Montag, Dezember 25, 2006

Müstair und das Geheimnis von Weihnachten



Müstair Mittelapsis: Ankunft des "Wortes" zur Menschwerdung
(Christuskopf vom Restaurator verändert)


Da heute am 25. Dezember - und schon Wochen vorher - vom Kind in der Krippe die Rede war, von Ochs und Esel, von Hirten und Engeln und vom Stern von Betlehem, möchte ich nochmals auf die Darstellung in der Mittelapsis von Müstair zu sprechen kommen, die bisher nicht als Weihnachtsbild erkannt worden ist. Da das Antlitz Jesu nach der Freilegung der Fresken falsch renoviert worden ist, scheint heute ein strenger, bärtiger Allherrscher mit den himmlischen Heerscharen zum Gericht zu kommen. Ursprünglich trat aber eine bartlos jugendliche Gestalt mit Friedensszepter aus der doppelten Mandorla hervor und die begleitenden Engel mit bunt leuchtenden Nimben tragen keine Speere. Gemeint ist der ewige Gottessohn, der Logos, das Wort, das Licht der Welt, wie er im Johannesprolog, dem Evangelium zur Messe am Weihnachtstag verkündet wird. Ich habe mir eine Fotomontage erlaubt und den Kopf des jugendlichen Christus aus dem frühkarolingischen Godescalc-Evangelistar von 783 ins Apsisbild eingesetzt:



Diese Darstellung des jugendlichen, stehenden Logos zwischen Engeln ist in der Zeit zwischen 780 und 840 keineswegs selten und sie kommt in Oberitalien auch noch im 11.Jh. vor, allerdings meist als Illustration zum 90.Psalm unter der Bezeichnung "Psalmenchristus" oder "Christus Victor", weil der Heiland über Drachen und Löwen, Symbole der dunklen Mächte, schreitet. Diese könnten auch in Müstair einst vorhandengewesen sein, denn die unterste Partie des Bildes ist durch ein später eingebrochenes Rundfenster zerstört! Dass aber mit dem stehenden, bartlosen Christus die Ankunft des göttlichen Logos zur Inkarnation gemeint war, beweist meines Erachtens die häufige Verbindung mit Verkündigung und Heimsuchung! So wurde mit den nebeneinander gestellten Bildern von der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi das Weihnachtsgeheimnis anschaulich gemacht. Ich könnte dazu die Buchdeckel des Lorscher Evangeliars aus hochkarolingischer Zeit abbilden, bringe aber lieber das Elfenbeindiptychon von Genoels-Elderen, das etwa gleichzeitig mit den Müstairfresken im Maas-Moselgebiet geschaffen worden ist.
Oben: Ratschluss der Erlösung (Der ewige Logos kommt, von Engeln begleitet, als göttliche Natur Jesu in die Welt)
Unten: Verkündigung an Maria und Begegnung mit Elisabeth (Schwangerschaft als Ankunft der menschlichen Natur Jesu in der Welt)


Schreibtafeln oder Buchdeckel (Brüssel), letztes Drittel des 8.Jh.

Sonntag, Dezember 24, 2006

Die Taufe Jesu im Jordan (Epiphanie der Ostkirche)


Müstair Südwand, Bildfeld Nr. 38: Taufe Jesu

Das Bild ist arg zerstört; gleichwohl sind wichtige Einzelheiten der Szene noch zu erkennen: Jesus steht ganz nackt und unbewegt, mit herabhängenden Armen mitten im Jordan, dessen ausgezackte Ufer sich nach oben perspektivisch verjüngen. So ist angedeutet, dass er sich allen Ansehens und jeden Anspruchs entäussert hat. Er handelt nicht, er spricht nicht, er lässt es geschehen, dass Johannes ihn eintaucht in die Fluten. Vom Täufer, der von links herantritt, ist unten noch ein Fuss zu sehen und oben der nimbierte Kopf und die grosse rechte Hand auf dem Haupt Jesu. Darüber erscheint schräg von links oben der Geist Gottes in Gestalt einer Taube (Symbol der Liebe). Mir fällt auf, dass die Taube nicht im Zentrum lautlos schwebt, sondern knatternd und schwirrend heranbraust! Verkörpert sie doch die Ruach, den Atem Gottes. den Braus, der später an Pfingsten zu hören sein wird. (Tauben fliegen nicht lautlos, ihr Flügelschlag bewirkt ein beträchtliches Geräusch; ich höre es täglich auf dem Balkon.) - Rechts im Bild stand wohl einst eine Gruppe verehrender Engel; sie sind aber nicht mehr zu erkennen. Die zugrundeliegende Bibelstelle ist die gleiche wie beim zugehörigen vorausgehenden Bildfeld. Wesentlich ist der Satz: Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Matthäus3, 13-17 und Parallelen bei Markus und Lukas und bei Johannes1,32-34) In der Ostkirche wird dieses Ereignis als Epiphanie (=plötzliches Aufscheinen der Gottheit) der heiligen Dreifaltigkeit als eigentliches Weihnachtsfest gefeiert: Der Vater spricht, der Geist braust, der Sohn ist leibhaftig zu sehen und zu fassen!
Im Hinblick auf die Verteilung der Themen innerhalb der gesamten Südwand ist anzumerken, dass sich das Bildpaar 37/38 senkrecht unter dem Paar 1/2 und 21/22 befindet: Dass die (zerstörte, aber hier angenommene) Salbung Davids durch Samuel (Nr.2) in Beziehung zur Taufe Jesu gesehen werden kann, leuchtet ein; aber was mag Sauls (freventliche) Opferhandlung in Bildfeld Nr.1 mit der Begegnung zwischen Jesus und Johannes zu tun haben? Und was war in Nr.21 einst zu sehen? Die Botschaft des Engels an Maria? Dann war im nächsten Feld zwingend die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth, der Mutter des Täufers dargestellt. Oder zeigte Nr.1 die Botschaft des Engels an Joseph? Was folgte dann im Feld Nr.22? Vielleicht die Reise des Paars nach Betlehem? Da keine Fragmente erhalten sind, ist auch keine genaue Antwort möglich. Gewiss ist nur, dass das letzte Bildfeld dieses Registers Nr.28, die Anbetung des Kindes durch die Weisen aus dem Morgenland gezeigt haben muss, da das erste Feld auf gleicher Höhe an der Nordwand, Nr.29, deren Heimreise zeigt.

Dienstag, Dezember 19, 2006

Jesus verlangt von Johannes getauft zu werden


Müstair Südwand, Bild Nr.37, Begegnung zwischen Jesus und Johannes dem Täufer beim Jordan-Übergang.
Die ersten beiden Bildfelder des 3. Registers der Südwand, Nr.37 und 38 schildern die Vorgänge um die Taufe Jesu. In Nr.37 kommt Jesus zu Johannes an den Jordan und verlangt von ihm getauft zu werden. Johannes wehrt demütig ab: Ich habe nötig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir? Jeus aber will sich wie alle andern dem Willen Gottes unterwerfen (Matth.3, 11-15/ Joh.1, 24-28/ Luk.3, 15-18). Die Gestalt Jesu ist hervorragend gezeichnet in Proportion und Bewegun; man beachte auch den nach hinten fliegenden, von der Luft gebauschten, Mantelzipfel! Diese Szene ist in zwei Hälften geteilt: im Zentrum steht ganz vorne an der Rampe der Bühne eine kurze Säule über der sich die Hände der handelnden Personen befinden, die sprechende Hand des jungen Jesus und die fragend geöffnete des sich demütig neigenden Johannes. Ist es eine Stele, also ein Gedenkstein, oder ein Rauchopferaltar? Was bedeutet das Schriftzeichen auf dem Kapitell, das die Deckplatte trägt? Ganz gewiss ist nicht die Taufsäule gemeint, die später im Wasser des Jordans von Christen errichtet wurde. Ebenso merkwürdig ist es, dass im Hintergrund nicht das offene Land zu sehen ist, sondernn ein prächtiges Gebäude. Welchen, in frühchristlicher Zeit viel besuchten Ort meint diese Architekturkulisse? Ist Bethel im Westjordanland gemeint, oder Bethanien im Ostjordanland? Ich habe zunächst das Bibellexikon von Herbert Haag konsultiert ohne genaueres zu erfahren, dann aber im Internet einiges über Bethanien in Jordanien gefunden, wo heute Ausgrabungen und die Taufstelle gezeigt werden. Die Säule oder Stele zwischen Jesus und Johannes ist gewiss auch hier ein "Zeuge des Geschehens". Kann mir jemand einen Vorschlag machen? Immerhin ist die Nr.37 das Vorspiel zum Bild der Taufe Jesu, die im Westen am Sonntag nach Epihanie gefeiert wird, in frühchristlicher Zeit und in der orthodoxen Kirche aber mit dem Dreikönigsfest und dem ersten Wunder bei der Hochzeit zu Kana eine Einheit bildet.


Müstair Südwand, Bild Nr.38: Taufe Jesu
Diese, leider nur fragmentarisch erhaltene, wichtige Szene werde ich morgen in einem neuen Post besprechen.

Mittwoch, Dezember 13, 2006

Johannes der Täufer bereitet Jesu öffentliches Auftreten vor


Müstair Nordwand, zweitoberstes Register, Bildfeld Nr 36

Das Feld Nr.36 ist das letzte dieser Reihe. Es leitet zur Ostpartie über, wo in der Hauptapsis die Ankunft des ewigen Gottessohnes zur Menschwerdung dargestellt ist(es ist das Bild zum Weihnachtsgottesdienst und sozusagen das Titelbild des gesamten Freskenprogramms! Siehe den Blog vom 19. Sept.). Wieder ist nur die untere Partie der Szene erhalten. Zu sehen ist die Predigt Johannes, des Täufers, der das Volk der umliegenden Orte zur Busstaufe aufruft (Luk.3, 1- 14). Die linke Hälfte zeigt im Vordergrund - also auf dem Bühnenstreifen!- einen zweistämmigen Baum in dessen Verzweigung ein Werkzeug liegt, und den in ausgreifender Schrittstellung predigenden Herold des kommenden Messias. Rechts steht eine Gruppe von Zuhörern in der die jüdische Oberschicht kennzeichnenden Gewandung mit breitem farbigem Saum. Zwischen beiden Hälften ist im Hintergrund vielleicht das Wasser des Jordans angedeutet. Der Baum mit der Axt fehlt selten in den Darstellungen des Täufers. Meist wird er als Anspielung auf das Drohwort des Johannes interpretiert. Da er aber hier nicht in die Hintergrundkulisse integriert ist, sondern deutlich als Protagonist auf der Bühne erscheint, deute ich ihn als Zeuge des Geschehens und als Kennzeichnung eines Pilgerortes in Palästina, nämlich der Stelle am Jordan, wo sich zwei Strassen bei einer Furt durch den Fluss kreuzenm. Dort soll der Prophet Elias, wie später auch sein Schüler Elischa, die Fluten mit seinem Mantel gespaltet haben (2 Könige 2, 8-15), kurz bevor er auf feurigem Wagen in den Himmel entrückt wurde. Dort soll auch Elischa ein in den Fluten versunkenes eisernes Beil wunderbarer Weise wiederbeschafft haben (2 Könige 6,1-7). Die hier veranschaulichte Bibelstelle ist die Perikope zur Liturgie des 3. Advents-Sonntags, der diese Jahr auf den 17. Dezember fällt.

Dienstag, Dezember 12, 2006

Der zwölfjährige Jesusknabe im Tempel


Müstair Nordwand, zweitoberstes Register, Bildfeld Nr.35

Obwohl das Bild schlecht erhalten ist, kann ich mit Sicherheit sagen, dass hier die Auffindung des Jesusknaben bei den Schriftgelehrten im Tempel dargestellt ist(Lukas 2,39-52). Man sieht die Unterkörper von drei auf einer Bank sitzenden Gestalten. Zwei sind in Gewänder mit farbigem Saum gekleidet, der dritte in rötlichem Gewand und etwas dunklerem Mantel hält eine Schriftrolle in der linken Hand und ist barfuss (oder trägt Sandalen). Dieser muss der Jesusknabe sein, der in der Tempelvorhalle mit den Lehrern diskutiert. Ganz rechts im Bild steht eine Frau in langem Kleid, das nur die beschuhten Fussspitzen frei lässt. Es ist Maria, die auf ihre vorwurfsvollen Worte: Warum hast du uns dies angetan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht, die irritierende Antwort erhält: Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines (himmlischen!) Vaters sein muss? Die wesentliche Aussage der Szene ist hier also nicht die Klugheit und Redegewandtheit des Knaben, sondern das erwachende Bewusstsein um seinen Auftrag. Es heisst zwar, dass er mit seinen Eltern heimkehrte und ihnen untertan war, aber einige Jahre später wird er sich von seiner Familie distanzieren und sagen: wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? so berichten es übereinstimmend die synoptischen Evangelien. Wiedereinmal zeigt es sich, dass fast jedes Bild im Zyklus über sich selber hinausweist und zum weiterlesen und nachdenken auffordert.

Sonntag, Dezember 10, 2006

Der Kindermord in Betlehem

Müstair Nordwand Nr.33, Foto U.P.S. San Francisco, 2006



Im Gegensatz zu den beiden gut erhaltenen vorausgehenden Feldern, sind vom nächsten Bildpaar nur noch Fragmente erhalten. Nr.33 lässt die grausame Szene der Tötung der Kleinkinder erahnen. Man sieht links zwei auf dem Boden sitzende Frauen, die ihre Kleinen beweinen; die weiss gekleidete im Vordergrund mit ihren Wickelkind im Schoss. Rechts steht breitbeinig ein Kriegsknecht inmitten einer Anhäufung von Kinderleichen. Im Bildfeld Nr.34, das wegen eines karolingischen Fensters etwas schmäler als die andern ist, befindet sich links ein Hofbeamter in langem Gewand vor dem Thron des Herodes und rechts aussen sieht man gerade noch den Rundschild eines Leibwächters. Von König Herodes, der sich offenbar in einer heftigen Befehlsgeste nach links wendet, sind nur noch die Füsse und Unterschenkel auf dem Thron-Podium erhalten. Am 27.-29. Dezember wurde schon früh der Gedenktag für die Unschuldigen Kinder begangen. Er wurde sogar als Fest gefeiert, da man sich diese ersten für Christus gestorbenen Blutzeugen als glücklich in himmlischen Gefilden lebende Paradieskinder dachte. Bei der grossen Kindersterblichkeit war es vielleicht sogar ein Trost für die trauernden Eltern sich vorzustellen, dass ihre Kleinen im Jenseits von fröhlichen Spielgefährten empfangen wurden. Darum gab es wohl zu allen Zeiten viele sehr ausführliche Darstellungen des blutigen Geschehens von Betlehem.



Nr.34 Herodes befiehlt die Tötung der Kinder, Foto U.P.S. San Francisco, 2006

Auch die letzten beiden Bildfelder sind durch den Gewölbeeinbau stark zerstört und schwer lesbar. Hilfreich sind da ähnliche Szenen aus der frühmittelalterlichen Elfenbeinkunst und Buchmalerei. Zur Zeit bin ich allerdings noch nicht im Stand meine ergänzenden Strichzeichnungen zu den Bildfeldern dieser Reihe 29 - 36 einzuscannen. Ich werde das aber gelegentlich nachholen.

Es dürfte nun deutlich geworden sein, dass in diesem zweiten Register der Nordwand eine fortlaufende Erzählung der Kindheitsgeschichte Jesu angestrebt ist, ohne dass deswegen auf das sinndeutende Ordnungsprinzip von je zwei gedanklich zusammengehörenden Szenen verzichtet wird.

Samstag, Dezember 09, 2006

Die Flucht nach Aegypten und das Rahel-Grab

Müstair Nordwand Bild Nr.32: Die Flucht nach Aegypten. Foto U.P.S. San Francisco, 2006

Nr.31 und Nr.32 sind durch das karolingische Fenster zwischen beiden Szenen eher verbunden als getrennt. Das Bild der Flucht nach Aegypten hat kein betontes Zentrum, sondern ist in 2 Hälften geteilt: links bilden Maria mit dem Kind auf einem Maultier und ein junger Mann mit einem Sack über der Schulter eine kompakte Gruppe, die von einem Bogen im Hintergrund gerahmt wird. Rechts schreitet Joseph, der das Reittier am Zügel führt, auf einen kleinen Kuppelbau zu, der, im Vordergrund auf der schmalen Bühne stehend, eine wichtige Rolle zu spielen hat, also nicht Beiwerk ist, sondern Protagonist. Es handelt sich um eine offene Aedicula über dem gewachsenen Erdboden, die nicht zur Hintergrundkulisse gehört, die die Stadt Betlehem andeutet, sondern eindeutig einen besonderen Ort bezeichnet. Ich halte dafür, dass es sich um das "Rahelgrab" handelt, das nach alter Ueberlieferung ausserhalb der Stadt als Gedenkstätte verehrt und immer wieder neu aufgebaut wurde. Auf einer Reise durch Jordanien und Syrien habe ich mehrfach solche offene kleine Kuppeln gesehen, die von unserem Reiseführer als "Heiligengrab" bezeichnet wurden. Die heilige Familie wird den Ort nicht betreten, aber er ist ihr Anlass zum Gespräch. Das etwa zweijährige Jesuskind ( der Maler hat den Text genau gelesen!) beugt sich auf dem Schoss der Mutter vor und zeigt mit dem Finger fragend auf das kleine Gebäude am Strassenrand. Joseph gibt mit seiner grossen im Sprechgestus erhobenen Hand die Antwort, die im Evangelientext steht und die den Propheten Jeremias zitiert: Eine Stimme hört man in Rama, viel Weinen und Wehklagen: Rachel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind. Gemäss einem Kommentar in der Jerusalemer Bibel ist dies als ein prophetischer Hinweis auf den betlehemitischen Kindermord zu verstehen. Tatsächlich schildern die beiden nächsten Bildfelder in Müstair ( Nr.33 und 34) in drastischer Darstellung sowohl das Gemetzel als den König Herodes, der den Befehl dazu erteilt. Die hier nachzulesende relativ kurze Perikope, die Anlass zu vier aufeinanderfolgenden Szenen gab, ist Matthäus 2, 13 -18.

Freitag, Dezember 08, 2006

Müstair St. Johann und die düstere Seite der Weihnachtsgeschichte

Foto von U.P.S. San Francisco, 2006
Die freudig gestimmten Bilder der Südwand mit der Geburt des Messias-Kindes, Engelsbotschaft an die Hirten und Anbetung der "heiligen drei Könige" sind nicht erhalten. Wie öfter im frühen Mittelalter finden sich an der Nordwand die düsteren Aspekte der biblischen Erzählungen versammelt. Nr.29 zeigt die drei Weisen, die, von einem Engel gewarnt,
nicht nach Jerusalem zu König Herodes zurückkehren, sondern direkt in ihre ferne Heimat zurückreiten. Nr.31 -34 (Matth.2, 12 - 18) berichten ausführlich vom betlehemitischen Kindermord und die dazwischen eingeschobene "Darstellung des Kindes im Tempel (Nr.30)" enthält in den Worten des alten Simeon, die bei Luk. 2, 34-35 nachzulesen sind einen Hinweis auf das künftige Leiden Marias und ihres Sohnes!
Nr 31 zeigt das Traumgesicht Josephs ( Matth.2, 13) Das heute zum grössten Teil hinter der Orgel verborgene Bildfeld ist durch ein karolingisches Fenster mit hübscher Vogelranke in der Laibung beschnitten. Man sieht den in einem gedrechselten Bett schlafenden Joseph, Kopf und Flügel des links oben erscheinenden Engel und unter dem Fenster die angedeutete Stadt Betlehem; im Titulusstreifen darunter ist vom Begleitvers noch das Wort Egipto zu lesen. In der nächsten Szene, Nr 32 hat sich die Familie schon auf den Weg gemacht um der Warnung des Engels Folge zu leisten. Wir sehen ein ganz besonders gestaltetes Bild der Flucht nach Aegypten, das direkt auf die anschliessende grausame Darstellung des Kindermordes von Betlehem Bezug nimmt.

Sonntag, Dezember 03, 2006

Der Liber Viventium Fabariensis und der Vierpass als Symbol der himmlischen Herrlichkeit

Die Herrlichkeit Gottes - kann man sie andeuten? Das ungeschaffene Licht - was ist das?
Die hebräische Bibel sagt, dass Jahwe, der unsichtbare Gott, in dem von ihm ausgehenden, unzugänglichen Licht wohnt: im Glanz (kabod)! In der griechischen Uebersetzung wird das hebräische Wort "kabod" mit Ruhm, Ehre, Lichtglanz (doxa) wiedergegeben; lateinisch liest man gloria (Ehre, Ruhm, Lichtglanz). Und in der deutschen Annäherung heisst das dann zuweilen: die himmlische Herrlichkeit! Gibt es eine Möglichkeit diesen Nicht-Ort, diesen Glanz, diese Ausstrahlung symbolisch darzustellen? Ich behaupte: ja.
Als ich vor vielen Jahren an einem Buch über den sogenannten "Liber Viventium von Pfäfers" beteiligt war und den künstlerischen Schmuck dieser frühmittelalterlichen Handschrift beschreiben und analysieren sollte, ist mir im wahrsten Sinn des Wortes ein Licht aufgegangen. Das Buch an dem diverse Autoren mitarbeiteten ist nie erschienen. Der Ersatz, der in erstaunlichem Alleingang von einem einzelnen Kunsthistoriker geleistet wurde und der nun das Faksimile des Pfäferser Memorialbuches als Kommentarband begleitet, datiert den Codex zu spät, verneint eine Entstehung in mehreren Phasen und geht auf die ursprüngliche Bedeutung der vier ganzseitigen „Evangelisten-Bilder“ kaum ein. Der Aspekt des Vierpasses als Symbolform wird nicht erwähnt (Anton von Euw: Liber Viventium Fabariensis, Frankeverlag, Bern/Stuttgart 1988).

Dass der Vierpass mehr als eine Schmuckform ist und nicht nur die Einheit der vier Evangelien andeutet, sondern ursprünglich wirklich den Gottesglanz, die himmlische Herrlichkeit symbolisiert, kann ich hier nicht ausführlich begründen. Ich verweise lediglich auf die vierpassförmigen Rhipidien ( Hoheitszeichen, die in der georgisch-orthodoxen Liturgie die Anwesenheit der von Engelwesen begleiteten, unsichtbaren Gottheit darstellen) und sodann auf die zahlreichen Vierpässe, die auch im Abendland etwa seit dem 12.Jh. die Heiligen umschliessen, die nach ihrem Tod in den Himmel eingegangen und somit bei Gott sind.

In Vertretung des reichen Buchschmuckes des im letzten Viertel des 8.Jh als bischöfliches liturgisches Gedenkbuch begonnenen"Liber Viventium" (Buch der lebenden und verstorbenen Freunde und Wohltäter, die in der Messliturgie namentlich erwähnt werden sollen) bilde ich hier die Titelseite zum Markus -Evangelium ab (p.52 des Faksimile-Bandes). Man blickt in einen orientalischen Paradiesgarten: Unter einem hufeisenförmigen flächigen Bogen schwebt ein Vierpass mit einem geflügelten Löwen über einem Pflanzen-und Vogelmotiv. Nun muss man wissen, dass die sogenannten Evangelistensymbole ursprünglich Bildgestalten Christi und seiner im jeweiligen Evangelium hervorgehobenen Eigenschaften waren: seine Menschlichkeit, seine königliche Machtfülle, sein Priestertum und seine göttliche Natur! Trotz der Beischrift Evangelista oder Apostolus ist also im dargestellten Wesen Jesus Christus selber gemeint und der ihn rahmende Vierpass zeigt ihn in seiner Einheit mit dem Vater in der göttlichen Herrlichkeit. Die Vierpassform war im jüdischen Umfeld einst wohl ein Ideogramm, eine abgekürzte und vereinfachte graphische Darstellung des in der Ezechielvision geschilderten vierrädrigen Thronwagens Gottes.

Oben ist die grosse Initiale zum Te-igitur im Messkanon des Remediussakramentars zu sehen. Sie steht dort auf p.368, wo unten auch der Gedenkeintrag für Bischof Remedius zu finden ist. Unten zeige ich - leider in einer schwarz-weiss Fotographie - die Doppelarkade von p.65 im Liber Viventium, die den Memorialteil zu Markus eröffnet (einst eine leere Zierseite ohne Namenseinträge). Man beachte die Ähnlickeit des kunstvollen Flechtwerks (Doppelklick auf das Bild zwecks Vergrösserung) in den beiden Handschriften! Sollten sie wirklich in einem Abstand von ca. 40 Jahren geschaffen worden sein? War da nicht ein und der selbe Künstler am Werk?

Das mit einem Kurz-Evangeliar, mit 4 Titelbildern und mit 4 Eingangstoren aus feinstem Flechtwerk versehene und von zahlreichen Bogenrahmen für Namenslisten begleitete Memorialbuch war ursprünglich rein zeichnerisch gestaltet. Es gehörte, wie ich meine, einst dem Bischof Remedius von Chur, dessen vor 785 zu datierendes Sakramentar einen ähnlichen Schriftcharakter und ähnliche Schmuckelemente aufweist. Erst nach dessen Tod im Jahr 820 gelangte es in den Besitz der Abtei Pfäfers, wo es auseinandergenommen, neu zusammengesetzt, farbig ausgemalt und schliesslich zum klösterlichen Traditionscodex umfunktioniert wurde. Vermutlich wurden damals einige ältere Lagen mit Namenseinträgen entfernt und durch rasch gezeichnete Bögen ersetzt. Die vier zu den Titelbildern passenden feingearbeiteten, einst leeren Doppelarkaden mit kunstvollem Flechtwerk wurden erst im mittleren und späten 9.Jh. mit Namenslisten gefüllt.