Samstag, September 02, 2006

Die nächsten Bildfelder der Südwand

Da seit dem letzten Eintrag einige Tage vergangen sind, kehre ich nochmals zurück zum ersten Bild. Auf Grund dessen, was man sieht, muss die korrekte Benennung also lauten:

Nr 1: Sauls Opfer in Gilgal. (1 Sam.13, 7-14)

Das Opfer-Ritual war den Priestern vorbehalten. Dass der königliche Feldherr selber opfert, ist ein Sakrileg, das Samuels Zorn erregt, und zur Aussage führt, dass Sauls Königtum fortan glücklos sein wird und dass Gott an seiner Stelle einen andern erwählt hat. (Einige Abschnitte weiter unten wird man erfahren, dass "dieser Mann nach Gottes Herzen" der junge David ist!) Man könnte die Szene auch als Sauls Verwerfung bezeichnen. Doch diese ist nicht bildlich darstellbar. Zu sehen sind nur die Ankunft Samuels und Sauls Opfer. Die Rede Samuels von der Verwerfung des Königs ergibt sich erst aus dem zugehörigen Bibel-Text. Der tiefere Sinn des Bildes erschliesst sich also nur dem Schriftkundigen, dem Wissenden. Es wird sich zeigen, dass das für den ganzen Freskenzyklus gilt!

Die nächsten Szenen, Nr.3 und 4, sind verloren; man darf aber mit gutem Grund annehmen, dass sie den Sieg Davids über Goliath gezeigt hatten.(1 Sam , 17, 1- 51)

Nr 5 : Verloren. Ich könnte nur eine vage Vermutung äussern, darum lass ich´s bleiben.
Nr.6: Sauls und seiner Söhne Tod in der Schlacht gegen die Philister auf den Höhen von Gilboa.(1 Sam 31, 1-6). Es ist nur ein Teil des Bildfeldes erhalten. Links neben dem karolingischen Fenster sind die lebhaft geschilderten Bogenschützen der Philister zu sehen, rechts stürzt sich Saul in Anwesenheit seines Knappen in sein Schwert. In der zerstörten Bildmitte muss man sich die Leichen der gefallenen Israeliten denken.

Nr 7: Nicht deutbare Farbspuren. Davids Klage um Saul und Jonathan? David als König von Juda? (2Sam. 1, 1 – 27 / 2.Sam 2, 1- 7)
Nr.8: Israels Fürsten ziehen nach Hebron um David, dem König von Juda auch die Krone Israels anzutragen.(2 Sam 5, 1-5)Links im Bild undeutlich eine Gruppe von Reitern, deutlich ist nur der Kopf eines Pferdes mit schön gebogenem Hals zu sehen; im Hintergrund in der Mitte ein eckiger Turm; rechts im Vordergrund eine offene Stadt.(2 Sam,1-5)

Mit diesem Bildfeld ist das Ende der Südwand erreicht. Ich stelle fest, dass nicht von einem "Leben Davids" die Rede sein kann, sondern von ausgewählten Ereignissen und zu seinem von Gott verfügten Weg zum Herrscher über ein Doppelreich und zum sakralen Königtum.
Zudem meine ich heute, dass die Auswahl und die Zusammenstellung der Szenen für eine Doppeldeutigkeit des Davids-Zyklus sprechen. Vordergründig ist von David als vom leiblichen Ahnherrn Jesu Christi die Rede; davon handeln viele in der Liturgie des Kirchenjahres verwendete Texte. Zugleich ist aber wohl auch die jüngste Vergangenheit angesprochen (774-784!). Sie brachte den Untergang des christlichen Langobardenkönigs Desiderius(Saul) und den - nach der Meinung vieler Zeitgenossen "gottgewollten" - Aufstieg Karls des Grossen(David)zum König über ein fränkisches und langobardisches Doppelreich und schliesslich zum Sachwalter Gottes im Abendland. In diesem Sinn sind die Bilder des obersten Register in der Kirche des neuen Klosters, das ungefähr im Grenzgebiet zwischen Franken und Langobarden errichtet worden war, auch als Herrscherlob für Karl zu verstehen. Die Parallelen sind jedenfalls frappant und die Bildauswahl der Nordwand ist diesbezüglich noch erstaunlicher. Vor 40 Jahren war ich noch anderer Meinung, aber heute weiss ich wesentlich mehr über die historischen Hintergründe; und das wieder entdeckte erste Bild des Davidszyklus, das ich so nicht erwartet hatte, bestärkt mich in der neuen Sichtweise.

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