Freitag, Juni 15, 2007

AL-FRESKO ist umgezogen!

Dieses Blog ist umgezogen. Sie finden das aktuelle Al-Fresko ab sofort auf

www.al-fresko.ch


Dienstag, Juni 12, 2007

Wiederkunft Christi, Einrollen des Himmels und Auferweckung der Toten

Müstair, innere Westwand, Weltgerichtsbild:
Die erste Phase des Jüngsten Gerichts wird durch Vorgänge am Himmel eingeleitet: Sonne Mond und Sterne verschwinden, das heisst, die Möglichkeit der Orientierung in Raum und Zeit geht verloren. Dann erscheint von Engeln eskortiert, Christus, der Menschensohn, dem sein siegreiches Zeichen voraus geht: das strahlende, funkelnde Kreuz des Auferstandenen. Und Engel mit lauter Posaune wecken die Toten auf um sie von allen vier Weltrichtungen zusammenzuführen. Das war im obersten Streifen dargestellt.

Die Wiederkunft Christi (Parusie). Mittelteil des Weltgerichtsbildes oben links.


Engel rollen den Himmel ein (Ende der messbaren Zeit). Mittelteil oben rechts.





Dazwischen muss sich das siegreiche Flammenkreuz, das"Zeichen des Menschensohns", befunden haben, das beim Einbrechen des grossen gotischen Fensters zerstört wurde; es war entweder gemalt oder befand sich in einem Rundfenster mit farbigem Glas über dem zentralen Bild des thronenden Weltenrichters im Engelskranz. So zeigt es auch eine Zeichnung des 11.Jh. in der spanischen Bibel von Ripoll, die viele Evangelienszenen als fortlaufende Frieserzählung gibt, das Weltgericht aber als ganzseitiges Bild. Sie könnte auf ein älteres (italienisches?) Vorbild zurückgehen.

Unmögliches Layout! Pit, kannst du das flicken und die Bilder auf gleicher Höhe nebeneinander Platzieren? Danke! -Der Artikel ist übrigens noch nicht fertig...

Freitag, Juni 08, 2007

Das grosse Weltgerichtsbild an der Westwand


Müstair, innere Westwand: Weltgericht (heutiger Zustand), Foto F.Hidber im GSK-Führer1986, Grundlage: Matthäus 24, 29 - 31 und 25, 31 - 46.

Strichzeichnung der Westwand-Einteilung (Büro Sennhauser)

Man sieht: die Zerstörungen am monumentalen Bild durch den Einbau der Nonnenempore und durch Fenster- und Türausbrüche in gotischer Zeit sind sehr gross. Trotzdem kann man sich die ursprüngliche Wirkung des Freskos mit Hilfe der Umzeichnung gut vorstellen, und wie ich meine lassen sich wichtige Partien sogar einigermassen rekonstruieren. Das grosse rechteckige Bildfeld befindet sich unterhalb der schon besprochenen Bilder Nr.9-12 des Davidszyklus und ist als Ganzes in das selbe breite Rahmenornament gefasst, das unten auf den den ganzen Raum umziehenden Mäander und die Sockelzone aus Marmorimitation trifft. Erstaunlicherweise hatte der Saal keinen eigentlichen Westeingang. Die kleine Tür unten in der Mitte der Wand ist späteren Datums; über ihr befindet sich allerdings ein heute vermauertes karolingisches Rundbogenfenster über das die Archäologen vorläufig noch nachdenken. Ich mache mir dazu meine eigenen, vielleicht inkompetenten Gedanken. Was aber die karolingischen Fenster im oberen Teil angeht, so bin ich überzeugt, dass es einst nicht drei, sondern nur zwei waren, denn dort, wo in der Zeichnung das mittlere angedeutet ist, musste sich der wichtigste Teil des Davidszyklus befunden haben: die vom Propheten Nathan dem König überbrachte göttliche Verheissung vom ewigen Thron für einen Spross aus seinem Geschlecht!

Man ist es gewohnt, das Jüngste Gericht beim Eintreten in eine Kirche aussen an der Fassade, meist in plastischer Ausgestaltung, zu sehen. Nun gibt es jedoch einige abendländische Beispiele von Gerichtsdarstellung an der Innenseite der Westwand. Das könnte bedeuten, dass die entsprechenden Kirchen ursprünglich nicht durch einen Westeingang betreten wurden, sondern auf einem Umweg über einen Vorraum von der Seite her. Das war in Müstair bestimmt der Fall, denn die Mönche (und ihre zeitweiligen Gäste)betraten den Saal im Osten von den seitlichen Anbauten her durch zwei sehr hohe unverschlossene Portale unmittelbar vor den Stufen die zum Altarpodium führten. Um zu ihren Plätzen im ausgesparten Geviert, dem sogenannten Mönchschor, zu gelangen, mussten sie sich gegen Westen wenden. Somit fiel ihr Blick als erstes auf das Weltgerichtsbild an der inneren Westwand, wo gemäss der römischen Leseordnung die Ereignisse geschildert sind mit deren Evokation das Kirchenjahr endete und begann: das Jüngste Gericht, der Tag des Herrn ( Perikopen vom letzten Sonntag nach Pfingsten und vom ersten Adventsonntag = Matthäus 24, 15-35 und Lukas 21, 25-33)! Das Fresko von Müstair folgt allerdings nicht nur diesen Lesungen, sondern bezieht sich auch auf Matth.25,31 -46, denn es geht nicht auf eine Buchillustration zurück, sondern sehr wahrscheinlich auf ein monumentales (römisches?)Wandbild, das auch in Giottos Weltgericht in Padua noch nachklingt.
Das Weltgericht in Müstair ist in drei horizontale Streifen gegliedert, die aber nicht wie später eine Bühne auf drei Ebenen meinen, also Himmel, Erde und Unterwelt, sondern eine zeitliche Abfolge schildern. Im oberen Register kündet sich das Weltende an mit grossen Posaunenengeln, die die Toten zur Auferstehung rufen - sie erheben sich aus ihren Sarkophagen - mit der Ankunft Christi, des Menschensohnes, dem sein Zeichen, ein flammendes Kreuz (zerstört) voraus geht, und mit dem Verschwinden des Himmelszeltes, das samt Sonne, Mond und Sternen von vier Engeln zusammengerollt wird - messbare Zeit wird fortan nicht mehr sein! Im mittleren Register sitzt Christus auf dem Richterthron im Regenbogen- und Engelskreis, wo die beiden vordersten die offenen Schriftrollen mit der Urteilsverkündigung präsentieren. Zu beiden Seiten wenden sich die unter Arkaden thronenden 12 Apostel, die Vertreter der Kirche, einander im Gespräch zu. Sie sind nicht nur Beisitzer, sondern Geschworene und Mitrichter. Das unterste Register ist durch zwei Berge unterteilt, von deren Hängen die auferstandenen und die noch lebenden Menschen der (verlorenen)Mitte zustreben, wo von einer Engelwache flankiert vermutlich das Leidenskreuz mit dem Lamm Gottes im Zentrum zu sehen war. Das siegreiche Kreuz und das Lamm Gottes, beide sind Bildgestalten Jesu Christi, des Herrn der Welt und der Verkörperung der erlösenden Barmherzigkeit. Im Innern der Berge waren wohl einst links das irdische Paradies mit den Patriarchen und mit Mutter Maria zu sehen und rechts der Höllenabgrund. Der obern und mittleren Darstellung liegt Matthäus 24, 29-46 zugrunde, für die untere dürfte eine Kirchenvaterpredigt die Anregung geliefert haben.
Soweit der Überblick. Die Einzelheiten werde ich in den nächsten Tagen besprechen.

Mittwoch, Juni 06, 2007

Petri Rettung aus den Fluten


Oben: Ausschnitt aus dem barocken Beretta-Faksimile nach Giottos "Navicella"
Unten: die gleiche Szene (wohl nach dem spätantiken Original am Atrium von Alt St.Peter in Rom?)als Bildfeld im karolingischen Christuszyklus von St.Johann in Müstair!


Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.50: Petri Rettung aus den Fluten (oder: Jesus vertraut dem Petrus das Schifflein seiner Kirche an und verheisst für immer seine rettende Gegenwart). Matthäus 14, 22 -33.

Nachdem ich meinen Blog Ferien- und Krankheitshalber zwei Monate lang arg vernachlässigt habe, muss ich einen wichtigen Nachtrag liefern bevor ich zur versprochenen Beschreibung des Weltgerichts an der inneren Westwand übergehe. Das hier gezeigte Bildfeld des 3. Registers an der Nordwand ist zwar weitgehend zerstört und schwer lesbar, aber es erlaubt einen unschätzbaren Rückschluss auf die Herkunft der spätantiken Vorbilder des Müstairer Zyklus. Was ist zu sehen? Ein blasender Windgeist oben links, ein mit mehreren Personen besetztes Schiff mit gerafftem Segel in hohem Wellengang, und ganz rechts aussen der fast frontal gegebene Kopf Christi mit grossem Kreuznimbus. Mein altes Schwarzweissbild ist vor der von Prof.Birchler veranlassten Entrestaurierung von 1961 aufgenommen! Der Restaurator hat die Oberkante des Bootes durchgezogen weil er an die Szene der Sturmstillung dachte und annahm, dass Jesus sich mit den andern im Schiff befindet. (Meist ist er in entsprechenden Bildern nämlich zweimal dargestellt: einmal schlafend und einmal hochaufgerichtet Wind und Wellen gebietend.)Ich habe schon in meiner 1958 abgeschlossenen Dissertation an Giottos berühmtes "Navicella"Mosaik am Porticus des Atriums von Alt St. Peter gedacht, das ein beschädigtes spätantikes Vorbild aus dem 4.Jh. an der gleichen Stelle ersetzt.
Das Thema wurde schon in Dura Europos in Mesopotamien im 3.Jh als Fresko dargestellt. Und in Rom ist die Szene in einem Bild aus dem späten 8.Jh. in S.Saba wenigstens fragmentarisch erhalten. Und in Bobbio werden zwei palästinensische Ampullen aus dem 6.Jh aufbewahrt, die wohl ein berühmtes Monument mit dieser Szene aus dem Heiligen Land wiedergeben.

Bei diesem Stich nach Giottos berühmter Navicella (aus dem 17.Jh.) muss man sich die oberste Partie mit den Halbfiguren der 4 Evangelisten wegdenken um das Bild in Müstair zu verstehen; und ebenso den Leuchtturm links und die unterste Partie mit dem Fischer und der Stifterfigur im Vordergrund. Der Maler im 8.Jh. hat sich auf die blasenden Windgötter oben und auf das Boot mit Segel und auf die Petrus-Christus-Gruppe beschränkt. Von der übergrossen Jesusfigur in Frontalansicht ist heute nur noch der Kopf zu sehen. Die Hauptperson, der in den Fluten halb versinkende Petrus, ist in Müstair leider nicht erhalten. Er befand sich wohl im Vordergrund etwas rechts von der Mitte vor dem Schiff.
Es gibt relativ viele mittelalterliche Darstellungen zu der genannten Matthäusperikope. Sie zeigen fast immer ein kleines, von stürmischen Wellen bedrängtes Boot mit wenigen Figuren, wie etwa das schöne Bild im Reichenauer Egbertcodex, aber nur in Müstair findet sich auch das geraffte Segel und der majestätische , hochaufgerichtete, von vorn gesehene Heiland, als der Herr (Kyrios) der Welt.


Doch nun zurück zu Giottos Neufassung des berühmten spätantiken Bildes aus dem Portikus von Alt St.Peter in Rom:
Da es oben, wo ich es platzieren wollte, im Blog-Layout keinen Platz hat, füge ich hier die Christus-Petrusgruppe aus dem Beretta-Faksimile des Navicella-Mosaiks von 1628 an. Es hilft uns das verstümmelte Bildfeld Nr 50 in der karolingischen Kirche von Müstair zu verstehen und erlaubt wichtige Rückschlüsse auf die Herkunft der verwendeten Vorbilder. - Ei sieh da! Nun ist es wunderbarer Weise doch nach oben gerutscht!

Freitag, April 06, 2007

Das Kreuz als Symbol der Auferstehung


Müstair Südapsis: ein von einem Lichtschein umflossenes Medaillonkreuz, in der schriftlich überlieferten Weiheinschrift als Victoriosissima Crux bezeichnet, wird von den vier apokalyptischen Wesen verehrt. Es stellt den verherrlichten Christus dar und die mit ihm verbundenen Himmelsbewohner.

Heute ist Karfreitag. Für die einen ein hohes Fest: die Feier der Erlösung. Für die andern ein Tag der Trauer und der Busse: die Erinnerung an einen grausamen und erniedrigenden Tod. Ich habe schon immer einen starken Widerstand empfunden gegenüber der katholischen Karftreitagsliturgie, wo das Kreuz mit dem gemarterten Leichnam enthüllt und verehrt wird. An diesem Tag werden vielerorts auch blutrünstige Passionsspiele veranstaltet oder entsprechende Filme gezeigt. Die frühen Christen hatten an diesem Tag aber auch schon Ostern im Blick. Tod und Hadesfahrt und Auferstehung gehörten zusammen als das grosse Mysteriendrama der Erlösung. Darum ist heute das für uns moderne Menschen so rätselhafte Bild der Südapsis von Müstair nochmals zu sehen, das mit der "himmlischen Liturgie" (dieser Ausdruck ist im ostkirchlichen Bereich für eine andere Darstellung reserviert) zeigen will, wie im Himmelreich im Gedenken an Tod, Auferstehung und Verherrlichung Jesu ein immerwährendes Osterfest gefeiert wird.
Schon seit den ersten christlichen Jahrhunderten und das ganze Mittelalter hindurch wusste aber jeder einfache Christ: ein silbernes oder goldenes, mit Perlen und Edelsteinen besetztes Kreuz ist die Symbolgestalt des auferstandenen und verherrlichten, des verwandelten Jesus, den man anders gar nicht darstellen kann: Goldschmiedearbeit aus Köln, 11.Jh.

Offensichtlich gab es bald die Vorstellung, dass Jesu Leib nach dem Tod am Kreuz im Grab ruhte, während seine menschlich-göttliche Geistseele in die Unterwelt hinabstieg um die gerechten Gottgläubigen aus der Gefangenschaft des Todes zu befreien. Dann erst, am dritten Tag, folgte die leibliche Auferstehung und sogleich auch die Verwandlung und Verherrlichung oder "Himmelfahrt". So hat es der Zeichner im gestern gezeigten, karolingischen Utrechtpsalter dargestellt. Eine sehr frühe Schrift, das bruchstückhaft erhaltene apokryphe Petrus-Evangelium, versucht mit folgenden Sätzen den Hörern beizubringen, dass der Auferstandene entweder in menschlicher Gestalt erscheinen kann oder in der Symbolgestalt eines kostbaren Kreuzes: Am Ostermorgen erscholl eine laute Stimme vom Himmel. Dann sahen die Grabwächter, wie zwei grosse lichtglänzende Männer (Engel) vom Himmel herab kamen und ins Grab hineingingen, nachdem der Verschlussstein von selber zur Seite gerollt war. Als sie wieder herauskamen stützten sie einen riesengrossen Dritten (Jesus Christus), den sie zwischen sich führten und ihnen folgte ein Kreuz! Und eine Stimme rief wieder vom Himmel: Hast du den Entschlafenen gepredigt? Und vom Kreuz her (!) kam die Antwort: Ja!

Sonntag, April 01, 2007

Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben auch für mich?


Zeichnung im karolingischen Utrechtpsalter zum Psalm 15 (Reims, ca.825)
Psalmtext:
Bewahre mich, Gott, ich flüchte zu Dir.
Ich spreche zum Herrn: mein Herr bist Du.
Nirgends ist Glück für mich, als nur mit Dir!
.....
Der Herr ist mein Erbe und Kelch: Du hältst meine Lose in Deiner Hand
...
Du lässt meine Seele nicht in der Unterwelt
und duldest nicht, dass Dein Frommer Verwesung schaue.
Du zeigst mir den Weg zum Leben,
und Fülle der Freuden bei Dir,
und Wonne zu Deiner Rechten für alle Zeit.

Die frühe Kirche hat diesen Psalm, der eigentlich die Hoffnung auf ein ewiges Leben für alle ausdrückt, zunächst auf die Auferweckung Christi gedeutet, auf seinen "Abstieg zur Hölle", und auf seine Erhöhung "in den Himmel", was erst das Erlösungswerk zur Vollendung brachte. Darum ist er - nebst der Wortillustration vom "Kelch der Lose" und vom "sorglos ruhenden Leib" - mit Bildern zum Nikodemus-Evangelium geschmückt: links tritt Christus den Tod mit Füssen und zieht Adam und Eva aus der Unterwelt herauf, dann sieht man die Frauen am Grab (in dem der Leichnam Christi zu sehen ist!) und den Engel auf dem Stein; rechts schlafen die drei jüdischen Gesetzeslehrer, die Zeugen der Himmelfahrt wurden und in Jerusalem davon Bericht erstatteten; darüber steht die Gruppe der Jünger, die nach Galiläa geeilt ist, und zuoberst wird der auferweckte und erhöhte Christus im Himmel von Engeln verehrt.

Ich habe beim Bild Nr.67 an der Nordwand in Müstair (Jesu Hadesfahrt) auf das apokryphe Nikodemusevangelium hingewiesen, das zuvor vom Prozess Jesu, von der Kreuzigung, vom Begräbnis und vom leeren Grab berichtet hat, und von Zeugen der Himmelfahrt, die nicht zum Jüngerkreis gehörten. Ich habe auch das nur fragmentarisch erhaltene Bild von den Frauen und dem Engel beim Grab (Nr 68) besprochen - es ist das letzte der vierten Reihe an der Nordwand - und müsste jetzt zur Südwand übergehen, wo von der untersten Bilderreihe so gut wie nichts erhalten ist. Bevor ich mich auf Spekulationen einlasse, welche von den in den Evangelien berichteten Erscheinungen des Auferstandenen wohl noch dargestellt waren, möchte ich aber nochmals auf das Nikodemus-Evangelium zurückkommen, das im hohen Mittelalter zu volkssprachlichen Dichtungen und zu bildlicher Ausgestaltung anregte, von dem aber aus dem Frühmittelalter nur ganz wenige Darstellungen bekannt sind. Es schildert all die Zeichen, die Jesus schon während seinem Erdenleben und während seinem Leiden als den verheissenen Messias erweisen. Und es scheint zu wissen, was in der Zeit nach der Kreuzigung im Totenreich geschah. Und schliesslich lässt es die Entrückung des Auferweckten von Aussenstehenden beobachten.
Darum frage ich mich: Sollten auch in Müstair die beiden Szenen von der Ueberwindung von Tod und Teufel und von der Engelsbotschaft beim Grab direkt zur grossen Himmelfahrtskomposition über den Apsidende hingeführt haben? Dann hätten die
verbleibenden 14 Bildfelder der beiden untersten Reihen (Nr.69 - 82), von denen fast nichts erhalten ist, die Apostelgeschichte illustriert. Es ist anzunehmen, dass in ihnen das Wirken und das Sterben von 12 Aposteln geschildert war (unterhalb der Hadesfahrt und somit auch senkrecht unter dem Bild vom Ende Absaloms im Geäst des Baumes, wohl Judas aam Strick!). Für zwei Erscheinungen Christi kämen dann nur die ersten zwei Bildfelder der Südwand in Frage. Als relevant für die Entstehung der Kirche wäre die Begegnung mit den elf verbleibenden Aposteln im verschlossenen Saal und die Szene mit dem ungläubigen Thomas. Aber das bleibt blosse Spekulation.
In meinen nächsten Blogbeiträgen werde ich zuerst noch ein paar interessante Nachträge liefern, etwa die Errettung des Petrus aus den Wasserfluten. Dann werde ich mich dem monumentalen Weltgericht an der Innenseite der Westwand zuwenden, das den Besuchern leider nicht zugänglich ist. Es ist die älteste erhaltene Darstellung dieses grossen Themas. Und ich meine, dass es sich trotz vieler Verluste in grossen Zügen rekonstruieren lässt.

Freitag, März 02, 2007

Ostermorgen: die Frauen am Grab



Müstair, Nordwand Nr.68: Das leere Grab, die Frauen, der Engel auf dem Stein.Foto, U.P.S.,San Francisco

Da vom wichtigen Bild nur noch Spuren erhalten sind, mag hier das selbe Thema in einem Reichenauer Evangelistar des 11.Jh in Berlin als Sehhilfe dienen, wo allerdings der Engel ins Zentrum gerückt ist, die Frauen sich links befinden und die Grabwächter rechts und das Ganze sich innerhalb des Grabmonuments abspielt

Das Feld Nr.68 ist das frühchristliche Auferstehungsbild schlechthin (Matth.28,1-7;8-10) ist die Perikope zur Vigilfeier am Samstag abend und Markus 16, 1-7 die Perikope zum Ostersonntag). Das stets gleichbleibende Motiv ist der Engel auf dem Verschlusstein; bald ist er links, bald rechts, bald in der Mitte zu sehen. Vom Heiligen Grab gibt es verschiedene Ansichten. Die Frauen treten zu zweit oder zu dritt, auf der linken oder der rechten Seite auf. Nur in Müstair stehen sie im Zentrum. Das Bild ist dreigeteilt: Links aussen wohl der Vorbau vor dem Grab (das sonst als ein Kuppelbau oder ein offenes Ziborium wiedergegeben wird), in der Mitte die Frauen, von denen noch schwach die verschleierten Köpfe zu sehen sind, und rechts der Engel auf dem weggehobenen Stein. Man erkennt den zweifarbigen Nimbus und den Botenstab im linken Arm, sowie den schräg verlaufenden Rand der Steinplatte (Rest einer perspektivischen Ansicht) Den Hintergrund bildet eine Bergkette über der der rötliche Morgenhimmel zu sehen ist und ganz rechts oben vielleicht die fliehenden Grabwächter (oder ist das Gebüsch des Gartens gemeint?). Berge und Garten sind in der Frühzeit fast nur im syrischen Rabulas-Evangeliar zu sehen, wo der Ostermorgen zusammen mit der Kreuzigung in einem einzigen Bild in der gleichen Landschaft vereinigt sind: links die Frauen und der Engel, im Zentrum das Grab und die vom Erdbeben zu Boden geschleuderten Wächter, und rechts die Begegnung der zwei Frauen mit dem auferstandenen Christus im Garten.

Rabulas-Evangeliar, spätes 6.Jh., Syrien. Aufbewahrt in der Biblioteca Laurenziana in Florenz

Donnerstag, Februar 22, 2007

Die Hadesfahrt Christi, oder: Jesu Abstieg zu den Toten (Descensus ad inferos)


Müstair Nordwand, Nr. 67: Jesu Abstieg zu den Toten, Foto U.P.S. San Francisco

Der Mythos von Christi Abstieg ins Totenreich, vom Kampf mit den Mächten der Finsternis und von der Befreiung der Toten (1. Petrus 3, 18 -22 und 4, 6 und die dramatische Descensus-Schilderung innerhalb des apokryphen Nikodemus-Evangeliums (2, 18-24) findet sich nicht in den kanonischen Evangelien. Gleichwohl ist er schon sehr früh im zentralen Teil der Messfeier enthalten (Anaphora des Bischofs Hippolyth von Rom) und wurde wohl auch als kultisches Spiel in die Taufvorbereitung der Osternacht integriert. Der heilige Augustinus hat darüber gepredigt und zahlreich sind die dichterischen Texte zur "Höllenfahrt Jesu" im frühen und hohen Mittelalter. Das Bild Nr.67 ist also nicht aus einem spätantiken Perikopenbuch übernommen, sondern aus einer Wandmalerei oder einem Relief. Später findet es sich zur Illustration der österlichen Taufliturgie in den Ritual- und Sakramentarbüchern. Den Taufanwärtern wird die Erlösung der alttestamentlichen Gerechten aus der Unterwelt vor Augen geführt und der Sieg Christi über den Tod und den Teufel. Was hier dargestellt ist, will einen Satz aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis anschaulich machen: ... gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten ... Dieser Satz ist der Versuch eine Antwort zu finden auf die Frage: Was bedeutet Erlösung? Was geschah zwischen Karfreitag und Ostern? Wo war der tote Jesus? Grabesruhe? Oder dramatisches inneres Geschehen? Ich habe soeben Patrick Roths erstaunliches Buch "Corpus Christi" gelesen. Der Autor geht dieser Frage nach - dabei tauchen andere Bilder auf - zeitgemässe - nicht weniger dramatisch als das mythische Bild von der "Hadesfahrt", aber unmittelbarer packende, sozusagen persönlich erlebbare...
Von einer grossen, schräggestellten Mandorla (einem hellen Lichtschein) umgeben steht Christus etwas nach vorn gebeugt in der linken Bildhälfte und greift mit der rechten Hand nach dem Arm eines aus dem Boden auftauchenden, weisshaarigen, nackten Mannes; hinter diesem ist ein weiteres Gesicht zu sehen. Es sind Adam und Eva, die Ureltern der Menschheit, die durch Christi Tod und Auferweckung, der Unterwelt, dem Tod entrissen werden und die so die Auferstehungshoffnung für alle erlebbar machen. Neben der Mandorla tauchen zwei nimbierte Gestalten auf; die vordere könnte Johannes der Täufer sein, der seit kurzem ebenfalls im Totenreich anwesend, den andern Gefangenen ihre befreiung angekündigt hat. Rechts aussen fesselt ein kraftvoller Engel den Satan, den man sich in der Ecke unten denken muss. Er und weitere im Text genannte Figuren sind heute nicht mehr zu sehen, doch lässt ein reich geschnitzter Elfenbeinbecher aus dem 10. Jh. diese Vermutung zur Gewissheit werden:
hier sieht man genau, was im Müstairer Bild nicht mehr deutlich zu erkennen ist: die Fesselung des Teufels durch einen grossen Engel! Ich habe diese Elfenbeinarbeit, ein ottonisches Weihwassergefäss, schon in meiner 1958 abgeschlossenen Dissertation herangezogen. Diese Szenenfolge ist eng mit den Passionsbildern von Müstair verwandt. Ich habe den Becher schon im im gestrigen Abschnitt, wo von der Kreuzigungsdarstellung die Rede war, abgebildet.

Zurück zum Bildfeld Nr.67: Das Ganze spielt sich in einer fensterlosen Kammer ab, von der die rechte obere Ecke rechts im Bild zu sehen ist. Dieses Gefängnis, sowie die Nacktheit von Adam und Eva unterscheidet die Szene vom später geschaffenen bekannten byzantinischen Osterbild, der Anastasis, wo Christus als strahlender Sieger empor steigt und die Ureltern mit sich reisst. Hier in Müstair ist wirklich der Descensus dargestellt, der Abstieg in die Unterwelt, Jesu eigenes Erleiden der Todeswirklichkeit. Christus nimmt mit seiner Lichtglorie mehr als die Hälfte des Bildfeldes ein. Eine einzige grosse Bewegung geht von links oben nach rechts unten durch die souverän komponierte Szene. Hier wurde kaum eine ältere Buchmalerei aufgegriffen. Das ist wirkliche, auf Fernsicht hin angelegte Wandmalerei mit grossen Flächen und ruhigen Umrissen. Man meint fast ein klassizistisches Relief vor sich zu haben. Mir scheint, dass der Hauptmeister selber hier am Werk war, so wie wir ihn vom Himmelfahrtsbild oben an der Ostwand kennen. Und wie er nächstens im grossen Weltgerichtsbild an der Westwand zu fassen sein wird. Eine frühmittelalterliche Anregung aus dem 7. Jh. dürfte hier im späten 8.Jh. wieder aufgenommen worden sein. Ob sie in Unteritalien entstanden ist, in Ravenna oder in der Stadt Rom ist vorläufig nicht auszumachen. In St.Angelo in Formis bei Capua ist aus dem 11.Jh. innerhalb eines einer Kirchenausmalung ein Bild zum selben Thema erhalten. Es weist aber andere Züge auf: der Schauplatz des Geschehens ist nicht ein gemauertes Verlies, sondern eine Höhle unter der Erde. In ähnlichen Bildern in den süditalienischen Exultetrollen, im oberitalienischen Warmundussakramentar, oder in der Reichenauer Buchmalerei, lodern gar Flammen aus dem Boden auf: Aus dem Schattenland des Hades, wo alle Toten wohnen, ist jetzt schon die Hölle der Verdammten geworden.


Fresko in S.Angelo in Formis, 11.Jh. (Foto aus der Dissertation von Anita Moppert-Schmidt,Zürich 1967)


Reichenauer Buchmalerei des 11.Jh: Ungewöhnliches Bild zum Osterfest(!) in einem Evangelistar in Hildesheim.

Dienstag, Februar 20, 2007

Die Kreuzigung



Müstair Nordwand Nr65/66 Kreuzigung (schlecht erhalten), darunter meine Nachzeichnung

Das sich über den jetzt vermauerten Eingangsbogen der Nordwand erstreckende, vielfigurige Bild ist zwar arg zerstört und für den Laien kaum mehr lesbar, aber mit Hilfe meiner Rekonstruktionszeichnung, die das Erhaltene in kräftigem Strich wiedergibt und das Ergänzte in feiner Zeichnung, sollte die folgende Beschreibung die Szene vor dem innern Auge erstehen lassen:
Das grosse Kreuz steht ganz vorn und beherrscht den Bildraum, der hinten durch einen Gebirgszug abgeschlossen ist, der entweder die reale Landschaft darstellt oder symbolisch das alte und das neue Testament (Berg Sinai und Berg Tabor) meint. Christus ist bis auf einen schräg verlaufenden Lendenschurz nackt. Sein Haupt ist zur rechten Schulter geneigt, er ist also tot. Zu beiden Seiten des Kreuzstammes sind zwei stark bewegte Gestalten zu sehen; links in Ausfallstellung und in kniekurzem Gewand Longinus, der mit seinem Speer Jesu Seite durchbohrt und rechts, als Rückenfigur, Stephaton in langem dunklem Kleidd, der dem dürstenden Jesus auf einem Stab den Essigschwamm hinaufstreckt. Links aussen im Bildfeld ahnt man noch die grosse Gestalt der trauernden Mutter, hinter der das kleinere Kreuz des reuigen Räubers zu sehen war. Vom Jünger Johannes ist rechts ein Stück der weissen Tunika und ein Stück des dunklen Mantels erhalten; rechts hinter ihm sieht man den zweiten Räuber, dessen Arme mit Stricken nach hinten über sein Kreuz gezogen sind. Ganz rechts aussen über der Bogenöffnung zum nördlichen Seitenraum ist die Gruppe der zuschauenden Soldaten mit ihrem Hauptmann relativ gut erhalten. Zu dieser dramatisch erzählenden und zugleich symbolgeladenen Darstellung ist keine spezielle Evangelienstelle zu nennen, vielmehr muss man bei allen vier Evangelisten nachlesen. (Die Passionsberichte stehen in den liturgischen Büchern beim Palmsonntag). Das Vielfigurige Kreuzigungsbild ist wohl indirekt auf ein berühmtes altes Mosaik zurückzuführen. Ich gebe hier zum Vergleich den Link zu einer Buchmalerei aus dem syrischen Rabulas-Evangeliar
das heisst aber nicht, dass es in Müstair als Vorbild gedient hat. Näher verwandt ist eine Darstellung auf einem mailändisch-ottonischen Elfenbeinbecher des 10.Jh., der auch für das nächste Bildfeld herangezogen werden muss:

Er befindet sich heute in London im Victoria u. Albert Museum. Da seine Passionsdarstellungen diejenigen einer karolingischen Elfenbeintafel im Dom von Mailand wiederholen, die ihrerseits auf ein spätantikes Werk des 5. Jh. zurückgehen, ist ein Vergleich mit Müstair gerechtfertigt. Das wird bei der Besprechung des folgenden Bildfeldes Nr.67 deutlich zu zeigen sein.

Samstag, Februar 17, 2007

Das Urteil des Pilatus und Beginn des Kreuzwegs


Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.64 (Foto U.P.S, San Francisco) und Egbertcodex, Perikopenbuch aus Kloster Reichenau, 10.Jh.


Nachdem der Hohe Rat Jesus zu Pilatus, dem römischen Statthalter ins Prätorium gebracht hatten, begannen lange Verhandlungen und Befragungen. Schliesslich musste Pilatus ihn zur Kreuzigung freigeben, obwohl er ihn für unschuldig hielt. Die Szene Nr.64 spielt sich vor dem schräg ins Bild ragenden Prätorium ab, wo Pilatus auf dem Richtstuhl sitzt und sich demonstrativ die Hände wäscht: ein Diener in langem Gewand hält ihm ein Wasserbecken hin und schüttet ihm aus einem nicht mehr sichtbaren Krug Wasser über die Hände. Links aussen ist auf einer Säule ein kleines Standbild zu sehen; zwischen dem Diener und dem Statthhalter hängt merkwürdigerweise an zwei Haken ein geknotetes weisses Tuch. Jesus steht im Zentrum des Bildes. Ein Scherge legt ihm die Hand auf den Arm und stösst ihn vorwärts, ein anderer - er ist nicht erhalten - zieht ihn an den gefesselten Händen nach rechts hinüber, wo gemäss dem Text Matth.27, 31-32 Simon von Kyrene gezwungen wird das Kreuz voraus zu tragen. Da die ganze rechte Bildhälfte zerstört ist, zeige ich den Beginn des Kreuzwegs in einer Buchmalerei aus dem 10. Jh., die nach einem ähnlichen spätantiken Vorbild geschaffen wurde, Zu Grunde liegt der lange Text der Passionserzählung nach Matthäus 27, der jeweils im Palmsonntagsgottesdienst vorgelesen wird. Manche Stellen daraus sind in den liturgischen Büchern abgebildet, aber im Zyklus von Müstair sind keine blutrünstigen Bilder zu sehen. Nach der Oelbergszene und der Gefangennahme geht der grossen Kreuzigungsdarstellung nur das Bildpaar Nr.63 und 64 voraus, wo offensichtlich dem Todesurteil des Jerusalemer Tempelrats, die Skrupel des Pilatus gegenübergestellt, und so die Römer entlastet werden.

Freitag, Februar 16, 2007

Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas



Müstair Nordwand, Nr.63: Jesus wird vom Hohen Rat der Juden verhört. (Bild zur Hälfte von der neuen Orgel verdeckt)Text: Lukas 22, 66-71

Am Morgen nach der Gefangennahme wird Jesus ins Haus des Kaiphas gebracht, nachdem er zuerst bei Hannas, dem letzten Hohepriester und Schwiegervater des jetzt amtierenden verwahrt worden war. Hier macht er die entscheidende Aussage, die sein Schicksal besiegelt. Er bekennt, dass er der Messias und mit aller Vollmacht ausgestattete Sohn Gottes ist!
Vom gut erhaltenen Bildfeld, das heute zur Hälfte von der Orgel verdeckt ist, habe ich leider kein altes Foto, was umso bedauerlicher ist, als es sich um eine wichtige Szene im Zyklus handelt. Jesus steht gross und hoheitsvoll im Zentrum der Komposition. In der Linken hält er eine Schriftrolle, die Rechte ist im Sprechgestus erhoben. Rechts vorne sitzen die beiden Hohepriester auf einem doppelt breiten, kissenbelegten Truhenthron. Kaiphas, dunkel gewandet und mit dunklem Haar und Bart gestikuliert mit beiden Händen. Der ältere, Hannas, in hellem Kleid mit breiten Zierborten, hält die rechte Hand vor der Brust. Gemeint ist wohl das Einreissen des Gewandes zum Zeichen der Trauer und Empörung wegen der scheinbar gotteslästerlichen Aussage Jesu. Dieser antwortet nämlich (nach Lukas 22, 67 - 70 ) auf die Frage des Kaiphas, dass er der verheissene Christus und Gottessohn ist. Hinter Hannas steht ein Tempelwächter mit Speer und zwischen Jesus und Kaiphas sieht man einen der anwesende Ältesten des Hohen Rates. Beachtung verdient der Hintergrund mit den Rundbogenarkaden und dem aufgemalten Zierat. Offenbar war es schon im spätantiken Vorbild wichtig das vornehme Innere des Hauses des Kaiphas zu zeigen. Also einmal mehr eine den Heiliglandpilgern bekannte authentische Ortsangabe!
In allen vier Evangelien heisst es nun weiter: und sie fesselten ihn und lieferten ihn an den römischen Statthalter Pilatus aus.

Mittwoch, Februar 14, 2007

14. Februar: Valentin oder Symeon?


Reichenauer Buchmalerei des 11.Jh. (Cod.78 A 2, Berlin)

Der Valentinstag, Fest der Blumengeschäfte, gilt als Fest der Freunde und der Verliebten. St. Valentin war ein frühchristlicher Bischof in Terni in Italien, der an einem 14. Februar den Märtyrertod durch Enthauptung starb. Ist er darum zum Patron der Verliebten geworden? Sich verlieben heisst ja den Kopf verlieren und wenns weiter geht auch noch das Herz, was bekanntlich sowohl zu Glücksgefühlen wie zum Martyrium führen kann! - Aber der 14. Februar berichtet auch sonst von einer Begegnung und einer Liebesgeschichte. Denn am 14.Februar - 40 Tage nach dem frühchristlichen und dem orthodoxen Weihnachtsfest vom 6.Januar - wurde und wird in der kirchlichen Liturgie die Darbringung des Jesuskindes im Tempel von Jerusalem gefeiert. Hauptperson des Festes ist natürlich das Kind, dann auch seine Mutter (Lichtmess oder Mariae Reinigung ist eine andere Tagesbezeichnung), aber in der Ostkirche wird nach dem Bericht des Lukasevangeliums besonders des alten Symeons gedacht, der das Kind in die Arme nehmen durfte und dann seinen Lobgesang " nunc dimittis" anstimmte. Auch eine prophetische Greisin war dabei, aber ihre Hymne ist leider nicht überliefert. Weil in Rom und im Abendland das Fest der Christgeburt auf den 25. Dezember verlegt wurde, mussten auch die 40 Tage zurückverschoben werden, so dass Jesu Darstellung im Tempel, seither am 2. Februar gefeiert wird. Darum ist halt der sonst wenig bekannte Valentin seit dem späten Mittelalter und vorallem seit dem 20.Jh. in die Lücke gesprungen. Das entsprechende Lichtmess-Bild, Nr.30 im Zyklus von Müstair, habe ich am 24.11.06 in meinem Blog abgebildet und besprochen (Bitte im Archiv nachsehen). Am 2. Februar werden üblicherweise Kerzen gesegnet, und am 14. sind jetzt Blumen angesagt. Der Frühling rückt ja jetzt noch näher. Also macht ruhig euren Liebsten ein kleines Geschenk! Ich würde auch gerne Blumen bekommen! Der Liebe und Freundschaft zu gedenken ist allemal richtig.

Dienstag, Februar 13, 2007

Beginn der Passion: Nacht am Oelberg und Gefangennahme


Gefangennahme Jesu in einer Reichenauer Handschrift des 10.Jh. (Codex Egberti)

Der "Leben Jesu Zyklus" von Müstair wird nun in der vierten Reihe der Nordwand mit sechs Bildern zur Passion fortgesetzt. Die Felder Nr.61 und Nr.62 sind sehr schlecht erhalten. Ich bilde sie daher heute zusammen in meinem Blog ab und bringe gleich zu Beginn eine gut vergleichbare Buchmalerei, die vielleicht auf die gleiche spätantike Vorlage zurückgeht wie das Fresko von Müstair.

Nr.61: Garten Getsemani. Jesus bittet die Jünger mit ihm zu wachen (Lukas 22,39-46)


Nr.62: Judaskuss und Gefangennahme Jesu (Lukas 22,47-53)

In beiden Szenen befindet sich Jesus im Zentrum des Bildes. von Nr.61 ist rechts ein Drittel des Feldes verloren. Von Nr. 62 fehlt das linke Drittel. Von Jesu Angst und Not im Garten Getsemani ist in allen vier Evangelien die Rede, aber da Jesus sich nur bei Lukas zweimal an die ganze Jüngerschar wendet mit der Mahnung: Betet dass ihr nicht in Versuchung kommt, muss hier die Lukasperikope zu Grunde liegen. Links im Bild Nr. 61 sind unter den Oelbäumen noch schwach viele Köpfe einer am Boden kauernden Gruppe zu sehen. Den Hintergrund bilden helle Bergkuppen vor nachtdunklem Himmel. Es ist anzunehmen, dass im zerstörten rechten Drittel des Bildfeldes einst Jesus ein zweites Mal als flehentlich Betender am Berghang knieend dargestellt war.
Bei Lukas 22, 47 heisst es dann: Während er noch redete, siehe da kam eine Schar, und der welcher Judas hiess, einer von den Zwölfen, ging ihnen voran und ging auf Jesus zu, um ihn zu küssen. Damit befinden wir uns schon im Bildfeld Nr. 62, das leider ebenfalls bis auf die grossflächige Untermalung abgerieben ist. Hier hilft nun die entsprechende, oben abgebildete Szene aus dem Codex Egberti weiter: man erkennt die dreifach verschränkte Gruppe von Jesus, Judas und dem vordersten Häscher im Bildzentrum. Der dichtgedrängte Haufen der Tempelwache und der Ältesten rechts aussen wird vom Stichbogen des Tores zum Oelgarten gerahmt. Die Malchus-Szene links zu der Jesus hinüberblickt, ist im Fresko verloren.

Sonntag, Februar 11, 2007

Die Fusswaschung



Müstair Südwand, Nr.60: Jesus wäscht den Jüngern die Füsse (Johannes 13, 1-20)

Wir wissen, dass Nr.59 und 60, also Abendmahl und Fusswaschung sinngemäss zusammengehören und dass diese Szenen nicht nur in Müstair ein Paar bilden, sondern meist auch in der Ikonenmalerei und der Buchillustration verbunden sind. Die anSynoptiker berichten nur vom Abendmahl und bei Johannes ist nur von der Fusswaschung ausführlich die Rede, während das Abendmahl diskret nur angedeutet wird.
Vom letzten Bildfeld der Südwand ist nur wenig mehr als die linke Hälfte erhalten, die aber ist meisterhaft gestaltet! Von einem flachen Bogen eingefasst ist die prachtvoll bewegte Gruppe von Jesus und einem sitzenden Jünger zu sehen. Jesus hat eine Schürze umgebunden und schickt sich an vor einem jugendlichen Apostel in die Knie zu gehen, der den rechten Fuss in eine Wasserschale gestellt hat. Die linke Hand Jesu ist offen nach unten ausgestreckt um den Fuss in der Schale zu fassen, die rechte ist sprechend erhoben. Der junge Mann - er ist nicht als Petrus charakterisiert - hat die rechte Hand staunend oder abwehrend erhoben, der linke Arm ist eng in den Mantel gewickelt, der Oberkörper vorgebeugt,das Gesicht ist so gedreht, dass er uns aus dem Bild heraus anblickt! Die Körperhaltung erweckt den Eindruck von Dreidimensionalität, die Bewegung ist geschmeidig und ausdrucksvoll. Links hinter Christus stehen zwei staunende Apostel, zwei andere sind hinter dem Sitzenden zu sehen, die restlichen sieben sind leider verloren. Gerne würde man wissen ob rechts aussen einst der Sandalenbinder zu sehen war, der in einer frühmittelalterlichen Buchmalerei zu dieser Szene gehört. Sicher ist nur, dass hier der Jünger, dem die Füsse gewaschen werden in der Mitte des Bildes steht und nicht wie zu erwarten wäre der impulsiv handelnde Jesus. Was ist also die zentrale Aussage dieser Szene?



Zum Vergleich zeige ich hier das Bild zur Perikope für Gründonnerstag (Johannes 13, 1-15): Abendmahl und Fusswaschung aus dem Reichenauer Perikopenbuch für Heinrich II (Anf. 11.Jh). Man beachte im Abendmalhlsbild aussen zu beiden Seiten die Aufwärter mit Weinkrug! Judas, der in die Schüssel greift, ist hier - entsprechend einer jüngeren Tradition - isoliert vorn an der Mitte des Tisches plaziert. In der Szene der Fusswaschung ist Jesus hier, gemäss der Auffassung der Zeit, nicht demütig dienend, sondern als der königliche Meister dargestellt. Im Zentrum des Bildes stehen eindeutig seine erklärenden Worte.

Freitag, Februar 09, 2007

Ein bedeutsames Bildpaar: Abendmahl und Fusswaschung


Müstair, Südwand Bild Nr.59: Das letzte Abendmahl (Matth.26,21-29; Markus, 14,18-25; Lukas 22,15-23)

Jesus hat sich durch die Erweckung des Lazarus als Herr über den Tod erwiesen, er ist als Davidssohn in Jerusalem eingezogen und er wurde von einer Frau zum König gesalbt. Nun sitzt er gross und königlich mit sprechend erobener Hand am oberen Ende des Sigmatisches im luftigen Obergemach um mit seinen Gefährten das Passahmahl zu feiern. Obwohl das Bild schlecht erhalten ist, kann man im Saal mit den Arkadenfenstern im Hintergrund zwölf merkwürdig tief sitzende, enggedrängte Gäste zählen (wahrscheinlich waren sie in der spätantiken Vorlage liegend dargestellt). Ganz rechts, auf dem zweiten Ehrenplatz, darf man den Petrus vermuten und ganz links aussen steht nicht etwa Judas, sondern ein Diener mit einem Krug oder einem Weinschlauch; er ist Zeuge des Geschehens, denn nicht das Mysterium der Einsetzung der Eucharistie ist hier dargestellt, sondern die Ankündigung des Verrats! Der Herr weiss, dass ihn einer der seinen, die mit ihm aus einer Schüssel essen, verraten wird. Und tatsächlich sieht man - undeutlich und verblasst - rechts von der Mitte einen über den Tisch ausgestreckten Arm. Ein Zipfel der oben in die Fenster geschlungenen Draperie hängt herunter und weist auf die (nicht mehr sichtbare) Schüssel, nach der einer der rechts aussen sitzenden Apostel greift. Es ist wohl Judas, der die vorbestimmte Sache des erlösenden Leidens schliesslich ins Rollen bringt. Es hätte aber jeder der Jünger sein können; warum sonst hätten sie fragen sollen: Herr, bin ich es? Tatsächlich weist ein weiterer Tuchzipfel auch auf den Jünger ganz rechts aussen, am zweiten Ehrenplatz! Wird nicht Petrus noch in der gleichen Nacht seinen Meister verleugnen?
Die entscheidende Aussage der Szene ist also die Machtfülle des Gottessohnes, das Wissen Jesu um seinen unausweichlichen Tod. Und die zugehörige nächste Szene, die Fusswaschung, zeigt wie er sich der Macht entäussert und zum Diener seiner Schüler wird. Warum ich das arg zerstörte Bild so gut lesen kann? Weil es viele von früher ostkirchlicher Ikonographie beeinflusste spätere Darstellungen gibt:

Elfenbeintäfelchen, Norditalien 11./12.Jh, Walters Art Gallery, Baltimore, USA




Nachzeichnung eines Emailmedaillons einer byzant.Abendmahlsschale,10./11.Jh,Privatsammlung Schweiz

Sonntag, Februar 04, 2007

Was geschah in Jerusalem bevor es zur Kreuzigung kam?


Klosterkirche Müstair: Wandschema der Südwand

Ich habe vorgestern die letzten beiden Bilder des dritten Registers der Nordwand besprochen. Sie schildern zwei selten dargestellte Szenen aus dem Leben Jesu und wecken den Wunsch nach weiteren spätantik geprägten Darstellungen. Doch nun folgt eine herbe Enttäuschung, denn von den nun folgenden Bildern der Südwand (Nr.53-60) sind nur die letzten beiden, nämlich Abendmahl und Fusswaschung, leidlich erhalten. Andere wichtige Szenen aus den letzten Tagen vor der Passion Jesu sind bis auf zwei kleine Fragmente verloren. Von der Nr.54, dem zweiten Feld der Reihe, ist nur der obere Mittelteil erhalten: Man sieht eine nach rechts weisende Hand und ziemlich weit oben eine (von einem Baum herabblickende?) relativ kleine Gestalt. Es könnte sich um den Zöllner Zachäus aus der Perikope Lk 19,1-10 handeln, der auf einen Baum gestiegen ist, um den Mann aus Nazareth zu sehen. Nr.55/56 bildeten ein doppelt breites Bildfeld über dem südlichen Eingangsbogen. Ob wohl hier einst die Auferweckung des Lazaraus zu sehen war? Denn über dem nördlichen Eingangsbogen gegenüber befindet sich das doppelt breite Bild der Kreuzigung, die ja letztlich als Sieg über den Tod verstanden wurde. Leider ist keine Spur erhalten, und ebensowenig von der Nr.57, wo man den Einzug in Jerusalem vermuten möchte. Von Nr.58 ist ein Fragment zu sehen, das die Salbung in Bethanien dargestellt haben könnte, die bei Matthäus 26,6-13 und bei Markus 14,3-9 erzählt wird und die bei Johannes 12,1-8 zwar mit der Fusssalbung bei Lukas vermischt wird, aber zeitlich in der Passionswoche angesiedelt ist. Und nun komme ich zu den beiden wichtigen Szenen Nr.59 und Nr.60, zum letzten Abendmahl und zur Fusswaschung! Das spare ich mir für morgen auf.

Mittwoch, Januar 31, 2007

Jesus und die Ehebrecherin

Müstair Nordwand Nr.52: Jesus und die Ehebrecherin (Joh. 7,53-8,11)

Als Jesus frühmorgens im Vorhof des Tempels lehrt, bringt man eine beim Ehebruch ertappte Frau herbei, stellt sie in die Mitte und fragt Jesus wie er es mit dem Gesetz des Mose halte, das in diesem Fall den Tod durch Steinigung vorschreibt. Jesus aber sagt nichts, sondern bückt sich und schreibt mit dem Finger in den Sand. Als die Ankläger insistieren, sagt Jesus bloss: wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Da wenden sich die Ältesten und die Schriftgelehrten zum Gehen und Jesus, der Sündlose, den man später als Weltenrichter darstellen wird, sagt: auch ich verurteile dich nicht!
Diese Szene, die mit der vorgestern hier besprochenen Nr51 ein Bildpaar bildet, ist ähnlich gestaltet wie die Kindersegnung. Auch sie lässt ein spätantik inspiriertes Vorbild erkennen, sowohl in der Hintergrundarchitektur, als in den elegant gezeichneten Figuren. Wieder steht eine Gruppe frontal im Zentrum: der dunnkel gekleidete bedrohliche Ankläger, der mit grosser Geste auf die Zeugen weist, und vor ihm die machtlos ausgelieferte, händeringende Frau mit offen herabhängendem Haar! Der weiss gewandete (einer römischen Wandmalerei entnommene?) Schriftgelehrte wendet sich betroffen ab und ganz rechts schicken sich zwei Pharisäer an, den Schauplatz beschämt zu verlassen. Es gibt eine einzige, von links nach rechts durchgehende Bewegung: von den staunenden Jüngern über den gebückt sitzenden Jesus zu den Anklägern und Zeugen. Einzig die verängstigte Frau in der Mitte scheint einen Schritt auf Jesus zu zu wagen, dreht aber gleichzeitig den Kopf von ihm weg. In ihr drückt sich Tortur, Bitte und Hilflosigkeit aus. Ist sie - als scheinbar schuldig gewordene - das Gegenbeispiel zu den schuldlosen Kindern im vorausgehenden Bild? Oder ist sie wie diese machtlos, hilflos, klein?

Sonntag, Januar 28, 2007

Denn ihrer ist das Himmelreich.


Müstair Nordwand Nr.51: Jesus segnet die Kinder (Markus 10, 2-16)

Es gibt zu diesem Bericht mehrere Parallelstellen, doch da die Szene im Bildfeld Nr.51 sich eindeutig im Innern eines Hauses abspielt, muss der Text von Markus 10, 2-12 zu Grunde liegen. Dort wird Jesus eines Tages in Judäa von Pharisäern gefragt, ob es einem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen. Weil Jesus das verneint, kommen die Jünger abends im Haus auf die Sache zurück und Jesus stellt sich abermals gegen die Scheidung, da sie einem Ehebruch gleichkomme. - Im Vers Markus 10, 13 heisst es dann weiter: als man nun Kinder hereinbrachte, damit der Meister sie anrühre, wollten die Jünger sie, weil es schon Abend war, wegschicken. Da wird Jesus wütend und sagt: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn solchen gehört das Reich Gottes! Dann schliesst er sie in die Arme und segnet sie. Im Bild von Müstair sitzt Jesus nach rechts gewendet auf einer kissenbelegten Truhe in einem Raum, der in der Art spätantik-römischer Malerei perspektivisch gestaltet ist, so dass man eine Zimmerecke samt der Kassettendecke und den Fenster- und Türleibungen von unten sieht. Links hinter ihm ist noch der Kopf eines Apostels erhalten; der Rest der Gruppe ist zerstört. Genau im Zentrum des Bildes quillt eine Kinderschar zur Tür herein, von der heute nur noch die vordersten vier Kleinen zu sehen sind, die vor dem Heiland am Boden kauern. Rechts aussen stehen dicht gedrängt ihre Väter oder Brüder, die sie zum Wunderheiler Jesus bringen wollten (der Restaurator hat ihnen, die die jüdische Männertracht mit dem weissen Halstuch tragen, in der Meinung es müssten die Mütter sein, die Bärte wegretouchiert und Frauengesichter gemalt). Man beachte die gekonnt gezeichneten Hände und Füsse und die harmonischen Körperbewegungen, sowie die Untersicht in die Gewandsäume! Von beiden Seiten wird so der Blick im Bild auf die Kinder gelenkt, um deutlich zu machen, dass sie es sind, die im Zentrum des hier nachzulesenden Evangelientextes stehen! (Wir wissen ja unterdessen, dass jedes Bild sozusagen einen Hyperlink zu den Perikopen bietet!) Rechts oben hinter den Männern ist in einer Wandnische eine kleine laufende Figur zu sehen, die eine Schale (Oellampe?)vor sich her trägt. So wird angedeutet, dass es Abend ist. (Man könnte die Nische aber auch für ein Hausheiligtum, ein Lararium, halten und die tanzende Statuette für einen "Lar familiaris" einen antiken Schutzgott der Kinder.) Was ist nun aber die wesentliche Aussage dieser Szene? Weshalb werden die Kinder den Jüngern als Vorbild genannt? Kommen sie wegen ihrer Unschuld ins Himmelreich? Oder wegen ihrer Kleinheit und Machtlosigkeit? Oder weil sie Werdende, Wandlungsfähige, sich Weiterentwickelnde, Lernfähige sind? Ich plädiere für die Machtlosigkeit. Aber das ist vielleicht zu modern gedacht und die Zusammenstellung mit der nächsten Szene zum beabsichtigten Bildpaar, legt es nahe, dass der frühmittelalterliche Entwerfer des Bildprogramms die Schuldunfähigkeit der Kinder, der schuldiggewordenen Ehebrecherin gegenüberstellen wollte.

Montag, Januar 22, 2007

Die Heilung der Frau mit dem Blutfluss

Mein Rundgang durch die Klosterkirche von Müstair führt mich heute wieder zur Nordwand, wo ich die beiden gut erhaltenen Szenen von der Blindenheilung (Nr.45) und der Heilung des Taubstummen (Nr.46)im Oktober und im November schon besprochen habe. Wer dorthin zurückscrollt kann das, was ich in meinem letzten Beitrag zur formalen Gestaltung der Bilder und zur Verwendung von Figuren- und Kulissenschablonen dargelegt habe nochmals nachprüfen. Nr.45 ist weitgehend dem an römisch-antiker Malerei geschulten Hauptmeister zu verdanken, während Nr.46 von einem schwungvoll expressiv zeichnenden, die Hintergrundkulissen gezielt und irrational einsetzenden, (wohl oberitalienischen?) Maler zusammengestellt ist. Da von den beiden nächsten Szenen nur spärliche Fragmente erhalten sind. nenne ich von ihnen nur die Themen: Nr.47: Speisung der 5000(?), und Nr.48: Jesu Verklärung auf dem Berg Tabor. Und nun komme ich zum heutigen Titel: Nr 49: Die Heilung der Frau mit dem Blutfluss (Markus 5,21-43 und Lukas 8,40-48).



Eigentlich ist die Episode von der an weiblichen Blutungen leidenden Frau, die nur durch die heimliche Berührung von Jesu Gewand geheilt wird, in den Evangelien in eine grössere Erzählung von einer spektakulären Totenerweckung eingebettet, aber die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus interessierte den Entwerfer des Bildprogramms offensichtlich weniger als das als unrein geltende scheue Weib, das sich das Gedränge auf der Strasse zunutzen machte. Leider ist geraden der linke untere Teil des Bildes mit der am Boden knieenden Frau zerstört. Jesus ist in eiligem Lauf schon über die
Mitte der Bühne hinausgelangt und blickt, sich umwendend, zurück, "da er gespürt hat, dass von ihm eine Kraft ausgegangen ist". Rechts aussen wartet ungeduldig der vornehm gekleidete Jairus und nahe bei Jesus steht der deutlich als Petrus gekennzeichnete Protagonist der nächstfolgenden Szene! Denn genau darum geht es im Bildpaar Nr.49 und Nr.50: zu zeigen was der vertrauende Glaube vermag wenn er nur gross genug ist. Denn in der nächsten Szene war einst zu sehen, wie Petrus auf dem See Genesareth aus dem Boot steigt und übers Wasser seinem Meister entgegengeht - bis ihm der Glaube abhanden kommt und er in den Fluten versinkt! Als er um Hilfe ruft, zieht Jesus ihn empor, aber nicht ohne seinen Mangel an Vertrauen zu rügen (Matth.14,22-33). Da das Feld Nr.50 sehr schlecht erhalten ist, verzichte ich auf eine Abbildung; das Thema scheint mir jedenfalls gesichert zu sein auch wenn der sinkende Petrus im Zentrum nicht mehr zu sehen ist. Trotz der blasenden Windgeister in der obern linken Ecke kann es sich nicht um die Sturmstillung nach Math.8, 23-27 handeln, denn Jesus befand sich nicht im Boot, sondern kam, ganz rechts aussen auf dem Wasser wandelnd, auf das Schifflein zu.

Samstag, Januar 06, 2007

Die Verheissung für Ketzer und Heiden; und eine wichtige Beobachtung zur formalen Gestaltung des Müstairer Bilderzyklus


Warum die Verheissung Jesu nicht nur für Israel gilt, sondern für alle Gruppen und Völker! Davon sprechen die Bildfelder Nr.43 und 44 der Südwand: sie zeigen die Perikope vom dankbaren Samariter (Lk 17,11-19) und die vom gläubig bittenden römischen Hauptmann ( Matth 8,5-13 und Joh 4, 46-54). Folgt man dem Gang der Erzählung nach Johannes, so war die Fern-Heilung des Knaben oder Knechtes eines heidnischen Soldaten oder Beamten das zweite Zeichen der göttlichen Vollmacht Jesu in Galilä. Der Koordinator der Ausmalung von Müstair hat sich aber die Freiheit genommen die Darstellungen von Parallelstellen hier einzusetzen um dem Prinzip des Sinnreims folgen zu können: Dankbarkeit und gläubiges Vertrauen sind mehr wert als die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk. Vom dankbaren Samariter war schon in einem früheren Blog die Rede,nämlich am 17.9.06 (Bitte zurückscrollen). Ich liefere hier die Abbildung nach: zwar ist der Teil des Bildes mit dem dankbaren Geheilten zerstört, aber deutlich zu sehen ist, dass Jesus zurückblickend zu seinen Begleitern spricht; seine Aussage steht also hier im Zentrum der Szene. Anders ist es im nächsten Bild, wo eindeutig der bittende Hauptmann betont ist; rechts aussen ist vor einem Haus der Kranke auf seinem Bett zu sehen. Der als fester Bestandteil der katholischen Messliturgie bekannte Ausspruch des römischen Hauptmanns "Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach" ist so zu verstehen, dass er das göttliche Wesen Christi erkannt hat (so wie auch Petrus im Bildfeld mit der Fusswaschung senkrecht darunter!)und betroffen zurückweicht. Seine in die Knie sinkende Gestalt wirkte im spätantiken Vorbild in überkreuzter Bewegung gewiss dreidimensional, hier scheint sie, dem schmalen Bühnenraum entsprechend, wie zwischen zwei Glasscheiben in die Fläche gepresst.
Es drängen sich nun einige wichtige Bemerkungen zur formalen Gestaltung aller Bilder durch den Hauptmeister auf, und zur praktischen Ausführung durch die Handwerker des in Müstair arbeitenden Fresko-Ateliers. In den hier nebeneinandergestellten alten Schwarzweiss-Fotos fällt dem Betrachter sofort die schablonen-artige Verwendung der Figuren auf! Die vorderste Person der zuschauenden Apostelgruppe, mit der staunend erhobenen rechten Hand, ist in beiden Szenen identisch, aber die Gruppe selber ist durch Verschiebungen und durch die rahmende Hintergrundkulisse anders gestaltet. Auch die dominierende, durch den Kreuznimbus überhöhte Gestalt Christi ist bis auf das nach hinten wehende, geblähte Mantelende in beiden Szenen - wie übrigens in fast allen des gesamten Zyklus - die gleiche. Einzig die Haltung von Kopf und rechtem Arm und die Schrittstellung der Füsse ist variiert! Es scheint also, dass nur diese von einem routinierten Maler hinzugefügt wurden, nachdem die Gesellen das Bild mit Hilfe von Schablonen grossflächig grundierend angelegt hatten. Die zuletzt aufgetragenen Farbschichten, vor allem die Schatten und die weissen Glanzlichter, die den Szenen einst die heute nur an wenigen Stellen noch erhaltene reliefartige Plastizität verliehen, dürften einem der Hauptmeister zu verdanken sein. Nur durch solch rationelles Vorgehen konnte das Riesenwerk einer kompletten Kirchen-Ausmalung in der abgelegenen Gegend der Alpentäler rasch vorangetrieben und, wie ich meine, inneralb von knapp zehn Jahren vollendet werden.

Freitag, Januar 05, 2007

Müstair Südwand Nr.42: Die Tempelreinigung


Karolingische Kirche Müstair: Wandschema Südwand




Leider sind die Bilder der südlichen Seitenwand in Müstair fast alle verloren. Nach der Taufe Jesu im Jordan (Nr38) wäre die Versuchung in der Wüste zu erwarten, die Berufung der ersten Jünger und die ersten Machterweise. Vielleicht war in dieser Reihe einst das im Johannesevangelium geschilderte Weinwunder von Kana zu sehen? Denn das Fragment von Nr.42 lässt sich eindeutig als die Szene identifizieren, die zeigt, wie Jesus kurz vor dem Passafest die Händler aus dem Tempel von Jerusalem vertreibt, nachdem er am Hochzeitsfest zu Kana sein erstes Wunder gewirkt hatte (Joh.2,1-11 und 12-22). Der Koordinator der Malerarbeiten in Müstair wertet also die sogenannte Tempelreinigung als ein Zeichen von Christi göttlicher Vollmacht, während die drei Synoptiker dieses Ereignis zwei Jahre später ansetzen und es so zum Auftakt der Passion machen. Wird es nämlich als ein Machterweis angesehen, so gehört es an die Südwand, die hauptsächlich Bilder zum Nachweis von Jesu göttlicher Herkunft bringt, während die dunkeln Aspekte der Erzählung an der Nordwand versammelt sind.

Montag, Januar 01, 2007

Zum Neuen Jahr: Glückwünsche? Segenswünsche?

Oft kommen sie von einer Bank, einer Firma, einem Geschäft. Reklame eigentlich. Kommen sie von Freunden, so sind sie ernst gemeint. Und bewirken etwas in uns. Und wir geben sie weiter.

Aber, was ist das: die Zeit? Was heisst das: Jahreswechsel? Was hat sich eigentlich um Mitternacht geändert, ausser der hintersten Ziffer der ordnenden Jahreszahl? Warum Champagner, Küsse und Raketen? Warum der Lärm? Um Ängste zu betäuben?
Ich schätze die Ruhe, habe sie immer geschätzt (oder vermisst). Für mich gilt am Silvester: Rückblick in Wehmut oder in Dankbarkeit. Keine guten Vorsätze. Keine wilden Hoffnungen. Aber gerne etwas Zuversicht, und liebevolle Zuwendung da und dort! Und ich freue mich einfach darüber, dass ich lebe. Gestern und heute ...

Und was feiern die Kirchen heute? Vovon spricht die Liturgie am 1. Januar? (Lk 2, 16-21)
Von der Beschneidung des Weihnachtskindes (Eingliederung ins Volk), vom Namen Jesu (Jahwe rettet) und von der Gottesmutter, die den Heilsbringer und Erlöser geboren hat und die Worte der Engel und die Weisen der Hirten im Herzen bewegte. Jesus erhielt seinen Namen bald nach der Geburt, bei der Beschneidung. Es war kein aussergewöhnlicher Name; viele hiessen so; viele werden noch heute so genannt in den Ländern spanischer Sprache. Auf deutsch meint das: Gotthilf. Die Szene von der Beschneidung des Neugeborenen findet sich nicht im Zyklus von Müstair. Aber sie ist mir heute beim Jahreswechsel eine Ueberlegung wert. Jeschua ist der erweiterte Gottesname; es bedeutet eigentlich: der da unter uns anwesend ist, hilft. Jesus ist Jude, da von einer jüdischen Mutter geboren. Er ist Palästinenser, da in Nazareth daheim. Und es heisst, er sei von Gott! Gott aber ist weder Mann noch Frau, weder Jude, noch ... Das ist tröstlich und das gilt es wohl zu feiern im Vertrauen auf die lebendige Lebenskraft. Jesus als Kosmopolit, als der kosmische Christus! Wer kann mir erklärend umschreiben, was das heisst? Nun, man muss nicht alles im Kopf verstehen. Segenswünsche können auch ganz einfach und ehrlich und realistisch sein. Etwa so: Beginnen wir das Jahr in Gottes Namen! Amen.