Freitag, September 22, 2006

Das Remedius-Sakramentar


Der Codex Sangall.348 gehörte einst dem Churer Bischof Remedius und ist vielleicht sogar von ihm selber geschrieben und verziert worden. Es handelt sich um ein gelasianisch-fränkisches Sakramentar, das nach 759 in Italien zusammengestellt und gegen Ende des 8.Jh. in Frankreich mehrmals abgeschrieben und nach Bedarf etwas geändert wurde. Ein Sakramentar enthält die Gebete und Gesänge, die nicht zum feststehenden Teil der Messfeier gehören, sondern zu wechselnden Fest- und Gedenktagen. Diese sogenannten Proprien sind nach Monaten und Tagen im Kirchenjahr geordnet und beginnen mit der Vigil von Weihnachten. Besonders interessant sind die Formulare für spezielle Heiligenfeste, da man so herausfinden kann für welche Gegend ein Buch geschrieben worden ist. Ich nehme daher an, dass das Remediussakramentar nicht in und für Chur geschrieben worden ist, sondern etwa um 780 in der Hofschule Karls des Grossen für eine bischöfliche Kirche in der Nähe von Metz, da es ein Formular für den Heiligen Gorgonius, den Patron von Gorze enthält. Remedius hat das noch unvollendete Buch wohl mitgebracht, als er 785(?) nach Rätien kam, hat es hier fertigstellen lassen und - als er nach 790 hier Bischof wurde - auch selber benutzt. Es enthält zum Teil altertümliche Gebete, die seit dem 6.Jh in Rom nicht mehr in Gebrauch waren. So etwa diejenigen zum gestern erwähnten Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus oder zu den beiden Festtagen Johannes des Täufers. Die Schrift ist, abgesehen von einem beneventanischen Merkmal, derjenigen der frühen Hofschulhandschriften aus dem Umkreis Weissenburg und Metz sehr ähnlich. Die zum Teil südenglisch beeinflussten, eleganten Zierbuchstaben erinnern an solche aus den Klöstern von Fleury (St.Benoit sur Loire) und Flavigny. Dieses Buch war wohl Vorbild und Anreiz für die Skriptorien von Pfäfers und Chur, weshalb in der Literatur die ganze Gruppe unter der Bezeichnung "rätische Schrift" zusammengenommen wird. Da ich nicht Palaeograph und auch nicht Liturgiehistoriker bin, stelle ich meine Beobachtungen zum Remedius-Sakramentar hier als Hypothesen zur Diskussion und warte gespannt auf etwaige Reaktionen.

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