
Oben: Ausschnitt aus dem barocken Beretta-Faksimile nach Giottos "Navicella"
Unten: die gleiche Szene (wohl nach dem spätantiken Original am Atrium von Alt St.Peter in Rom?)als Bildfeld im karolingischen Christuszyklus von St.Johann in Müstair!

Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.50: Petri Rettung aus den Fluten (oder: Jesus vertraut dem Petrus das Schifflein seiner Kirche an und verheisst für immer seine rettende Gegenwart). Matthäus 14, 22 -33.
Nachdem ich meinen Blog Ferien- und Krankheitshalber zwei Monate lang arg vernachlässigt habe, muss ich einen wichtigen Nachtrag liefern bevor ich zur versprochenen Beschreibung des Weltgerichts an der inneren Westwand übergehe. Das hier gezeigte Bildfeld des 3. Registers an der Nordwand ist zwar weitgehend zerstört und schwer lesbar, aber es erlaubt einen unschätzbaren Rückschluss auf die Herkunft der spätantiken Vorbilder des Müstairer Zyklus. Was ist zu sehen? Ein blasender Windgeist oben links, ein mit mehreren Personen besetztes Schiff mit gerafftem Segel in hohem Wellengang, und ganz rechts aussen der fast frontal gegebene Kopf Christi mit grossem Kreuznimbus. Mein altes Schwarzweissbild ist vor der von Prof.Birchler veranlassten Entrestaurierung von 1961 aufgenommen! Der Restaurator hat die Oberkante des Bootes durchgezogen weil er an die Szene der Sturmstillung dachte und annahm, dass Jesus sich mit den andern im Schiff befindet. (Meist ist er in entsprechenden Bildern nämlich zweimal dargestellt: einmal schlafend und einmal hochaufgerichtet Wind und Wellen gebietend.)Ich habe schon in meiner 1958 abgeschlossenen Dissertation an Giottos berühmtes "Navicella"Mosaik am Porticus des Atriums von Alt St. Peter gedacht, das ein beschädigtes spätantikes Vorbild aus dem 4.Jh. an der gleichen Stelle ersetzt.
Das Thema wurde schon in Dura Europos in Mesopotamien im 3.Jh als Fresko dargestellt. Und in Rom ist die Szene in einem Bild aus dem späten 8.Jh. in S.Saba wenigstens fragmentarisch erhalten. Und in Bobbio werden zwei palästinensische Ampullen aus dem 6.Jh aufbewahrt, die wohl ein berühmtes Monument mit dieser Szene aus dem Heiligen Land wiedergeben.

Bei diesem Stich nach Giottos berühmter Navicella (aus dem 17.Jh.) muss man sich die oberste Partie mit den Halbfiguren der 4 Evangelisten wegdenken um das Bild in Müstair zu verstehen; und ebenso den Leuchtturm links und die unterste Partie mit dem Fischer und der Stifterfigur im Vordergrund. Der Maler im 8.Jh. hat sich auf die blasenden Windgötter oben und auf das Boot mit Segel und auf die Petrus-Christus-Gruppe beschränkt. Von der übergrossen Jesusfigur in Frontalansicht ist heute nur noch der Kopf zu sehen. Die Hauptperson, der in den Fluten halb versinkende Petrus, ist in Müstair leider nicht erhalten. Er befand sich wohl im Vordergrund etwas rechts von der Mitte vor dem Schiff.
Es gibt relativ viele mittelalterliche Darstellungen zu der genannten Matthäusperikope. Sie zeigen fast immer ein kleines, von stürmischen Wellen bedrängtes Boot mit wenigen Figuren, wie etwa das schöne Bild im Reichenauer Egbertcodex, aber nur in Müstair findet sich auch das geraffte Segel und der majestätische , hochaufgerichtete, von vorn gesehene Heiland, als der Herr (Kyrios) der Welt.

Doch nun zurück zu Giottos Neufassung des berühmten spätantiken Bildes aus dem Portikus von Alt St.Peter in Rom:
Da es oben, wo ich es platzieren wollte, im Blog-Layout keinen Platz hat, füge ich hier die Christus-Petrusgruppe aus dem Beretta-Faksimile des Navicella-Mosaiks von 1628 an. Es hilft uns das verstümmelte Bildfeld Nr 50 in der karolingischen Kirche von Müstair zu verstehen und erlaubt wichtige Rückschlüsse auf die Herkunft der verwendeten Vorbilder. - Ei sieh da! Nun ist es wunderbarer Weise doch nach oben gerutscht!
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