Samstag, Januar 06, 2007
Die Verheissung für Ketzer und Heiden; und eine wichtige Beobachtung zur formalen Gestaltung des Müstairer Bilderzyklus
Warum die Verheissung Jesu nicht nur für Israel gilt, sondern für alle Gruppen und Völker! Davon sprechen die Bildfelder Nr.43 und 44 der Südwand: sie zeigen die Perikope vom dankbaren Samariter (Lk 17,11-19) und die vom gläubig bittenden römischen Hauptmann ( Matth 8,5-13 und Joh 4, 46-54). Folgt man dem Gang der Erzählung nach Johannes, so war die Fern-Heilung des Knaben oder Knechtes eines heidnischen Soldaten oder Beamten das zweite Zeichen der göttlichen Vollmacht Jesu in Galilä. Der Koordinator der Ausmalung von Müstair hat sich aber die Freiheit genommen die Darstellungen von Parallelstellen hier einzusetzen um dem Prinzip des Sinnreims folgen zu können: Dankbarkeit und gläubiges Vertrauen sind mehr wert als die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk. Vom dankbaren Samariter war schon in einem früheren Blog die Rede,nämlich am 17.9.06 (Bitte zurückscrollen). Ich liefere hier die Abbildung nach: zwar ist der Teil des Bildes mit dem dankbaren Geheilten zerstört, aber deutlich zu sehen ist, dass Jesus zurückblickend zu seinen Begleitern spricht; seine Aussage steht also hier im Zentrum der Szene. Anders ist es im nächsten Bild, wo eindeutig der bittende Hauptmann betont ist; rechts aussen ist vor einem Haus der Kranke auf seinem Bett zu sehen. Der als fester Bestandteil der katholischen Messliturgie bekannte Ausspruch des römischen Hauptmanns "Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach" ist so zu verstehen, dass er das göttliche Wesen Christi erkannt hat (so wie auch Petrus im Bildfeld mit der Fusswaschung senkrecht darunter!)und betroffen zurückweicht. Seine in die Knie sinkende Gestalt wirkte im spätantiken Vorbild in überkreuzter Bewegung gewiss dreidimensional, hier scheint sie, dem schmalen Bühnenraum entsprechend, wie zwischen zwei Glasscheiben in die Fläche gepresst.
Es drängen sich nun einige wichtige Bemerkungen zur formalen Gestaltung aller Bilder durch den Hauptmeister auf, und zur praktischen Ausführung durch die Handwerker des in Müstair arbeitenden Fresko-Ateliers. In den hier nebeneinandergestellten alten Schwarzweiss-Fotos fällt dem Betrachter sofort die schablonen-artige Verwendung der Figuren auf! Die vorderste Person der zuschauenden Apostelgruppe, mit der staunend erhobenen rechten Hand, ist in beiden Szenen identisch, aber die Gruppe selber ist durch Verschiebungen und durch die rahmende Hintergrundkulisse anders gestaltet. Auch die dominierende, durch den Kreuznimbus überhöhte Gestalt Christi ist bis auf das nach hinten wehende, geblähte Mantelende in beiden Szenen - wie übrigens in fast allen des gesamten Zyklus - die gleiche. Einzig die Haltung von Kopf und rechtem Arm und die Schrittstellung der Füsse ist variiert! Es scheint also, dass nur diese von einem routinierten Maler hinzugefügt wurden, nachdem die Gesellen das Bild mit Hilfe von Schablonen grossflächig grundierend angelegt hatten. Die zuletzt aufgetragenen Farbschichten, vor allem die Schatten und die weissen Glanzlichter, die den Szenen einst die heute nur an wenigen Stellen noch erhaltene reliefartige Plastizität verliehen, dürften einem der Hauptmeister zu verdanken sein. Nur durch solch rationelles Vorgehen konnte das Riesenwerk einer kompletten Kirchen-Ausmalung in der abgelegenen Gegend der Alpentäler rasch vorangetrieben und, wie ich meine, inneralb von knapp zehn Jahren vollendet werden.
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