Montag, September 11, 2006

Nochmals: Absaloms Ende




Dieses Bild liefert mir den Schlüssel zu einer möglichen Antwort auf die Frage nach dem oder den Autoren des Bildprogrammes von Müstair! Ikonographisch ist es hochinteressant: Üblicherweise hängt nämlich Absalom an seinem langen Haar im Geäst des Baumes (der Gottes-Eiche!). Dass sein Hals, respektive seine Kehle in einer Astgabel steckt, deutet eine schicksalshafte Hinrichtung durch den Baum an. (Henken nicht durch einen Strick, sondern mittels einer gegabelten Stange).
Der Baum handelt gewissermassen im Auftrag Gottes. In christlicher Interpretation steht Absalom meist für Judas, der vom Satan besetzt ist, und der sich nach dem Verrat erhängt. Absalom kann aber auch für Luzifer, den hochmütigen, sich gegen Gott empörenden Engelfürst stehen. Dann symbolisiert der Baum das Holz des Heils, das Kreuz Christi, das Tod und Teufel besiegt. In diesem Sinn ist des Absalom Ende bei Augustinus geschildert, und auch in einer griechischen Predigt des 4.Jh., die im 5.Jh. ins Latein übersetzt wurde. Diese Übersetzung findet sich im Sommerteil des Homiliars des Paulus Diakonus, das dieser im Auftrag Karls des Grossen zusammengestellt hat. Und auf diese Predigt (von Johannes Chrysostomus) geht ein als Titulus (Bildunterschrift) verstandener Vers zurück, der zusammen mit weiteren Versen bisher dem Bischof Ambrosius von Mailand (4.Jh) zugeschrieben wurde. Diese sogenannten Tituli passen aber eher zur frühmittelalterlichen Ikonographie und könnten von einem gelehrten Mönch aus Südfrankreich, namens Ambrosius Autpertus stammen, der im 8.Jh. in einem beneventanischen Kloster in Italien lebte und 784 starb. – Schwierige Zusammenhänge, nicht wahr? Der geneigte Leser darf das auch sofort wieder vergessen. Aber aufgepasst! Liest man den folgenden Zweizeiler zum Tod des Absalom, so meint man tatsächlich, dass hier die Szene vom Bildfeld Nr.19 an der Nordwand der Kirche von Müstair beschrieben ist: Pendet Abessalon adstrictus in arbore guttur, ne caelum parricida ferus macularet humumque ( Absalon hängt mit festgeschnürter Kehle im Baum, damit der herzlose Vatermörder weder Himmel noch Erde befleckt).Ich halte diese Zeilen nicht für eine Bildbeischrift, sondern glaube dass sie zu einem in Versform aufgeschriebenen Entwurf des Ambrosius Autpertus für das Bildprogramm einer Kirche gehören; ob dieser für einen Bau in Italien gedacht war oder für Müstair, bleibe dahingestellt.
Nun zurück zur schon besprochenen Doppeldeutigkeit des Müstairer Davidszyklus. Theologisch wurde Absalom mit Judas gleichgesetzt. Die Szene hätte also im ursprünglichen Plan (David als leiblicher Stammvater Jesu Christi) innerhalb des Davidslebens Platz gehabt, das in ausgewählten Episoden bis zur Krönung Salomos und dem Sterben Davids gezeigt werden sollte. Nach der von mir postulierten, durch die Regensburger Verschwörung veranlassten Programmänderung, darf man beim potenziellen Vatermörder Absalom auch an den unglücklichen Pippin denken, der den Tod verdient hätte, aber vom milden König zur Klosterhaft begnadigt wurde. Darum also die im Bathseba-Bild nur angedeutete neue Thronfolgeregelung und dann die ausführliche Schilderung der Geschehnisse in sieben Bildern.

20. Davids Trauer beim Erhalt der Nachricht von Absaloms Ende (2.Sam 18, 24-32). Das Bild besteht aus zwei Hälften. Links eine Gruppe von Männern, die den Unglücksboten zum König geleiten, und rechts der in Trauerhaltung im Torbau thronende David mit seinem Schwerthalter. Genau im Bildzentrum ist die im Sprechgestus erhobene Hand des Boten zu sehen, hervorgehoben durch den Pfeiler der Torhalle. Links und Rechts im Hintergrund eine ummauerte Stadt, wo der Späher auf dem Turm ebenfalls seine sprechende Hand ins Zentrum hält.
Bei diesem Bildfeld ist übrigens sehr schön das üppige Rahmenwerk zu sehen mit dem bandumwundenen Blattstab, der aus einem metallenen Ecktrichter hervorkommt und mit einer der Rundmasken, die das Ganze Bildgerüst wie Nieten zusammenzuhalten scheinen.

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