Samstag, Februar 17, 2007

Das Urteil des Pilatus und Beginn des Kreuzwegs


Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.64 (Foto U.P.S, San Francisco) und Egbertcodex, Perikopenbuch aus Kloster Reichenau, 10.Jh.


Nachdem der Hohe Rat Jesus zu Pilatus, dem römischen Statthalter ins Prätorium gebracht hatten, begannen lange Verhandlungen und Befragungen. Schliesslich musste Pilatus ihn zur Kreuzigung freigeben, obwohl er ihn für unschuldig hielt. Die Szene Nr.64 spielt sich vor dem schräg ins Bild ragenden Prätorium ab, wo Pilatus auf dem Richtstuhl sitzt und sich demonstrativ die Hände wäscht: ein Diener in langem Gewand hält ihm ein Wasserbecken hin und schüttet ihm aus einem nicht mehr sichtbaren Krug Wasser über die Hände. Links aussen ist auf einer Säule ein kleines Standbild zu sehen; zwischen dem Diener und dem Statthhalter hängt merkwürdigerweise an zwei Haken ein geknotetes weisses Tuch. Jesus steht im Zentrum des Bildes. Ein Scherge legt ihm die Hand auf den Arm und stösst ihn vorwärts, ein anderer - er ist nicht erhalten - zieht ihn an den gefesselten Händen nach rechts hinüber, wo gemäss dem Text Matth.27, 31-32 Simon von Kyrene gezwungen wird das Kreuz voraus zu tragen. Da die ganze rechte Bildhälfte zerstört ist, zeige ich den Beginn des Kreuzwegs in einer Buchmalerei aus dem 10. Jh., die nach einem ähnlichen spätantiken Vorbild geschaffen wurde, Zu Grunde liegt der lange Text der Passionserzählung nach Matthäus 27, der jeweils im Palmsonntagsgottesdienst vorgelesen wird. Manche Stellen daraus sind in den liturgischen Büchern abgebildet, aber im Zyklus von Müstair sind keine blutrünstigen Bilder zu sehen. Nach der Oelbergszene und der Gefangennahme geht der grossen Kreuzigungsdarstellung nur das Bildpaar Nr.63 und 64 voraus, wo offensichtlich dem Todesurteil des Jerusalemer Tempelrats, die Skrupel des Pilatus gegenübergestellt, und so die Römer entlastet werden.

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