
Müstair Südwand, Bildfeld Nr. 38: Taufe Jesu
Das Bild ist arg zerstört; gleichwohl sind wichtige Einzelheiten der Szene noch zu erkennen: Jesus steht ganz nackt und unbewegt, mit herabhängenden Armen mitten im Jordan, dessen ausgezackte Ufer sich nach oben perspektivisch verjüngen. So ist angedeutet, dass er sich allen Ansehens und jeden Anspruchs entäussert hat. Er handelt nicht, er spricht nicht, er lässt es geschehen, dass Johannes ihn eintaucht in die Fluten. Vom Täufer, der von links herantritt, ist unten noch ein Fuss zu sehen und oben der nimbierte Kopf und die grosse rechte Hand auf dem Haupt Jesu. Darüber erscheint schräg von links oben der Geist Gottes in Gestalt einer Taube (Symbol der Liebe). Mir fällt auf, dass die Taube nicht im Zentrum lautlos schwebt, sondern knatternd und schwirrend heranbraust! Verkörpert sie doch die Ruach, den Atem Gottes. den Braus, der später an Pfingsten zu hören sein wird. (Tauben fliegen nicht lautlos, ihr Flügelschlag bewirkt ein beträchtliches Geräusch; ich höre es täglich auf dem Balkon.) - Rechts im Bild stand wohl einst eine Gruppe verehrender Engel; sie sind aber nicht mehr zu erkennen. Die zugrundeliegende Bibelstelle ist die gleiche wie beim zugehörigen vorausgehenden Bildfeld. Wesentlich ist der Satz: Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Matthäus3, 13-17 und Parallelen bei Markus und Lukas und bei Johannes1,32-34) In der Ostkirche wird dieses Ereignis als Epiphanie (=plötzliches Aufscheinen der Gottheit) der heiligen Dreifaltigkeit als eigentliches Weihnachtsfest gefeiert: Der Vater spricht, der Geist braust, der Sohn ist leibhaftig zu sehen und zu fassen!
Im Hinblick auf die Verteilung der Themen innerhalb der gesamten Südwand ist anzumerken, dass sich das Bildpaar 37/38 senkrecht unter dem Paar 1/2 und 21/22 befindet: Dass die (zerstörte, aber hier angenommene) Salbung Davids durch Samuel (Nr.2) in Beziehung zur Taufe Jesu gesehen werden kann, leuchtet ein; aber was mag Sauls (freventliche) Opferhandlung in Bildfeld Nr.1 mit der Begegnung zwischen Jesus und Johannes zu tun haben? Und was war in Nr.21 einst zu sehen? Die Botschaft des Engels an Maria? Dann war im nächsten Feld zwingend die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth, der Mutter des Täufers dargestellt. Oder zeigte Nr.1 die Botschaft des Engels an Joseph? Was folgte dann im Feld Nr.22? Vielleicht die Reise des Paars nach Betlehem? Da keine Fragmente erhalten sind, ist auch keine genaue Antwort möglich. Gewiss ist nur, dass das letzte Bildfeld dieses Registers Nr.28, die Anbetung des Kindes durch die Weisen aus dem Morgenland gezeigt haben muss, da das erste Feld auf gleicher Höhe an der Nordwand, Nr.29, deren Heimreise zeigt.
2 Kommentare:
Ist die Bildfeld 21 zerstört oder schwer zu deuten? In ein buch (Gnädinger/Moosbrugger)ist nämlich die Verkündigung in Bildfeld 21 plaziert. Warum? Es macht vielleicht aber mehr Sinn, die Verkündigung in Feld 22 zuanbringen (wie auch Sie tun?). Die Salbung (David) und die Taufe (Jesu) ist ja ein Art Geistes-Erguss, wie auch die Verkündigung. Und die Opferhandlung Sauls und die Begegnung zwischen Jesus und Johannes, die antizipiert Die Opferhandlung (Agnus Dei, das die Sünde der Welt trägt), könnte vielleicht Botschaft-tematik in Feld 21 indizieren. Interessant. Wenn mann aber die Verkündigung in Feld 22 anbringt - welche szenen haben in die fünf nächste Felder gewesen? Maria-szenen? Die drei Könige kommt ja erst in das Feld 28. Gibt es Quellen für ähnliche Bildprogramme in dieselbe Epoche? Kann mann z.B. diese Programm ein "typische" karolingische nennen, oder ist es ein zurückgreifung (Rom?) oder beeinflusst von ostliche Gegend? (vielleicht schwer zu fragen..). Danke für ein sehr interessantes Blogg!
Liebe Kristine, danke für den Kommentar. Ich werde ihre Fragen gerne ausführlich beantworten wenn Sie mir Ihre E-Mail-Adresse angeben.Meine lautet: marese.sennhauser@prevu.ch
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