag wenn er nur gross genug ist. Denn in der nächsten Szene war einst zu sehen, wie Petrus auf dem See Genesareth aus dem Boot steigt und übers Wasser seinem Meister entgegengeht - bis ihm der Glaube abhanden kommt und er in den Fluten versinkt! Als er um Hilfe ruft, zieht Jesus ihn empor, aber nicht ohne seinen Mangel an Vertrauen zu rügen (Matth.14,22-33). Da das Feld Nr.50 sehr schlecht erhalten ist, verzichte ich auf eine Abbildung; das Thema scheint mir jedenfalls gesichert zu sein auch wenn der sinkende Petrus im Zentrum nicht mehr zu sehen ist. Trotz der blasenden Windgeister in der obern linken Ecke kann es sich nicht um die Sturmstillung nach Math.8, 23-27 handeln, denn Jesus befand sich nicht im Boot, sondern kam, ganz rechts aussen auf dem Wasser wandelnd, auf das Schifflein zu.

Samstag, Januar 06, 2007

Die Verheissung für Ketzer und Heiden; und eine wichtige Beobachtung zur formalen Gestaltung des Müstairer Bilderzyklus


Warum die Verheissung Jesu nicht nur für Israel gilt, sondern für alle Gruppen und Völker! Davon sprechen die Bildfelder Nr.43 und 44 der Südwand: sie zeigen die Perikope vom dankbaren Samariter (Lk 17,11-19) und die vom gläubig bittenden römischen Hauptmann ( Matth 8,5-13 und Joh 4, 46-54). Folgt man dem Gang der Erzählung nach Johannes, so war die Fern-Heilung des Knaben oder Knechtes eines heidnischen Soldaten oder Beamten das zweite Zeichen der göttlichen Vollmacht Jesu in Galilä. Der Koordinator der Ausmalung von Müstair hat sich aber die Freiheit genommen die Darstellungen von Parallelstellen hier einzusetzen um dem Prinzip des Sinnreims folgen zu können: Dankbarkeit und gläubiges Vertrauen sind mehr wert als die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk. Vom dankbaren Samariter war schon in einem früheren Blog die Rede,nämlich am 17.9.06 (Bitte zurückscrollen). Ich liefere hier die Abbildung nach: zwar ist der Teil des Bildes mit dem dankbaren Geheilten zerstört, aber deutlich zu sehen ist, dass Jesus zurückblickend zu seinen Begleitern spricht; seine Aussage steht also hier im Zentrum der Szene. Anders ist es im nächsten Bild, wo eindeutig der bittende Hauptmann betont ist; rechts aussen ist vor einem Haus der Kranke auf seinem Bett zu sehen. Der als fester Bestandteil der katholischen Messliturgie bekannte Ausspruch des römischen Hauptmanns "Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach" ist so zu verstehen, dass er das göttliche Wesen Christi erkannt hat (so wie auch Petrus im Bildfeld mit der Fusswaschung senkrecht darunter!)und betroffen zurückweicht. Seine in die Knie sinkende Gestalt wirkte im spätantiken Vorbild in überkreuzter Bewegung gewiss dreidimensional, hier scheint sie, dem schmalen Bühnenraum entsprechend, wie zwischen zwei Glasscheiben in die Fläche gepresst.
Es drängen sich nun einige wichtige Bemerkungen zur formalen Gestaltung aller Bilder durch den Hauptmeister auf, und zur praktischen Ausführung durch die Handwerker des in Müstair arbeitenden Fresko-Ateliers. In den hier nebeneinandergestellten alten Schwarzweiss-Fotos fällt dem Betrachter sofort die schablonen-artige Verwendung der Figuren auf! Die vorderste Person der zuschauenden Apostelgruppe, mit der staunend erhobenen rechten Hand, ist in beiden Szenen identisch, aber die Gruppe selber ist durch Verschiebungen und durch die rahmende Hintergrundkulisse anders gestaltet. Auch die dominierende, durch den Kreuznimbus überhöhte Gestalt Christi ist bis auf das nach hinten wehende, geblähte Mantelende in beiden Szenen - wie übrigens in fast allen des gesamten Zyklus - die gleiche. Einzig die Haltung von Kopf und rechtem Arm und die Schrittstellung der Füsse ist variiert! Es scheint also, dass nur diese von einem routinierten Maler hinzugefügt wurden, nachdem die Gesellen das Bild mit Hilfe von Schablonen grossflächig grundierend angelegt hatten. Die zuletzt aufgetragenen Farbschichten, vor allem die Schatten und die weissen Glanzlichter, die den Szenen einst die heute nur an wenigen Stellen noch erhaltene reliefartige Plastizität verliehen, dürften einem der Hauptmeister zu verdanken sein. Nur durch solch rationelles Vorgehen konnte das Riesenwerk einer kompletten Kirchen-Ausmalung in der abgelegenen Gegend der Alpentäler rasch vorangetrieben und, wie ich meine, inneralb von knapp zehn Jahren vollendet werden.

Freitag, Januar 05, 2007

Müstair Südwand Nr.42: Die Tempelreinigung


Karolingische Kirche Müstair: Wandschema Südwand




Leider sind die Bilder der südlichen Seitenwand in Müstair fast alle verloren. Nach der Taufe Jesu im Jordan (Nr38) wäre die Versuchung in der Wüste zu erwarten, die Berufung der ersten Jünger und die ersten Machterweise. Vielleicht war in dieser Reihe einst das im Johannesevangelium geschilderte Weinwunder von Kana zu sehen? Denn das Fragment von Nr.42 lässt sich eindeutig als die Szene identifizieren, die zeigt, wie Jesus kurz vor dem Passafest die Händler aus dem Tempel von Jerusalem vertreibt, nachdem er am Hochzeitsfest zu Kana sein erstes Wunder gewirkt hatte (Joh.2,1-11 und 12-22). Der Koordinator der Malerarbeiten in Müstair wertet also die sogenannte Tempelreinigung als ein Zeichen von Christi göttlicher Vollmacht, während die drei Synoptiker dieses Ereignis zwei Jahre später ansetzen und es so zum Auftakt der Passion machen. Wird es nämlich als ein Machterweis angesehen, so gehört es an die Südwand, die hauptsächlich Bilder zum Nachweis von Jesu göttlicher Herkunft bringt, während die dunkeln Aspekte der Erzählung an der Nordwand versammelt sind.

Montag, Januar 01, 2007

Zum Neuen Jahr: Glückwünsche? Segenswünsche?

Oft kommen sie von einer Bank, einer Firma, einem Geschäft. Reklame eigentlich. Kommen sie von Freunden, so sind sie ernst gemeint. Und bewirken etwas in uns. Und wir geben sie weiter.

Aber, was ist das: die Zeit? Was heisst das: Jahreswechsel? Was hat sich eigentlich um Mitternacht geändert, ausser der hintersten Ziffer der ordnenden Jahreszahl? Warum Champagner, Küsse und Raketen? Warum der Lärm? Um Ängste zu betäuben?
Ich schätze die Ruhe, habe sie immer geschätzt (oder vermisst). Für mich gilt am Silvester: Rückblick in Wehmut oder in Dankbarkeit. Keine guten Vorsätze. Keine wilden Hoffnungen. Aber gerne etwas Zuversicht, und liebevolle Zuwendung da und dort! Und ich freue mich einfach darüber, dass ich lebe. Gestern und heute ...

Und was feiern die Kirchen heute? Vovon spricht die Liturgie am 1. Januar? (Lk 2, 16-21)
Von der Beschneidung des Weihnachtskindes (Eingliederung ins Volk), vom Namen Jesu (Jahwe rettet) und von der Gottesmutter, die den Heilsbringer und Erlöser geboren hat und die Worte der Engel und die Weisen der Hirten im Herzen bewegte. Jesus erhielt seinen Namen bald nach der Geburt, bei der Beschneidung. Es war kein aussergewöhnlicher Name; viele hiessen so; viele werden noch heute so genannt in den Ländern spanischer Sprache. Auf deutsch meint das: Gotthilf. Die Szene von der Beschneidung des Neugeborenen findet sich nicht im Zyklus von Müstair. Aber sie ist mir heute beim Jahreswechsel eine Ueberlegung wert. Jeschua ist der erweiterte Gottesname; es bedeutet eigentlich: der da unter uns anwesend ist, hilft. Jesus ist Jude, da von einer jüdischen Mutter geboren. Er ist Palästinenser, da in Nazareth daheim. Und es heisst, er sei von Gott! Gott aber ist weder Mann noch Frau, weder Jude, noch ... Das ist tröstlich und das gilt es wohl zu feiern im Vertrauen auf die lebendige Lebenskraft. Jesus als Kosmopolit, als der kosmische Christus! Wer kann mir erklärend umschreiben, was das heisst? Nun, man muss nicht alles im Kopf verstehen. Segenswünsche können auch ganz einfach und ehrlich und realistisch sein. Etwa so: Beginnen wir das Jahr in Gottes Namen! Amen.