Müstair Nordwand Nr.52: Jesus und die Ehebrecherin (Joh. 7,53-8,11)
Als Jesus frühmorgens im Vorhof des Tempels lehrt, bringt man eine beim Ehebruch ertappte Frau herbei, stellt sie in die Mitte und fragt Jesus wie er es mit dem Gesetz des Mose halte, das in diesem Fall den Tod durch Steinigung vorschreibt. Jesus aber sagt nichts, sondern bückt sich und schreibt mit dem Finger in den Sand. Als die Ankläger insistieren, sagt Jesus bloss: wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Da wenden sich die Ältesten und die Schriftgelehrten zum Gehen und Jesus, der Sündlose, den man später als Weltenrichter darstellen wird, sagt: auch ich verurteile dich nicht!
Diese Szene, die mit der vorgestern hier besprochenen Nr51 ein Bildpaar bildet, ist ähnlich gestaltet wie die Kindersegnung. Auch sie lässt ein spätantik inspiriertes Vorbild erkennen, sowohl in der Hintergrundarchitektur, als in den elegant gezeichneten Figuren. Wieder steht eine Gruppe frontal im Zentrum: der dunnkel gekleidete bedrohliche Ankläger, der mit grosser Geste auf die Zeugen weist, und vor ihm die machtlos ausgelieferte, händeringende Frau mit offen herabhängendem Haar! Der weiss gewandete (einer römischen Wandmalerei entnommene?) Schriftgelehrte wendet sich betroffen ab und ganz rechts schicken sich zwei Pharisäer an, den Schauplatz beschämt zu verlassen. Es gibt eine einzige, von links nach rechts durchgehende Bewegung: von den staunenden Jüngern über den gebückt sitzenden Jesus zu den Anklägern und Zeugen. Einzig die verängstigte Frau in der Mitte scheint einen Schritt auf Jesus zu zu wagen, dreht aber gleichzeitig den Kopf von ihm weg. In ihr drückt sich Tortur, Bitte und Hilflosigkeit aus. Ist sie - als scheinbar schuldig gewordene - das Gegenbeispiel zu den schuldlosen Kindern im vorausgehenden Bild? Oder ist sie wie diese machtlos, hilflos, klein?
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