Donnerstag, Februar 22, 2007

Die Hadesfahrt Christi, oder: Jesu Abstieg zu den Toten (Descensus ad inferos)


Müstair Nordwand, Nr. 67: Jesu Abstieg zu den Toten, Foto U.P.S. San Francisco

Der Mythos von Christi Abstieg ins Totenreich, vom Kampf mit den Mächten der Finsternis und von der Befreiung der Toten (1. Petrus 3, 18 -22 und 4, 6 und die dramatische Descensus-Schilderung innerhalb des apokryphen Nikodemus-Evangeliums (2, 18-24) findet sich nicht in den kanonischen Evangelien. Gleichwohl ist er schon sehr früh im zentralen Teil der Messfeier enthalten (Anaphora des Bischofs Hippolyth von Rom) und wurde wohl auch als kultisches Spiel in die Taufvorbereitung der Osternacht integriert. Der heilige Augustinus hat darüber gepredigt und zahlreich sind die dichterischen Texte zur "Höllenfahrt Jesu" im frühen und hohen Mittelalter. Das Bild Nr.67 ist also nicht aus einem spätantiken Perikopenbuch übernommen, sondern aus einer Wandmalerei oder einem Relief. Später findet es sich zur Illustration der österlichen Taufliturgie in den Ritual- und Sakramentarbüchern. Den Taufanwärtern wird die Erlösung der alttestamentlichen Gerechten aus der Unterwelt vor Augen geführt und der Sieg Christi über den Tod und den Teufel. Was hier dargestellt ist, will einen Satz aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis anschaulich machen: ... gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten ... Dieser Satz ist der Versuch eine Antwort zu finden auf die Frage: Was bedeutet Erlösung? Was geschah zwischen Karfreitag und Ostern? Wo war der tote Jesus? Grabesruhe? Oder dramatisches inneres Geschehen? Ich habe soeben Patrick Roths erstaunliches Buch "Corpus Christi" gelesen. Der Autor geht dieser Frage nach - dabei tauchen andere Bilder auf - zeitgemässe - nicht weniger dramatisch als das mythische Bild von der "Hadesfahrt", aber unmittelbarer packende, sozusagen persönlich erlebbare...
Von einer grossen, schräggestellten Mandorla (einem hellen Lichtschein) umgeben steht Christus etwas nach vorn gebeugt in der linken Bildhälfte und greift mit der rechten Hand nach dem Arm eines aus dem Boden auftauchenden, weisshaarigen, nackten Mannes; hinter diesem ist ein weiteres Gesicht zu sehen. Es sind Adam und Eva, die Ureltern der Menschheit, die durch Christi Tod und Auferweckung, der Unterwelt, dem Tod entrissen werden und die so die Auferstehungshoffnung für alle erlebbar machen. Neben der Mandorla tauchen zwei nimbierte Gestalten auf; die vordere könnte Johannes der Täufer sein, der seit kurzem ebenfalls im Totenreich anwesend, den andern Gefangenen ihre befreiung angekündigt hat. Rechts aussen fesselt ein kraftvoller Engel den Satan, den man sich in der Ecke unten denken muss. Er und weitere im Text genannte Figuren sind heute nicht mehr zu sehen, doch lässt ein reich geschnitzter Elfenbeinbecher aus dem 10. Jh. diese Vermutung zur Gewissheit werden:
hier sieht man genau, was im Müstairer Bild nicht mehr deutlich zu erkennen ist: die Fesselung des Teufels durch einen grossen Engel! Ich habe diese Elfenbeinarbeit, ein ottonisches Weihwassergefäss, schon in meiner 1958 abgeschlossenen Dissertation herangezogen. Diese Szenenfolge ist eng mit den Passionsbildern von Müstair verwandt. Ich habe den Becher schon im im gestrigen Abschnitt, wo von der Kreuzigungsdarstellung die Rede war, abgebildet.

Zurück zum Bildfeld Nr.67: Das Ganze spielt sich in einer fensterlosen Kammer ab, von der die rechte obere Ecke rechts im Bild zu sehen ist. Dieses Gefängnis, sowie die Nacktheit von Adam und Eva unterscheidet die Szene vom später geschaffenen bekannten byzantinischen Osterbild, der Anastasis, wo Christus als strahlender Sieger empor steigt und die Ureltern mit sich reisst. Hier in Müstair ist wirklich der Descensus dargestellt, der Abstieg in die Unterwelt, Jesu eigenes Erleiden der Todeswirklichkeit. Christus nimmt mit seiner Lichtglorie mehr als die Hälfte des Bildfeldes ein. Eine einzige grosse Bewegung geht von links oben nach rechts unten durch die souverän komponierte Szene. Hier wurde kaum eine ältere Buchmalerei aufgegriffen. Das ist wirkliche, auf Fernsicht hin angelegte Wandmalerei mit grossen Flächen und ruhigen Umrissen. Man meint fast ein klassizistisches Relief vor sich zu haben. Mir scheint, dass der Hauptmeister selber hier am Werk war, so wie wir ihn vom Himmelfahrtsbild oben an der Ostwand kennen. Und wie er nächstens im grossen Weltgerichtsbild an der Westwand zu fassen sein wird. Eine frühmittelalterliche Anregung aus dem 7. Jh. dürfte hier im späten 8.Jh. wieder aufgenommen worden sein. Ob sie in Unteritalien entstanden ist, in Ravenna oder in der Stadt Rom ist vorläufig nicht auszumachen. In St.Angelo in Formis bei Capua ist aus dem 11.Jh. innerhalb eines einer Kirchenausmalung ein Bild zum selben Thema erhalten. Es weist aber andere Züge auf: der Schauplatz des Geschehens ist nicht ein gemauertes Verlies, sondern eine Höhle unter der Erde. In ähnlichen Bildern in den süditalienischen Exultetrollen, im oberitalienischen Warmundussakramentar, oder in der Reichenauer Buchmalerei, lodern gar Flammen aus dem Boden auf: Aus dem Schattenland des Hades, wo alle Toten wohnen, ist jetzt schon die Hölle der Verdammten geworden.


Fresko in S.Angelo in Formis, 11.Jh. (Foto aus der Dissertation von Anita Moppert-Schmidt,Zürich 1967)


Reichenauer Buchmalerei des 11.Jh: Ungewöhnliches Bild zum Osterfest(!) in einem Evangelistar in Hildesheim.

Dienstag, Februar 20, 2007

Die Kreuzigung



Müstair Nordwand Nr65/66 Kreuzigung (schlecht erhalten), darunter meine Nachzeichnung

Das sich über den jetzt vermauerten Eingangsbogen der Nordwand erstreckende, vielfigurige Bild ist zwar arg zerstört und für den Laien kaum mehr lesbar, aber mit Hilfe meiner Rekonstruktionszeichnung, die das Erhaltene in kräftigem Strich wiedergibt und das Ergänzte in feiner Zeichnung, sollte die folgende Beschreibung die Szene vor dem innern Auge erstehen lassen:
Das grosse Kreuz steht ganz vorn und beherrscht den Bildraum, der hinten durch einen Gebirgszug abgeschlossen ist, der entweder die reale Landschaft darstellt oder symbolisch das alte und das neue Testament (Berg Sinai und Berg Tabor) meint. Christus ist bis auf einen schräg verlaufenden Lendenschurz nackt. Sein Haupt ist zur rechten Schulter geneigt, er ist also tot. Zu beiden Seiten des Kreuzstammes sind zwei stark bewegte Gestalten zu sehen; links in Ausfallstellung und in kniekurzem Gewand Longinus, der mit seinem Speer Jesu Seite durchbohrt und rechts, als Rückenfigur, Stephaton in langem dunklem Kleidd, der dem dürstenden Jesus auf einem Stab den Essigschwamm hinaufstreckt. Links aussen im Bildfeld ahnt man noch die grosse Gestalt der trauernden Mutter, hinter der das kleinere Kreuz des reuigen Räubers zu sehen war. Vom Jünger Johannes ist rechts ein Stück der weissen Tunika und ein Stück des dunklen Mantels erhalten; rechts hinter ihm sieht man den zweiten Räuber, dessen Arme mit Stricken nach hinten über sein Kreuz gezogen sind. Ganz rechts aussen über der Bogenöffnung zum nördlichen Seitenraum ist die Gruppe der zuschauenden Soldaten mit ihrem Hauptmann relativ gut erhalten. Zu dieser dramatisch erzählenden und zugleich symbolgeladenen Darstellung ist keine spezielle Evangelienstelle zu nennen, vielmehr muss man bei allen vier Evangelisten nachlesen. (Die Passionsberichte stehen in den liturgischen Büchern beim Palmsonntag). Das Vielfigurige Kreuzigungsbild ist wohl indirekt auf ein berühmtes altes Mosaik zurückzuführen. Ich gebe hier zum Vergleich den Link zu einer Buchmalerei aus dem syrischen Rabulas-Evangeliar
das heisst aber nicht, dass es in Müstair als Vorbild gedient hat. Näher verwandt ist eine Darstellung auf einem mailändisch-ottonischen Elfenbeinbecher des 10.Jh., der auch für das nächste Bildfeld herangezogen werden muss:

Er befindet sich heute in London im Victoria u. Albert Museum. Da seine Passionsdarstellungen diejenigen einer karolingischen Elfenbeintafel im Dom von Mailand wiederholen, die ihrerseits auf ein spätantikes Werk des 5. Jh. zurückgehen, ist ein Vergleich mit Müstair gerechtfertigt. Das wird bei der Besprechung des folgenden Bildfeldes Nr.67 deutlich zu zeigen sein.

Samstag, Februar 17, 2007

Das Urteil des Pilatus und Beginn des Kreuzwegs


Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.64 (Foto U.P.S, San Francisco) und Egbertcodex, Perikopenbuch aus Kloster Reichenau, 10.Jh.


Nachdem der Hohe Rat Jesus zu Pilatus, dem römischen Statthalter ins Prätorium gebracht hatten, begannen lange Verhandlungen und Befragungen. Schliesslich musste Pilatus ihn zur Kreuzigung freigeben, obwohl er ihn für unschuldig hielt. Die Szene Nr.64 spielt sich vor dem schräg ins Bild ragenden Prätorium ab, wo Pilatus auf dem Richtstuhl sitzt und sich demonstrativ die Hände wäscht: ein Diener in langem Gewand hält ihm ein Wasserbecken hin und schüttet ihm aus einem nicht mehr sichtbaren Krug Wasser über die Hände. Links aussen ist auf einer Säule ein kleines Standbild zu sehen; zwischen dem Diener und dem Statthhalter hängt merkwürdigerweise an zwei Haken ein geknotetes weisses Tuch. Jesus steht im Zentrum des Bildes. Ein Scherge legt ihm die Hand auf den Arm und stösst ihn vorwärts, ein anderer - er ist nicht erhalten - zieht ihn an den gefesselten Händen nach rechts hinüber, wo gemäss dem Text Matth.27, 31-32 Simon von Kyrene gezwungen wird das Kreuz voraus zu tragen. Da die ganze rechte Bildhälfte zerstört ist, zeige ich den Beginn des Kreuzwegs in einer Buchmalerei aus dem 10. Jh., die nach einem ähnlichen spätantiken Vorbild geschaffen wurde, Zu Grunde liegt der lange Text der Passionserzählung nach Matthäus 27, der jeweils im Palmsonntagsgottesdienst vorgelesen wird. Manche Stellen daraus sind in den liturgischen Büchern abgebildet, aber im Zyklus von Müstair sind keine blutrünstigen Bilder zu sehen. Nach der Oelbergszene und der Gefangennahme geht der grossen Kreuzigungsdarstellung nur das Bildpaar Nr.63 und 64 voraus, wo offensichtlich dem Todesurteil des Jerusalemer Tempelrats, die Skrupel des Pilatus gegenübergestellt, und so die Römer entlastet werden.

Freitag, Februar 16, 2007

Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas



Müstair Nordwand, Nr.63: Jesus wird vom Hohen Rat der Juden verhört. (Bild zur Hälfte von der neuen Orgel verdeckt)Text: Lukas 22, 66-71

Am Morgen nach der Gefangennahme wird Jesus ins Haus des Kaiphas gebracht, nachdem er zuerst bei Hannas, dem letzten Hohepriester und Schwiegervater des jetzt amtierenden verwahrt worden war. Hier macht er die entscheidende Aussage, die sein Schicksal besiegelt. Er bekennt, dass er der Messias und mit aller Vollmacht ausgestattete Sohn Gottes ist!
Vom gut erhaltenen Bildfeld, das heute zur Hälfte von der Orgel verdeckt ist, habe ich leider kein altes Foto, was umso bedauerlicher ist, als es sich um eine wichtige Szene im Zyklus handelt. Jesus steht gross und hoheitsvoll im Zentrum der Komposition. In der Linken hält er eine Schriftrolle, die Rechte ist im Sprechgestus erhoben. Rechts vorne sitzen die beiden Hohepriester auf einem doppelt breiten, kissenbelegten Truhenthron. Kaiphas, dunkel gewandet und mit dunklem Haar und Bart gestikuliert mit beiden Händen. Der ältere, Hannas, in hellem Kleid mit breiten Zierborten, hält die rechte Hand vor der Brust. Gemeint ist wohl das Einreissen des Gewandes zum Zeichen der Trauer und Empörung wegen der scheinbar gotteslästerlichen Aussage Jesu. Dieser antwortet nämlich (nach Lukas 22, 67 - 70 ) auf die Frage des Kaiphas, dass er der verheissene Christus und Gottessohn ist. Hinter Hannas steht ein Tempelwächter mit Speer und zwischen Jesus und Kaiphas sieht man einen der anwesende Ältesten des Hohen Rates. Beachtung verdient der Hintergrund mit den Rundbogenarkaden und dem aufgemalten Zierat. Offenbar war es schon im spätantiken Vorbild wichtig das vornehme Innere des Hauses des Kaiphas zu zeigen. Also einmal mehr eine den Heiliglandpilgern bekannte authentische Ortsangabe!
In allen vier Evangelien heisst es nun weiter: und sie fesselten ihn und lieferten ihn an den römischen Statthalter Pilatus aus.

Mittwoch, Februar 14, 2007

14. Februar: Valentin oder Symeon?


Reichenauer Buchmalerei des 11.Jh. (Cod.78 A 2, Berlin)

Der Valentinstag, Fest der Blumengeschäfte, gilt als Fest der Freunde und der Verliebten. St. Valentin war ein frühchristlicher Bischof in Terni in Italien, der an einem 14. Februar den Märtyrertod durch Enthauptung starb. Ist er darum zum Patron der Verliebten geworden? Sich verlieben heisst ja den Kopf verlieren und wenns weiter geht auch noch das Herz, was bekanntlich sowohl zu Glücksgefühlen wie zum Martyrium führen kann! - Aber der 14. Februar berichtet auch sonst von einer Begegnung und einer Liebesgeschichte. Denn am 14.Februar - 40 Tage nach dem frühchristlichen und dem orthodoxen Weihnachtsfest vom 6.Januar - wurde und wird in der kirchlichen Liturgie die Darbringung des Jesuskindes im Tempel von Jerusalem gefeiert. Hauptperson des Festes ist natürlich das Kind, dann auch seine Mutter (Lichtmess oder Mariae Reinigung ist eine andere Tagesbezeichnung), aber in der Ostkirche wird nach dem Bericht des Lukasevangeliums besonders des alten Symeons gedacht, der das Kind in die Arme nehmen durfte und dann seinen Lobgesang " nunc dimittis" anstimmte. Auch eine prophetische Greisin war dabei, aber ihre Hymne ist leider nicht überliefert. Weil in Rom und im Abendland das Fest der Christgeburt auf den 25. Dezember verlegt wurde, mussten auch die 40 Tage zurückverschoben werden, so dass Jesu Darstellung im Tempel, seither am 2. Februar gefeiert wird. Darum ist halt der sonst wenig bekannte Valentin seit dem späten Mittelalter und vorallem seit dem 20.Jh. in die Lücke gesprungen. Das entsprechende Lichtmess-Bild, Nr.30 im Zyklus von Müstair, habe ich am 24.11.06 in meinem Blog abgebildet und besprochen (Bitte im Archiv nachsehen). Am 2. Februar werden üblicherweise Kerzen gesegnet, und am 14. sind jetzt Blumen angesagt. Der Frühling rückt ja jetzt noch näher. Also macht ruhig euren Liebsten ein kleines Geschenk! Ich würde auch gerne Blumen bekommen! Der Liebe und Freundschaft zu gedenken ist allemal richtig.

Dienstag, Februar 13, 2007

Beginn der Passion: Nacht am Oelberg und Gefangennahme


Gefangennahme Jesu in einer Reichenauer Handschrift des 10.Jh. (Codex Egberti)

Der "Leben Jesu Zyklus" von Müstair wird nun in der vierten Reihe der Nordwand mit sechs Bildern zur Passion fortgesetzt. Die Felder Nr.61 und Nr.62 sind sehr schlecht erhalten. Ich bilde sie daher heute zusammen in meinem Blog ab und bringe gleich zu Beginn eine gut vergleichbare Buchmalerei, die vielleicht auf die gleiche spätantike Vorlage zurückgeht wie das Fresko von Müstair.

Nr.61: Garten Getsemani. Jesus bittet die Jünger mit ihm zu wachen (Lukas 22,39-46)


Nr.62: Judaskuss und Gefangennahme Jesu (Lukas 22,47-53)

In beiden Szenen befindet sich Jesus im Zentrum des Bildes. von Nr.61 ist rechts ein Drittel des Feldes verloren. Von Nr. 62 fehlt das linke Drittel. Von Jesu Angst und Not im Garten Getsemani ist in allen vier Evangelien die Rede, aber da Jesus sich nur bei Lukas zweimal an die ganze Jüngerschar wendet mit der Mahnung: Betet dass ihr nicht in Versuchung kommt, muss hier die Lukasperikope zu Grunde liegen. Links im Bild Nr. 61 sind unter den Oelbäumen noch schwach viele Köpfe einer am Boden kauernden Gruppe zu sehen. Den Hintergrund bilden helle Bergkuppen vor nachtdunklem Himmel. Es ist anzunehmen, dass im zerstörten rechten Drittel des Bildfeldes einst Jesus ein zweites Mal als flehentlich Betender am Berghang knieend dargestellt war.
Bei Lukas 22, 47 heisst es dann: Während er noch redete, siehe da kam eine Schar, und der welcher Judas hiess, einer von den Zwölfen, ging ihnen voran und ging auf Jesus zu, um ihn zu küssen. Damit befinden wir uns schon im Bildfeld Nr. 62, das leider ebenfalls bis auf die grossflächige Untermalung abgerieben ist. Hier hilft nun die entsprechende, oben abgebildete Szene aus dem Codex Egberti weiter: man erkennt die dreifach verschränkte Gruppe von Jesus, Judas und dem vordersten Häscher im Bildzentrum. Der dichtgedrängte Haufen der Tempelwache und der Ältesten rechts aussen wird vom Stichbogen des Tores zum Oelgarten gerahmt. Die Malchus-Szene links zu der Jesus hinüberblickt, ist im Fresko verloren.

Sonntag, Februar 11, 2007

Die Fusswaschung



Müstair Südwand, Nr.60: Jesus wäscht den Jüngern die Füsse (Johannes 13, 1-20)

Wir wissen, dass Nr.59 und 60, also Abendmahl und Fusswaschung sinngemäss zusammengehören und dass diese Szenen nicht nur in Müstair ein Paar bilden, sondern meist auch in der Ikonenmalerei und der Buchillustration verbunden sind. Die anSynoptiker berichten nur vom Abendmahl und bei Johannes ist nur von der Fusswaschung ausführlich die Rede, während das Abendmahl diskret nur angedeutet wird.
Vom letzten Bildfeld der Südwand ist nur wenig mehr als die linke Hälfte erhalten, die aber ist meisterhaft gestaltet! Von einem flachen Bogen eingefasst ist die prachtvoll bewegte Gruppe von Jesus und einem sitzenden Jünger zu sehen. Jesus hat eine Schürze umgebunden und schickt sich an vor einem jugendlichen Apostel in die Knie zu gehen, der den rechten Fuss in eine Wasserschale gestellt hat. Die linke Hand Jesu ist offen nach unten ausgestreckt um den Fuss in der Schale zu fassen, die rechte ist sprechend erhoben. Der junge Mann - er ist nicht als Petrus charakterisiert - hat die rechte Hand staunend oder abwehrend erhoben, der linke Arm ist eng in den Mantel gewickelt, der Oberkörper vorgebeugt,das Gesicht ist so gedreht, dass er uns aus dem Bild heraus anblickt! Die Körperhaltung erweckt den Eindruck von Dreidimensionalität, die Bewegung ist geschmeidig und ausdrucksvoll. Links hinter Christus stehen zwei staunende Apostel, zwei andere sind hinter dem Sitzenden zu sehen, die restlichen sieben sind leider verloren. Gerne würde man wissen ob rechts aussen einst der Sandalenbinder zu sehen war, der in einer frühmittelalterlichen Buchmalerei zu dieser Szene gehört. Sicher ist nur, dass hier der Jünger, dem die Füsse gewaschen werden in der Mitte des Bildes steht und nicht wie zu erwarten wäre der impulsiv handelnde Jesus. Was ist also die zentrale Aussage dieser Szene?



Zum Vergleich zeige ich hier das Bild zur Perikope für Gründonnerstag (Johannes 13, 1-15): Abendmahl und Fusswaschung aus dem Reichenauer Perikopenbuch für Heinrich II (Anf. 11.Jh). Man beachte im Abendmalhlsbild aussen zu beiden Seiten die Aufwärter mit Weinkrug! Judas, der in die Schüssel greift, ist hier - entsprechend einer jüngeren Tradition - isoliert vorn an der Mitte des Tisches plaziert. In der Szene der Fusswaschung ist Jesus hier, gemäss der Auffassung der Zeit, nicht demütig dienend, sondern als der königliche Meister dargestellt. Im Zentrum des Bildes stehen eindeutig seine erklärenden Worte.

Freitag, Februar 09, 2007

Ein bedeutsames Bildpaar: Abendmahl und Fusswaschung


Müstair, Südwand Bild Nr.59: Das letzte Abendmahl (Matth.26,21-29; Markus, 14,18-25; Lukas 22,15-23)

Jesus hat sich durch die Erweckung des Lazarus als Herr über den Tod erwiesen, er ist als Davidssohn in Jerusalem eingezogen und er wurde von einer Frau zum König gesalbt. Nun sitzt er gross und königlich mit sprechend erobener Hand am oberen Ende des Sigmatisches im luftigen Obergemach um mit seinen Gefährten das Passahmahl zu feiern. Obwohl das Bild schlecht erhalten ist, kann man im Saal mit den Arkadenfenstern im Hintergrund zwölf merkwürdig tief sitzende, enggedrängte Gäste zählen (wahrscheinlich waren sie in der spätantiken Vorlage liegend dargestellt). Ganz rechts, auf dem zweiten Ehrenplatz, darf man den Petrus vermuten und ganz links aussen steht nicht etwa Judas, sondern ein Diener mit einem Krug oder einem Weinschlauch; er ist Zeuge des Geschehens, denn nicht das Mysterium der Einsetzung der Eucharistie ist hier dargestellt, sondern die Ankündigung des Verrats! Der Herr weiss, dass ihn einer der seinen, die mit ihm aus einer Schüssel essen, verraten wird. Und tatsächlich sieht man - undeutlich und verblasst - rechts von der Mitte einen über den Tisch ausgestreckten Arm. Ein Zipfel der oben in die Fenster geschlungenen Draperie hängt herunter und weist auf die (nicht mehr sichtbare) Schüssel, nach der einer der rechts aussen sitzenden Apostel greift. Es ist wohl Judas, der die vorbestimmte Sache des erlösenden Leidens schliesslich ins Rollen bringt. Es hätte aber jeder der Jünger sein können; warum sonst hätten sie fragen sollen: Herr, bin ich es? Tatsächlich weist ein weiterer Tuchzipfel auch auf den Jünger ganz rechts aussen, am zweiten Ehrenplatz! Wird nicht Petrus noch in der gleichen Nacht seinen Meister verleugnen?
Die entscheidende Aussage der Szene ist also die Machtfülle des Gottessohnes, das Wissen Jesu um seinen unausweichlichen Tod. Und die zugehörige nächste Szene, die Fusswaschung, zeigt wie er sich der Macht entäussert und zum Diener seiner Schüler wird. Warum ich das arg zerstörte Bild so gut lesen kann? Weil es viele von früher ostkirchlicher Ikonographie beeinflusste spätere Darstellungen gibt:

Elfenbeintäfelchen, Norditalien 11./12.Jh, Walters Art Gallery, Baltimore, USA




Nachzeichnung eines Emailmedaillons einer byzant.Abendmahlsschale,10./11.Jh,Privatsammlung Schweiz

Sonntag, Februar 04, 2007

Was geschah in Jerusalem bevor es zur Kreuzigung kam?


Klosterkirche Müstair: Wandschema der Südwand

Ich habe vorgestern die letzten beiden Bilder des dritten Registers der Nordwand besprochen. Sie schildern zwei selten dargestellte Szenen aus dem Leben Jesu und wecken den Wunsch nach weiteren spätantik geprägten Darstellungen. Doch nun folgt eine herbe Enttäuschung, denn von den nun folgenden Bildern der Südwand (Nr.53-60) sind nur die letzten beiden, nämlich Abendmahl und Fusswaschung, leidlich erhalten. Andere wichtige Szenen aus den letzten Tagen vor der Passion Jesu sind bis auf zwei kleine Fragmente verloren. Von der Nr.54, dem zweiten Feld der Reihe, ist nur der obere Mittelteil erhalten: Man sieht eine nach rechts weisende Hand und ziemlich weit oben eine (von einem Baum herabblickende?) relativ kleine Gestalt. Es könnte sich um den Zöllner Zachäus aus der Perikope Lk 19,1-10 handeln, der auf einen Baum gestiegen ist, um den Mann aus Nazareth zu sehen. Nr.55/56 bildeten ein doppelt breites Bildfeld über dem südlichen Eingangsbogen. Ob wohl hier einst die Auferweckung des Lazaraus zu sehen war? Denn über dem nördlichen Eingangsbogen gegenüber befindet sich das doppelt breite Bild der Kreuzigung, die ja letztlich als Sieg über den Tod verstanden wurde. Leider ist keine Spur erhalten, und ebensowenig von der Nr.57, wo man den Einzug in Jerusalem vermuten möchte. Von Nr.58 ist ein Fragment zu sehen, das die Salbung in Bethanien dargestellt haben könnte, die bei Matthäus 26,6-13 und bei Markus 14,3-9 erzählt wird und die bei Johannes 12,1-8 zwar mit der Fusssalbung bei Lukas vermischt wird, aber zeitlich in der Passionswoche angesiedelt ist. Und nun komme ich zu den beiden wichtigen Szenen Nr.59 und Nr.60, zum letzten Abendmahl und zur Fusswaschung! Das spare ich mir für morgen auf.